Holocaust-Mahmnal in Berlin:Die Beerdigung eines Zahns

Lea Rosh will das Mahnmal für die ermordeten Juden heimlich zum privaten Grabmal machen.

JENS BISKY

Vor vielen Jahren fand Lea Rosh auf dem Gelände des Vernichtungslagers Belzec, nahe dem polnischen Lublin gelegen, einen Backenzahn und nahm ihn mit. Zur Eröffnung des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas kündigte sie an, diesen Zahn in einer der 2711 Stelen unterzubringen, dazu auch einen gelben Stern, den ihr die Tochter eines Holocaust-Opfers in Amsterdam übergeben hatte.

Holocaust-Mahmnal in Berlin: Lea Rosh zeigt bei der Einweihung des Holcaust-Mahnmals in berlin den Judenstern, den ihr die Tochter eines Holocaust-Opfers in Amsterdam übergeben hatte.

Lea Rosh zeigt bei der Einweihung des Holcaust-Mahnmals in berlin den Judenstern, den ihr die Tochter eines Holocaust-Opfers in Amsterdam übergeben hatte.

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Paul Spiegel, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, protestierte unverzüglich und nannte das Vorhaben "pietätlos". Es grenze an Blasphemie. In scharfem Ton erklärte Albert Meyer für die jüdische Gemeinde Berlin, das Denkmal dürfe unter keinen Umständen "Friedhof oder Reliquienschrein" werden: "Sollte dies geschehen, so müssen wir Juden überlegen, ob wir diesen Ort überhaupt betreten können."

Sie habe, erwiderte Lea Rosh, mit dem Architekten Peter Eisenman und mit einem Rabbiner gesprochen. Die Halacha gebiete, dass der Zahn beerdigt und versteckt werden müsse. Spiegel und Meyer sollten sich besser informieren und ihre Vorwürfe zurücknehmen.

Heute kündigt sie in der Bild-Zeitung an: "Der Backenzahn wird beerdigt, weil ich ein Versprechen einzulösen habe. Aber niemand wird erfahren, wo dies sein wird". Der Vorgang sei zu intim.

Anders als christliche Gräber werden jüdische nicht nach Ablauf einer Frist aufgelassen, Reliquien und Umbettungen sind unbekannt. Jede Art von Totenkult ist im Judentum verpönt, da vor den Toren der Ewigkeit jeder Unterschied schwindet.

Der Kunsthistoriker Karl Schwarz, der bis Mai 1933 Direktor des Berliner Jüdischen Museums in der Oranienburger Straße war, hat Verfallserscheinungen der alten Friedhofskultur damals scharf angeprangert. "Frühere, selbstverständliche Bindungen, durch Pietät, Gesetz und religiöse Anschauung vorgeschrieben" seien im 19. Jahrhundert "immer lockerer gehandhabt worden. "Eine geradezu nervöse Sucht nach persönlicher Dokumentierung an Stelle sozialer Einordnung griff Platz."

Mit ihrer Geste provoziert Lea Rosh aber nicht allein und nicht in erster Linie jüdischen Brauch. Sie attackiert das Mahnmal, das es ohne ihre Initiative nicht gäbe. Und sie trifft es mit dieser Attacke ins Herz, tut sie doch so, als sei es ihr Privateigentum.

Im Augenblick der Eröffnung durch die Repräsentanten der Republik, deren Parlament beschlossen hat es zu errichten, verkleinert sie das Mahnmal zum Kultobjekt persönlicher Betroffenheit und privater Erregung.

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