Hommage zum 80. Geburtstag:Der Adorf

Welcher jüngere deutsche Schauspieler hat schon alles gespielt und soll noch alles spielen? Und zwar so, dass man ihn kennt in der Welt? Da fällt uns eigentlich nur einer ein - und der wird 80.

Willi Winkler

Lesen Sie hier Auszüge aus der SZ am Wochenende vom 4. / 5. September 2010:

Mario Adorf wird 80

Die dunklen Augen, das schöne weiße Haar - Mario Adorf spielte Rollen von böse bis schrecklich böse. Am kommenden Mittwoch wird dieser weise Mann achtzig.

(Foto: ddp)

Robert Siodmak brauchte unbedingt einen Teufel. Der berühmte Regisseur war aus der Emigration nach Deutschland zurückgekommen. Wenig genug war ihm angeboten worden, aber das war endlich eine Geschichte, eine politische sogar: die Geschichte des Massenmörders Bruno Lüdke, der Dutzende Menschen umgebracht hatte. Da er als schwachsinnig galt, kam Lüdke nicht vor Gericht, sondern wurde 1944 umgebracht: "lebensunwertes Leben", nannte man das damals.

Siodmak wollte diesen Stoff 1957 unter dem Titel "Nachts, wenn der Teufel kam" verfilmen und suchte nach dem Teufel. In den Münchner Kammerspielen war ihm ein junger Schauspieler aufgefallen: kräftige Hände, schwarze Haare, noch schwärzere Augenbrauen, der 26-jährige Mario Adorf. Siodmak ließ ihn antreten und forderte ihn auf: "Schauen Sie mal beese!" Adorf schaute finster. "Das ist doch nicht beese! Beese, beese sollen Sie schauen!" Adorf schaute noch finsterer. Siodmak schüttelte den Kopf, traurig. Nahm dann die große Brille ab und glubschte ihn mit weitaufgerissenen Augen an. "Das ist beese!"

Adorf bekam die Rolle trotzdem. Böse konnte er besser als alle anderen. Er brachte Dienstmädchen und Kellnerinnen um. Er war zum Fürchten mit seiner dumpfen, sprachlosen Art und bekam dafür den Bundesfilmpreis in Gold.

Später spielte er Santer, den Schurken im ersten Winnetou-Film; spielte dutzendweise Mexikaner, Italiener, Ganoven, Banditen, alle böse bis schrecklich böse. Er zog nach Italien und wurde fast Italiener, drehte in Mexiko und wurde Mexikaner, drehte in Russland und wurde ein Liebling der Russen und böser, als es sich selbst Siodmak erträumt hätte.

Den ganzen August über liegt der Böse in den Zügen der Deutschen Bahn aus, auf jedem Platz das gütige Gesicht, die dunklen Augen, das schöne weiße Haar, fünfhunderttausend Mal Mario Adorf. Am kommenden Mittwoch wird dieser weise Mann achtzig, und in welcher Liga der ehemalige Schurke mittlerweile spielt, ist an dem Mann erkennbar, der ihn in der September-Ausgabe von db-mobil abgelöst hat und nun seinerseits einen Monat lang durch Deutschland reist: Helmut Schmidt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Adorf der Durchbruch am Theater gelang.

Wie man alle an die Wand spielt

Der Böse wohnt an der Côte d'Azur. Es ist einer dieser hochsommerlichen Augusttage und in Saint-Tropez ist Stau.

Jeder - Touristen, Bootsbesitzer, Paparazzi, Liegestuhllieferanten und Surfbrettverleiher - wirklich jeder muss in diesen Tagen am Meer sein, und weil es so heiß ist, sammelt sich alles in einem monstermäßigen Stau auf der einzigen Straße, die nach Saint-Tropez führt, wo Adorf eingesperrt ist.

Was macht eigentlich Brigitte Bardot?

Das ehemalige Hippie-Dorf ist im Sommer noch immer Sammelpunkt der Leute, die sich hauptberuflich in der Bunten oder in Hello! aufhalten. An jeder Ecke die Silhouette der jungen Brigitte Bardot, der das Dorf, das längst keins mehr ist, gerade eine Ausstellung widmet. Mario Adorf sagt tatsächlich "unser Dörfchen", als wär's noch der pittoreske Fischerort, in dem sich nach den Malern und den genauso bettelarmen Dichtern in den sechziger Jahren die internationale Filmeria niederließ. Gunter Sachs, der schon archetypische Playboy, spannte - es herrschte nämlich Bauverbot - sein arabisches Zelt auf, heiratete Brigitte Bardot und erklärte den Sommer zur Party.

Auf einem Foto steht Mario Adorf mit Schnauzbart und mexikanischem Riesenstrohhut neben einer Unbekannten und einer sehr bekannten Frau am Strand: es ist die noch junge Bardot. Die Unbekannte heißt Monique, und die hat er geheiratet.

Monique kommt mit den Einkäufen vom Markt. Was macht eigentlich Brigitte Bardot? Weit weg vom Dauerstau ist sein Haus, der Pool glitzert ein bisschen, der Blick geht über die schönsten Bäume auf die Bucht, an der alles begann. Brigitte? Mario Adorf hat einmal mit Monique und ihr in einem Haus gewohnt, aber er sieht sie nicht mehr und mag sie auch nicht mehr, seit sie die Tiere lieber hat als die Menschen. Er kann den Stolz nicht begreifen, mit dem sie ihrem eigenen körperlichen Verfall zusieht, jede Korrektur, sogar jede Creme ablehnt, weil sie doch tierversuchsverdächtig sei; noch nicht einmal eine künstliche Hüfte würde sie akzeptieren.

Aber seltsam, das Gespräch dreht sich nicht um die kleine Welt von Saint-Tropez, wo Mario Adorf seit siebzehn Jahren lebt, nicht um die internationalen Stars, die Partys Tag und Nacht, sondern vom Theater erzählt er und wie er anfing. Adorfs Vater, ein Arzt aus Kalabrien, war bereits verheiratet und außerdem Besitzer von drei Töchtern, aber die Familie hätte - Sohn hin oder her - niemals eine Scheidung zugelassen.

Hart war es trotzdem

So zog seine Mutter ihren unehelichen Mario mit nichts als dem Namen als Erinnerung in Mayen in der Eifel auf. Für die Napola war er nicht rasserein genug (der Italiener!). Der Krieg blieb ihm erspart, aber er hungerte, machte Abitur, hungerte, begann in Zürich zu studieren, hungerte immer noch, und ging dann nach München auf die Falckenberg-Schule und von da zu den Kammerspielen.

Kleinste Rollen waren es am Anfang. "Beim Theater lernt man Bescheidenheit, da wird man dazu getreten", sagt er altersweise, aber hart war es trotzdem. Therese Giehse, Heinz Rühmann, Axel von Ambesser gehörten zum Ensemble damals: Er musste auffallen. Bei der "Meuterei auf der Caine", wo Siegfried Lowitz den wahnsinnigen Kapitän Queeg spielte, Bogarts Rolle, saß er als Gerichtsschreiber mit dem Rücken zum Publikum, stumm, kein Wort, aber er fällte das Urteil über den Kapitän mit einem Anschlag auf der Schreibmaschine. Tack.

1958 inszenierte Hans Schweikart den "Macbeth" mit den ganz Großen jener Tage, mit Hannes Messemer und Maria Wimmer, aber für ihn gab es nur "eine Rolle, die sogar Shakespeare-Kennern unbekannt ist". Er bettelte, flehte. "Ich hab doch schon einen Film, Herr Schweikart", es war "Nachts, wenn der Teufel kam". Er wäre ein prima Schurke gewesen, Macbeth selber womöglich, aber der Regisseur war nicht zu erweichen. Adorf gab nach und spielte seine kleine Rolle.

Der Triumph kam dann, als er trotzdem wahrgenommen wurde. Adorf kann den Satz von Walther Kiaulehn, dem Feuilleton-Chef des Münchner Merkur, der die ganze Inszenierung erbarmungslos verriss und nur ihn leben ließ, der einen besseren Soldaten gespielt hatte. Er kann den Satz noch nach mehr als fünfzig Jahren auswendig: "Aus dem kleinen Stamm des verbliebenen Kammerspielensembles ragte Mario Adorf hoch empor."

Das komplette Interview finden Sie in der SZ am Wochende vom 4./5. September 2010.

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