Süddeutsche Zeitung

"It Follows" im Kino:Komplett von Wahnsinn erfüllt

Ein fieser Geisterfluch, der durch Sex übertragen wird - klingt nach Teenie-Horror-Trash? Im Gegenteil: "It Follows" illustriert klug eine heruntergewirtschaftete Lebenswelt.

Von Doris Kuhn

Es ist ein gewöhnlicher Teenageralltag, mit dem dieser Film beginnt - aber erst nachdem er den Zuschauer mit einer kurzen, blutigen Irritation geweckt hat. "It Follows" zeigt zunächst vier Freunde beim Fernsehen, beim Kartenspielen auf der Veranda, beim nachbarschaftlichen Nichtstun in einem Stadtteil von Detroit, in dem noch kein Haus kaputt ist und tolle Autos in der Einfahrt stehen. Bis Jay, ein Mädchen aus der Viererbande, mit einem neuen Date ins Kino geht, wird hier ein vollkommen friedliches Leben beschworen.

Um so heftiger wirkt der Schrecken, der in diese harmlose Umgebung einbricht. Die Monstrosität dessen, was Jay nach ihrem Kinobesuch passiert, potenziert sich durch das dekorative Idyll. Denn Jay wird mit ihrem Begleiter Sex haben, und dabei überträgt der Junge einen Fluch auf sie: Ab jetzt hat Jay ein Gespenst auf den Fersen, einen übernatürlichen Verfolger, nur für sie sichtbar. Und der wird so lange versuchen, sie zu töten, bis sie den Fluch an jemand anderen weitergibt. Auch das muss natürlich genregemäß - wir sind hier in einem Horrorfilm - durch Sex geschehen. Denn um Spekulationen über Moral vorzubeugen, ist Sex hier nicht nur die Ursache des Problems, sondern auch seine Lösung.

Der Fluch erscheint als Mensch

Die ganzen Ängste der Adoleszenz werden mit diesem Geisterinfekt heraufbeschworen, aber das allein reicht Regisseur David Robert Mitchell nicht aus. Er kennt das Versprechen, das Horrorfilme geben: Sie wollen uns das Fürchten lehren. Also holt Mitchell wirklich Furchterregendes aus dem Genre heraus. Sein Gespenst hat nichts Albernes, es erscheint in Menschengestalt, aber komplett vom Wahnsinn erfüllt.

Die Kamera erkundet zudem vorsichtig das scheinbar Nebensächliche, den Bildhintergrund stets im Blick, der zunehmend mehr Aufmerksamkeit verlangt als das offensichtliche Geschehen. Die Umgebung ändert sich: hin zur verwilderten Seite Detroits, wo Menschen und Häuser aussehen wie Zombies - eine Geisterstadt.

Jay und ihre Freunde wiederum tun das, was amerikanische Highschool-Schüler bei Geisterattacken im besten Fall tun: Sie durchsuchen die Stadt nach dem Ursprung des Fluchs und bemühen sich, dem Übernatürlichen mit ein paar Gesetzen der Realität beizukommen. Dabei glauben sie bedingungslos an Jays Bedrohung durch das Unsichtbare. Dieses illustriert neben dem Grusel auch klug den Zustand einer heruntergewirtschafteten Lebenswelt - wenn dem Übernatürlichen so viel destruktive Macht zugesprochen wird, dass selbst Horrorfilm-Teenager beim Sex nicht mehr übermütig werden dürfen.

It Follows, USA 2015 - Regie, Buch: David Robert Mitchell. Kamera: Mike Gioulakis. Mit: Maika Monroe, Lili Sepe, Keir Gilchrist. Weltkino, 100 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 14.07.2015/klf/jobr
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