Horrorfilm "The Vigil":Nachtwache mit Dämon

Filmstill

Allein mit einer Leiche: Yakov (Dave Davis) erkennt, dass sein nächtlicher Nebenjob kein Spaß sein wird.

(Foto: Wild Bunch)

Horror aus jüdischen Mythen und den Traumata der Vergangenheit: Keith Thomas' Film "The Vigil" spielt in einer ultraorthodoxen Gemeinde in New York.

Von Magdalena Pulz

Die Leiche eines frisch Verstorbenen, nach altem jüdischen Brauch muss sie bewacht werden, damit das Böse mit dem Toten kein Unwesen treibt. Der arbeitslose Yakov könnte 200 Dollar einstreichen, wenn er bis zum Morgen am Totenbett von Rubin Litvak ausharren würde, aber er zögert. Zum einen ist er erst kürzlich aus seiner ultraorthodoxen jüdischen Gemeinschaft ausgestiegen, er braucht dringend Abstand. Zum anderen packt ihn ein wenig der Grusel. Die Bedenken sind groß, aber die Geldsorgen, die sich auch an seinem Do-it-yourself-Haarschnitt erkennen lassen, schließlich größer.

Mitglieder der chassidischen Gemeinde in Williamsburg, um die es in "The Vigil" geht, fallen auf: Die Männer mit ihren übermäßig großen Pelzzylindern, Schtreimel genannt, den gelockten Schläfenlocken und den Bärten; die Frauen mit Perücken oder Tüchern um den Kopf gewickelt, die Kleider bodenlang. Dahinter steht ein religiöses Regelwerk, das auf Außenstehende archaisch wirken kann - eine Bastion des Glaubens, eine kleine Theokratie, und das alles mitten in der vielleicht progressivsten Stadt der Welt: New York City.

Als Yakov beim Haus der Litvaks ankommt, ist es schon spät in der Nacht. Drinnen ist die Einrichtung vergilbt und die Beleuchtung diffus. Das enge Wohnzimmer wird von dem sakral unter einem weißen Tuch aufgebahrten Toten beherrscht. Fast noch unheimlicher als der Leichnam ist jedoch die demenzkranke Witwe des Toten - gespielt von der aus "Hunger Games" bekannten Lynn Cohen -, die durch die finsteren Räume schleicht.

Ein Horrorfilm mal ohne den wildgewordenen Katholizismus, der schon so oft als Vorlage gedient hat

Die grausigen Dinge, die Yakov bald erleben werde, seien keine Albträume, prophezeit sie, sondern Erinnerungen: "Nur eben nicht deine." Der alte Litvak habe Buchenwald überlebt und den Schmerz des Holocaust immer in sich getragen - aber dazu eben auch einen Mazzik, einen Dämon. Der müsse nun, da Litvak tot sei, von einem neuen Menschen zehren.

Eine interessante Idee, diese Mischung aus alten jüdischen Mythen und den Traumata der Shoah einmal für das Horrorgenre zu nutzen - zumal die strenge Welt der Ultraorthodoxen in New York die Menschen derzeit besonders fasziniert. Die Netflix-Dokumentation "One of Us" war ein Hit, ebenso die Miniserie "Unorthodox" von Maria Schrader. Für einen Horrorfilm sind das ganz andere Koordinaten als der wildgewordene Katholizismus, der schon so oft als Vorlage gedient hat - etwa in den äußerst erfolgreichen "Exorzist"- oder "Conjuring"-Filmreihen.

Je gruseliger nun die Nachtwache wird, desto mehr lässt der Regisseur Keith Thomas seinen Protagonisten Yakov versuchen, in die digitale Welt seines Smartphones zu flüchten: Musikhören, telefonieren, eben versuchen, aus der grusligen Realität auszubrechen. Dass diese Versuche, von Dave Davis in sympathischer Überforderung dargestellt, aber nicht nur scheitern, sondern sich immer mehr ins Gegenteil verkehren, ohne dass die Entwicklung konstruiert wirkt - das ist ein kleines Kunststück.

Auch das Spiel mit den jüdischen Symbolen - etwa dem Gebetsriemen und Tallit, den traurigen Klezmern und den Traumata der Vergangenheit, die sich zu einer Dämonenstory zusammenbrauen - ist sehenswert, gerade zu Beginn des Films. Bildsprache und Kameraführung sind ruhig, aber nicht beruhigend: Minutenlang wird etwa auf den bedeckten Leichnam gehalten, während Yakov sich im Halbdunkel um ihn herumbewegt. Die Kamera dabei determiniert wie ein Schlachter, der sein tausendstes Schaf schächtet.

Nur leider geht der Regiedebütant Thomas diesen Weg nicht zu Ende. Statt Politik, Mensch und Dämonisches komplett zu vermischen, wie es sich etwa Jordan Peele in "Get Out" und mehr noch in "Us" getraut hat, hält Thomas seinen Film an der Oberfläche - da, wo es einen vielleicht gruselt, aber nicht graut. Allzu bekannte Standards des Horrors tauchen auf, etwa Spinnen, Blut aus Leitungen und sehr erwartbare Jump-Scares. Am Schluss ist hier das Monster unterm Bett doch schlimmer als das Monster in uns.

The Vigil, USA 2019 - Regie und Buch: Keith Thomas. Kamera: Zach Kuperstein. Musik: Michael Yezerski. Mit Dave Davis, Menashe Lustig. Verleih: Wild Bunch, 88 Minuten.

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