Konzerte mit Hologrammen:Postmortales Pop-Recycling

2012 Coachella Valley Music & Arts Festival - Day 3

Rapper Tupac hatte 2012 einen Holo-Auftritt auf dem Coachella-Festival in Kalifornien. Die Musikerin Kate Perry schrieb damals gerührt auf Twitter: "Ich hätte weinen können, als ich Tupac sah." Andere fanden es lächerlich.

(Foto: Kevin Winter/Getty)

Von Tupac bis zu den Beatles und Amy Winehouse: Verstorbene Künstler sollen als Hologramme auf der Bühne wiederauferstehen. Ist das moralisch vertretbar?

Von Adrian Lobe

Am 7. September 1996 wurde der US-Rapper Tupac in Las Vegas auf offener Straße erschossen. Bis heute ist der Mord ungeklärt. Tupac soll damals an einem Album gearbeitet haben, an dem auch Größen wie Outkast, DJ Premier und Scarface mitwirken sollten. Nach seinem Tod wurden mehrere Studioalben mit Soundtracks veröffentlicht, die Tupac noch zu Lebzeiten aufgenommen hatte. Trotzdem machen diese posthum veröffentlichten Werke den Künstler nicht mehr lebendig.

Die US-Produktionsfirma Base Hologram will den Rapper nun wieder auferstehen lassen - als Hologramm. Mithilfe eines gigantischen Beamers soll ein Avatar des Künstlers auf die Bühne projiziert werden und Live-Konzerte geben. "Wir replizieren nicht nur ein Konzert. Wir schaffen ein Konzerterlebnis", jubilierte Brian Becker, der Gründer der Produktionsfirma. Man werde ein zweidimensionales holografisches Bild schaffen, das mit Bandmitgliedern interagiert. Es handele sich um eine "vollproduzierte, geskriptete Show".

Der Tote sagt: "What the fuck is up?" Hätte der Lebende es anders gesagt? Eher nein

Die Idee ist nicht neu. 2012 hatte Tupac einen Holo-Auftritt auf dem Coachella-Festival in Kalifornien - zusammen mit Snoop Dogg. Als der Wiedergänger Tupac mit kurzer Hose auf die Bühne trat, sagte er stilecht: "What the fuck is up, Coachella!" Der echte Tupac hätte das wohl so ähnlich formuliert. Die Kritiken reichten damals von erstaunlich bis makaber. Der Musiksender MTV kommentierte, wenn man Paul McCartney mit virtuellen Avataren von John Lennon auftreten ließe, würden die Fans dies als geschmacklos empfinden. Die Musikerin Katy Perry schrieb damals gerührt auf Twitter: "Ich hätte weinen können, als ich Tupac sah."

Das digitale Tupac-Revival war 2012 als einmalige Inszenierung gedacht. Doch Base Hologram wittert darin ein Geschäftsmodell - und will die Hologramme verstorbener Künstler wieder auf die Bühne bringen: Tupac, Buddy Holly, Roy Orbison, Maria Callas - sie alle sollen ein digitales Revival erleben. Die Musikerlegende Roy Orbison war 2018 mit "In Dreams" auf Welttournee. Denver, Detroit, Atlanta, Manchester, Rotterdam - das Hologramm füllt die großen Hallen. Die nostalgischen Fans zahlen zwischen 30 und 70 Dollar, um ihr verstorbenes Idol noch einmal live sehen zu können. Für kommendes Jahr kündigte die Produktionsfirma eine Hologramm-Tour mit Whitney Houston an. Auch über eine digitale Beatles-Reunion wird spekuliert. Die Nachfrage ist groß.

Die Frage ist bloß, ob so ein digitales Revival ethisch ist. Wo zieht man die Grenzen zwischen virtueller Existenz und posthumer Öffentlichkeit? Darf man einen verstorbenen Menschen einfach so animieren? Hat eine Person des öffentlichen Lebens auch nach dem Tod noch ein Recht auf Privatsphäre? Wie autonom ist das digitale Subjekt?

Jason Lipshutz kritisierte im Magazin Billboard, er habe so seine Bauchschmerzen angesichts des Remakes von Tupac gehabt. Die choreografierten Bewegungen hätten sich "unkorrekt" angefühlt, als hätte man vergeblich versucht, die Energie, die der Rapper erzeugte, zu speichern. Der Musikkritiker Neil McCormick schrieb im Telegraph, dass die computergenerierten Simulakren "mausetot" seien. Der Musikjournalist und Autor Simon Reynolds stieß ins selbe Horn. Für ihn sind die Hologramm-Touren eine Beleidigung des Begriffs der Live-Performance. Eine Performance sei per definitionem live, was die "unmediatisierte Präsenz von lebenden Künstlern" einschließe. Alles andere sei leblos. Reynolds sprach von einer "Geister-Sklaverei", weil geldgierige Manager die verstorbenen Stars auf die Bühne schleiften und den Weg für aufstrebende Künstler versperrten.

Retro-Show statt Live-Act

Man muss an Live-Performances und Post-Mortem-Inszenierungen natürlich unterschiedliche ästhetische Maßstäbe anlegen. Die Hologramm-Tour will ja kein Live-Act sein, sondern eher eine Retro-Show. Nur, weil ein Act nicht live ist, ist er künstlerisch nicht minder anspruchsvoll. Genauso gut könnte man sagen, dass Play-back eine Simulation sei, weil da auf der Bühne ein lebloser Dummy steht, der wie ein Telepräsenzroboter seine Lippen zu einem Song bewegt, der vom Band abgespielt wird. Synthetischer geht es kaum.

Man könnte auch ein Hologramm von Heidegger auftreten lassen

Wenn man sich das Youtube-Video von Tupacs Auftritt auf dem Coachella-Festival (es wurde über 52 Millionen Mal aufgerufen) anschaut, wird der Unterschied zwischen dem Avatar und dem Künstler aus Fleisch und Blut augenfällig. Das zweidimensionale Hologramm wirkt wässrig und konturarm, es fehlt die räumliche Tiefe und Bühnenpräsenz, was dem Zuschauer vor Ort wahrscheinlich noch viel stärker auffällt als dem Betrachter eines Youtube-Clips. Trotzdem ist das Zusammenspiel zwischen einem Star und Avatar, das Snoop Dogg virtuos beherrscht, eine Form der Kunst, die ihre Progressivität gerade daraus bezieht, dass sie das Historische ins Hier und Jetzt der elektronischen Medien katapultiert. Solche digitalen Revivals beschränken sich ja nicht auf Künstler. Man könnte auch ein Hologramm von Heidegger oder ein digitales Double von Foucault auf einem Ted-Talk auftreten lassen (was Letzteren vielleicht als biopolitisches Experiment am eigenen Körper faszinieren würde).

Die Frage, worauf die ethische Diskussion abhebt, ist, ob der Künstler einen solchen Auftritt gewollt hätte - oder ob er von seinem Management als Puppenspieler instrumentalisiert wird. Mangels Willenserklärung ist das im Nachhinein schwer zu klären. Es gibt jedoch Ausnahmen: Kurz vor seinem Tod 2014 verfügte der US-Schauspieler Robin Williams eine Einschränkung seiner Bildrechte für 25 Jahre nach seinem Ableben. Diese Verfügung hindert Produzenten daran, ein computergeneriertes Bild in einen Film und Musical zu montieren. Im vergangenen Jahr wollte Justin Timberlake für die Halbzeitshow des Super Bowl ein Hologramm von Prince auf die Bühne projizieren. Nachdem ein Interview aus dem Jahr 1998 auftauchte, in dem "The Purple One" virtuelle Realität als "dämonisch" geißelte, rückte Timberlake von seinen Plänen wieder ab. Stattdessen ließ er als Reminiszenz an den verstorbenen Sänger ein altes Musikvideo auf einem Leintuch abspielen, was die Prince-Fans trotzdem erzürnte. Die für dieses Jahr geplante Hologramm-Tour von Amy Winehouse wurde trotz des Einverständnisses der Familie wieder abgesagt - wegen "einzigartiger Herausforderungen und Empfindlichkeiten", wie Base Hologram kryptisch mitteilte.

Die Frage ist: Ist der Künstler noch selbstbestimmt - oder schon eine Marionette?

Es mag ein berechtigtes Interesse von Fans geben, ihrem Idol auch im virtuellen Medium zu begegnen. Trotzdem muss man die Frage stellen, ob es im bewegten und bewegtbildhaften digitalen Zeitalter, wo pro Minute auf Youtube 300 Stunden Videomaterial hochgeladen werden, nicht auch ein posthumes Recht auf Kontextualität geben müsste, ein Recht auf Unbewegtwerden des Datenkörpers. Wenn es heißt, das Hologramm von Amy Winehouse hätte die Sängerin von ihrer besten Seite zeigen sollen, ohne Alkohol- und Drogeneskapaden - wird dann nicht eine Figur weichgezeichnet, gar eine virtuelle, jugendfreie Kunstfigur geschaffen, die mit dem Original nicht mehr viel gemein hat? Es drängt sich der Verdacht auf, dass es den Produktionsfirmen nicht um die Bewahrung des Kulturerbes geht, sondern um ganz profanen Kommerz, um die Kapitalisierung eines Avatars als Derivat einer Pop-Ikone, das in den Verwertungsstufen des digitalen Kapitalismus ein letztes Mal recycelt wird.

Der Soziologe Jean Baudrillard hat in seinem Werk "Die Intelligenz des Bösen" (2006) die These von einer "radikalen Illusion der Welt" aufgestellt: In der Simulationstheorie hat sich die Welt in einer Hyperrealität aufgelöst. Was wir auf unseren Bildschirmen sehen, ist bloß eine Simulation, die Unterscheidung zwischen Fiktion und Wirklichkeit existiert nicht mehr. Nach Baudrillard gibt es in der Hyperrealität schon gar kein Original mehr.

Das Verstörende an den Hologrammen ist, dass das Original in dem Zeichenmeer immer mehr verschwimmt und zum beliebig reproduzierbaren Wasserzeichen wird. Eine Art Scripted Hyperreality. Man hat bei den Holo-Auftritten den Eindruck, als wäre man selbst Teil einer Simulation, als würde der Künstler auf Knopfdruck performen. Immer in derselben Qualität, wie eine Maschine. Tupac und andere Stars würden sich wohl im Grabe umdrehen.

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