Süddeutsche Zeitung

Quarantäne-Film-Serie "Homemade":Ein liebevoller Flirt zwischen dem Papst und Queen Elizabeth

In "Homemade" haben 17 Filmemacher wie Kristen Stewart, Maggie Gyllenhaal oder Cate Blanchett ihre Lockdown-Erlebnisse verarbeitet - mit Humor oder beklemmenden Sci-Fi-Fantasien.

Von Annett Scheffel

Man hat sich natürlich gefragt, was sie gemacht haben, all die Filmemacherinnen und Filmemacher. Als sie wie wir alle zuhause saßen und alles abgesagt wurde, die Drehs und Castings, Premieren und Meetings. Ein bisschen gelangweilt haben werden sie sich sicher auch, gleichzeitig bieten diese Wochen der Quarantäne eine ganze Menge Stoff für ihre Kunst. Aus genau diesem Umstand speist sich der kurzweilige Zauber einer neuen Anthologie, die seit dieser Woche auf Netflix zu sehen ist: "Homemade" ist eine Sammlung von Kurzfilmen, die allesamt während der Heimquarantäne entstanden sind.

17 Filmemacher haben dafür kleine, unterhaltsame, oft tröstliche, zum Teil sehr persönliche, aber auch witzige und kunstvoll überspitzte Geschichten inszeniert. Eine lebendige Collage aus ganz verschiedenen Stilen, ein kleiner Querschnitt durch die zeitgenössische Filmkunst, der ganz nebenbei als stimmungsvolles Zeitdokument einer kollektiven Erfahrung herhalten kann: die Welt synchronisiert im Zuhause-Festsitzen und Sich-Gedanken-Machen, festgehalten in 17 sehr eigenen Perspektiven auf diese seltsamen Wochen. Vieles von dem, was man zukünftigen Generationen darüber erzählen kann, ist hier im Ansatz enthalten: der Rückzug ins Familienleben, Beziehungsreibereien, Isolationsangst, dunkle Fantasien.

Homemovies fürs Familienalbum und düstere Sci-Fi-Fantasien

Weil die Regisseure auf das zurückgreifen mussten, was sie vor der Nase hatten, sind viele der Filme intime Familienporträts geworden. Wir sehen ihre spielenden, fröhlich tobenden Kinder. Mal mutet das eher an wie Homemovies fürs Familientagebuch, aufgenommen mit dem Smartphone.

Es gibt aber auch technisch ausgefeiltere Filme, etwa die sonnendurchfluteten, expressionistisch verlangsamten Szenen bei Rachel Morrison ("Black Panther"), die ihrem fünfjährigen Sohn einen filmischen Brief widmet - schöne Malick-haft luftige Bilder, nur etwas zu pathetisch.

Viel interessanter ist da Natalia Beristáins Film, in dem sie ihre Tochter Jacinta im Haus in Mexiko-Stadt alleine zurückgeblieben imaginiert. Die Stimmen der Eltern dringen wie in einer Geistergeschichte aus dem Off zu ihr wie ferne Erinnerungen, während sie auf einem Hocker stehend Rührei brät und einsame Spiele spielt. Und David Mackenzie gelingt zu Hause in Glasgow eine ruhige, einfühlsame Studie seiner Teenager-Tochter.

Auch lustige Geschichten sind dabei. Mit wunderbar absurdem Humor erzählt zum Beispiel Paolo Sorrentino ("La Grande Bellezza") mit zwei albern winkenden Souvenir-Figuren von einem liebevollen Flirt zwischen dem Papst und Queen Elizabeth, die zusammen in Rom in der Quarantäne sitzen und sich in pointierten Dialogen zanken, welche Serie als nächstes geschaut wird: "The Crown" oder "The Young Pope", seine eigene Serie.

Jeden Tag Spaghetti und Schlaflosigkeit

Andere Filmemacher nutzen die Gelegenheit dazu, mit Genres zu experimentieren. António Campos inszeniert eine schauderhafte Hitchcock-Homestory in New York State, in der Christopher Abbott einen mysteriösen Fremden spielt.

Und die Schauspielerin Maggie Gyllenhaal, die gerade dabei ist, sich auch als Regisseurin einen Namen zu machen, erzählt in einem der ambitioniertesten Werke eine wunderschön fotografierte Sci-Fi-Geschichte: Ihr Ehemann Peter Sarsgaard spielt einen Selbstversorger im ländlichen Vermont. Aus dem Radio dringen apokalyptische Nachrichten zu ihm; von 500 Millionen Toten ist da die Rede, und davon, dass das Virus die Gravitationskräfte des Mondes stört, der nun in furchteinflößender Größe am Abendhimmel steht, weswegen sich Tiere und Küchengeräte unheimlich benehmen. Die Beschaulichkeit eines entschleunigten Lebens trifft hier auf das Grauen einer unsicheren Zukunft.

Besonders tröstlich sind die Filme, die sich ganz konkret mit den Folgen der häuslichen Isolation beschäftigen - genauer: mit dem Gefühl langsam verrückt zu werden. Sebastian Schipper filmt sich selbst in seiner Berliner Wohnung. Nüchterne Bilder, in denen ein feines Gespür für die Situationskomik endloser Wiederholungen steckt. Morgendliches Zähneputzen, Ballerspiele, Haare selbst rasieren, Mittagsschlaf, und jeden Abend gibt's Spaghetti. Nach und nach sitzt eine zweite und dritte Version von Schipper mit am Tisch, wie eigensinnigen Kopien dieses sonderbaren Typen, mit dem er plötzlich so viel Zeit verbringen muss: sich selbst.

Ebenso ertappt wie bei Schipper werden sich viele Menschen von Kristen Stewart fühlen. In ihrem zweiten Kurzfilm zeigt sie ihre Schlaflosigkeit in extremen Close-ups. Wie in einem Psycho-Thriller erweist sich die Ich-Erzählerin als unzuverlässig: Was ist wahr und was ist Traum? Eigentlich passiert nicht viel mehr als das fieberhafte Schauspiel von Stewart. Das ist aber so ausdrucksstark und fesselnd detailreich wie zuletzt im nervenzermürbenden "Personal Shopper".

Cate Blanchett macht Hoffnung

So spannend es auch ist, in die Häuser und Köpfe der Filmemacher zu schauen, den richtigen Ton findet "Homemade" vor allem durch zwei hellsichtige Filme, die die Anthologie einrahmen und versuchen, die Krise auf eine höhere Ebene zu heben. Beide verlassen die Enge der Wohnräume, beide fangen mit Drohnen Stadtgeschehen ein.

Ladj Ly zeigt, wie schon in "Die Wütenden", in schwebenden Bildern die blinden Flecken der französischen Gesellschaft: Wir sehen herumlungernde Halbstarke, verschleierte Frauen in langen Schlangen vor den Essenausgaben, auch häusliche Gewalt - Schnipsel einer anderen, härteren Realität als der in den anderen Filmen.

Ana Lily Amirpour ("A Girl Walks Home Alone at Night") findet einen versöhnlichen, aber nachdenklichen Schlussakkord: Mit dem Rad fährt sie durch ein verlassenes Hollywood und denkt über den Zustand der Welt nach - und über die Zukunft der Kunst. Erzählt wird das von Cate Blanchett mit einer warmen Off-Stimme. "Vor der Natur können sich alle Kreaturen klein fühlen", sinniert sie. Und dann als Hoffnungsschimmer: "Kunst ist auch nur eine Art, etwas Vertrautem eine neue Perspektive aufzuzwingen. Haben Sie das mal versucht?"

Homemade, diverse Länder 2020 - Regie: Ladj Ly, Paolo Sorrentino, Rachel Morrison, Pablo Larrain, Natalia Beristain, Sebastian Schipper, David Mackenzie, Maggie Gyllenhaal, Antonio Campos, Kristen Stewart, Gurinder Chadha, Sebastian Lelio, Ana Lily Amirpour, u.a. Mit: Kristen Stewart, Cate Blanchett, Peter Sarsgaard. Auf Netflix, 138 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 07.07.2020
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