Homosexuelle in Osteuropa:Unheilige Allianzen in Lettland

Am Wochenende marschieren wieder Schwule und Lesben durch die lettische Hauptstadt Riga. 2006 eskalierte die Lage - es flogen Steine und Eier. Seitdem hat sich nichts verändert: Die Parade spaltet die Gesellschaft des kleinen Landes.

Matthias Kolb

Der Besuch aus London war nicht willkommen. "Werden die lettischen Päderasten von Briten und Ryanair gesponsert?", fragte die Zeitung Ritdiena auf der Titelseite. Die Organisatoren der Londoner Gay-Pride-Parade waren im März nach Riga gereist, um die lettische Homosexuellen-Organisation Mozaika zu unterstützen und Erfahrungen auszutauschen.

Da auch Bürgermeister Ken Livingstone seine Hilfe angekündigt hat, wandte sich der Chef der militanten "No Pride"-Organisation in einem offenen Brief an Livingstone und Premierminister Tony Blair: Sie sollten sich nicht in die inneren Angelegenheiten Lettlands einmischen und keine "radikalen Gruppen mit totalitären Zügen" unterstützen, schrieb Igors Maslakovs.

Homophobie ist in Osteuropa weit verbreitet, auch bei Umzügen in Rumänien und Estland und wie am vergangenen Wochenende in Russland kommt es immer wieder zu Ausschreitungen. Doch in Lettland wird das Thema so stark politisiert und emotionalisiert wie sonst nur in Polen. Umfragen des Eurobarometer ergaben, dass nur zwölf Prozent der Letten und 17 Prozent der Polen eine gleichgeschlechtliche Ehe befürworten. Der EU-Durchschnitt liegt bei 44 Prozent.

Als im Juli 2005 die erste Parade in Riga stattfand, spielten sich Kampfszenen in der Altstadt ab. Den 100 Schwulen und Lesben standen mehrere hundert Gegner gegenüber, die auf Plakaten verkündeten: "Homosexuelle sind eine Gefahr für die lettische Nation."

Viele trugen weiße T-Shirts mit dem No-Pride-Logo - es zeigt zwei Strichmännchen beim Analverkehr. Steine und Tomaten flogen, aus den Fenstern wurde kochendes Wasser gekippt und nur das große Polizeiaufgebot verhinderte eine weitere Eskalation. "Die Feindseligkeit hat uns entsetzt", erinnert sich Linda Freimane. Die 39-jährige Anwältin gründete mit Freunden im Februar 2006 Mozaika.

Die Nichtregierungsorganisation möchte vor allem die Situation der Homosexuellen in den Kleinstädten verbessern, die dort aus Angst vor Anfeindung im Verborgenen leben. Nur in der Metropole Riga gibt es einschlägige Bars und Klubs. Mittlerweile hat sich die Mitgliederzahl von Mozaika auf 70 vervierfacht, doch ein Klingelschild fehlt - nur wer anruft, kann das Büro besuchen. "Man muss nicht unnötig provozieren", so Freimanes Kommentar.

2006 wurde der Umzug wegen Sicherheitsbedenken verboten, doch die Gegner konnten sich ohne Auflagen versammeln. Im April dieses Jahres nun erklärte das regionale Verwaltungsgericht die Entscheidung der Rigaer Stadtverwaltung für illegal. Die drohende Gefahr sei unzureichend begründet worden und außerdem habe man sich auf eine Alternativroute einigen können.

Für Mozaika ist das Urteil ein Erfolg, doch in Ländern wie Litauen wenden die Behörden weiterhin die gleiche Strategie an. Mitte Mai sagte die Stadtverwaltung der Hauptstadt Vilnius die "Rainbow Days" des Schwulenverbandes ab - aus "Angst vor Unruhen", wie es hieß.

Kein Platz für Perverse

2006 kam es in Riga wieder zu Ausschreitungen. Nach einem Gottesdienst, den Lettlands bekanntester Schwuler, der Priester Maris Sants, geleitet hatte, wurden die Besucher mit Steinen, Eiern und Beuteln voller Exkremente beworfen. Die Polizei griff spät ein und erhielt dennoch ein Lob vom damaligen Innenminister Dzintars Jaundzeikars. Seine Begründung: Immerhin sei niemand getötet oder Autos in Brand gesteckt worden.

Jaundzeikars ist Mitglied der "Ersten Partei", die das Thema zur Profilierung nutzt. In Lettland ist sie als Priesterpartei bekannt, da sie auf christliche Werte setzt und Abtreibung ablehnt. Ihre Führung hält nicht nur enge Kontakte zur lutheranischen Kirche, sondern auch zu neureligiösen Bewegungen wie der "Neuen Generation".

Diese sektenähnlichen Gruppen mit guten Beziehungen in die USA haben seit 1991 viele Anhänger gefunden. Häufiger Gast der "Neuen Generation" ist Transportminister Ainars Šlesers. Er erklärte 2005, "in einem christlichen Land wie Lettland gebe es keinen Platz für Perverse".

Damit spielt er auf die Sowjetzeit an, als Homosexualität unter Männern mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft wurde. Oft wurde Homosexualität mit Pädophilie gleichgesetzt. Noch heute bezeichnen Konservative Schwule als Päderasten. "Die Politiker sehen es nicht als ihre Aufgabe an, für Toleranz zu werben oder ein Vorbild zu sein", sagt Freimane. Stattdessen verkündeten sie, was die Wähler hören wollen. Probleme wie die wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen, die hohe HIV-Rate oder die enorme Inflation werden kaum debattiert.

Im Dezember 2005 wurde die Verfassung geändert, um die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau zu definieren - ein symbolischer Akt, da dies bereits im Zivilrecht festgeschrieben war. In der Debatte verknüpfte die "Erste Partei" Homosexualität mit der demographischen Krise des Staates. Lettland hat eine der niedrigsten Geburtenraten Europas und viele junge Menschen wandern nach Skandinavien oder Großbritannien aus.

Unheilige Allianzen in Lettland

Schwule und Lesben seien eine Gefahr für die Existenz der Nation, wetterte die Abgeordnete Inese Šlesere. "Für Letten gibt es kaum einen schlimmeren Vorwurf'', sagt die Zeithistorikerin Katja Wezel, die über das Thema forscht. "Es bedeutet eine Gleichsetzung mit den russischen Besatzern, die Tausende Letten deportierten.''

Auch die Kirchen schüren die Furcht vor dem Verschwinden der Familien und ließen im Sommer 2006 ein 40-seitiges Pamphlet mit dem Titel "Sodomisten ohne Maske" verteilen. Darin wird pseudowissenschaftlich berichtet, dass Schwule wegen ihres Drogenkonsums mehr Verkehrsunfälle verursachen und oft in der Kindheit missbraucht wurde. Immer wieder wird betont, dass die "Krankheit'' durch den richtigen Glauben geheilt werden könne.

Anfang Mai meldete sich der katholische Erzbischof von Riga zu Wort. Kardinal Janis Pujats rief die Letten in einem offenen Brief dazu auf, am 3. Juni auf die Straßen zu gehen und das Recht der Familie und die christlichen Werte zu verteidigen: "Wenn sich tausend sexuell verrückte Leute auf dem Domplatz versammeln, sollten mindestens 40.000 bis 50.000 Menschen ihren Protest zeigen."

Zudem fordert der Kardinal ein Referendum über gleichgeschlechtliche Partnerschaften.

Verschwörung des Westens

Den aktiven Protest organisiert Igors Maslakovs' Verein No Pride. Vor knapp zwei Jahren kündigte der unscheinbare Mittdreißiger seinen Job und betreibt seitdem eine Website, mit der er "über die Hintergründe des Homosexualismus aufklären" will - in lettischer, russischer und englischer Sprache. Wer seine Arbeit finanziert, verrät er nicht, doch er deutet an, dass Geld kein großes Problem sei.

Anfangs erklärt Maslakovs, dass er nichts gegen Homosexuelle habe, solange sie sich nicht öffentlich zeigten. Ein Bekannter sei selbst schwul. Doch die Mehrheit der Letten sei gegen solche Umzüge. Ministerpräsident Aigars Kalvitis, der sonst keine Kontakte zu No Pride hat, äußerte sich ähnlich: Die Regierung könne nicht zulassen, dass offen für einen Lebensstil geworben werde, den die Mehrheit als unanständig ansehe.

Ähnlich wie die "Liga der Polnischen Familien" fürchtet No Pride, dass Homosexuelle in den Schulen "für ihren Lebensstil werben und Kinder verführen".

Maslakovs wittert eine Verschwörung des Westens: Die Open Society-Stiftung von George Soros zahle Millionen an die Schwulenverbände und alle Mozaika-Mitglieder seien Ausländer - ein Argument, das darauf abzielt, dass Linda Freimane als Kind von Exilletten in Schweden geboren wurde und dort studierte. Laut Maslakovs will die EU Homosexualität zur Norm machen und deshalb sollte Lettland schleunigst wieder austreten.

Beobachter wie die Journalistin Sanita Jemberga von der Tageszeitung Diena betrachten die Homophobie der Letten als Furcht vor allem Andersartigen. Sie fürchtet, dass sich die Spannungen verstärken werden, wenn die rasant wachsende Volkswirtschaft nicht nur Arbeitskräfte aus Weißrussland oder Ukraine, sondern aus Südostasien anzieht.

Im Januar verprügelten Skinheads zwei Asylbewerber aus Somalia mitten in der Altstadt. Auch den Touristen, die mit den Billigfliegern immer zahlreicher kommen, stehen viele skeptisch gegenüber.

Die Fronten scheinen verhärtet. Bei Mozaika betont man zwar, dass sich die Situation seit der Wahl im Herbst 2006 beruhigt habe und die Zusammenarbeit mit einigen Ministerien funktioniere. Doch noch immer hat sich kein Prominenter aus Politik oder dem Showbusiness geoutet oder seine Unterstützung für den Umzug erklärt. Die Parade am 3. Juni wurde nun genehmigt.

Dass die Gegner Aktionen wie Sitzblockaden angekündigt haben, wird eher verdrängt. Nur kurz habe man überlegt, die Parade abzusagen, sagt Linda Freimane: "Wir sind uns einig, dass die anderen gewinnen, wenn wir aufhören. Es ist naiv, anzunehmen, dass wir drei oder fünf Jahre warten müssen und dann wird alles friedlich sein."

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