Süddeutsche Zeitung

Hollywood:Verschollen im Netz

Hollywoodstars wie Chris Evans oder Emma Thompson protestieren im Internet gegen Trump, gegen die Klimapolitik und gegen Diskriminierung. Doch trotz Millionen "Follower" bekommt das kaum jemand mit.

Von Susan Vahabzadeh

Bei Universal hat man Anfang August beschlossen, den Film "The Hunt" nicht zu veröffentlichen. "The Hunt" ist eine Art Variante zum Thriller "The Purge" - es geht im weitesten Sinne um Menschenjagd. Auslöser für den Rückzug waren die Morde von El Paso und Dayton, möglicherweise haben aber auch ein paar Tweets von Donald Trump damit zu tun, der das "liberale Hollywood" geißelte und "rassistisch" nannte. Es hat auf diesen Ausbruch wenig wahrnehmbare Reaktionen aus der Filmindustrie gegeben. Donald Trump ist als Debattenführer über Rassismus in Hollywood eine Fehlbesetzung, ernsthafte Antworten braucht man da nicht.

Überraschend ist eher, dass sich Trump überhaupt die Mühe machte, auf Hollywood loszugehen. Eigentlich hört man zur aktuellen Politik aus der Filmindustrie nur wenig. Am Vorabend von Trumps Amtseinführung traten in New York zwar Mark Ruffalo, Sally Field, Julianne Moore, Alec Baldwin und Robert De Niro bei einer Protestkundgebung auf. De Niro macht auch unermüdlich weiter. Zusammen mit Rob Reiner hat er im Juni ein Video veröffentlicht, in dem sie die Ergebnisse des Berichts zusammenfassen, den Sonderermittler Robert Mueller eingereicht hat. Gemessen an all dem lauten Protest, der etwa zu Beginn des Irak-Kriegs aus Hollywood zu vernehmen war, ist das aber wenig. Es gibt zwar Protest, aber er erregt kaum Aufsehen.

Ein aktuelles Beispiel: Debra Messing, mit der Serie "Will and Grace" jahrelang Stammgast in vielen amerikanischen Wohnzimmern, arbeitet sich auf ihrem Twitterkonto unermüdlich an der Politik von Donald Trump ab: Kinder in Käfigen, keine neuen Waffengesetze, aber ein Handelskrieg. Sie hat eine halbe Million Follower. Am Montag hat sie auf einen Tweet, der die Offenlegung der Gästeliste einer Spendenveranstaltung für Trump, endlich eine Reaktion erlebt - aber nur, weil der Präsident selbst auf sie los ging und behauptete, früher habe Messing ihn "Sir" genannt. Messings absolut legales Anliegen - sie verlangt nur Informationen, die sowieso öffentlich sind, früher aber leichter zugänglich - wird aber deswegen noch lange nicht diskutiert. Aber Messing wird jetzt auf Twitter von Trump-Fans beschimpft.

Die erfolgreichsten Twitterkonten haben Popstars, die sich mit Politik in der Regel zurückhalten

Messing ist nicht die einzige Prominente, die ihrem Ärger über Trumps Regierungsführung im Netz Luft macht. Regisseur Ron Howard, Mia Farrow und der ehemalige "Fonzie" aus "Happy Days", Henry Winkler ärgern sich fast täglich auf Twitter. Der Twitter Account von Jim Carrey sieht aus, als wäre er eine Vollzeitbeschäftigung. Carrey malt, in letzter Zeit besonders gern Motive, in denen Trump vorkommt, und mit denen illustriert er dann sein Twitterkonto. Oder Chris Evans, der Captain America aus den "Avengers".

Aber wer bekommt das mit? Eigentlich sind Hollywood-Stars auf Twitter gar nicht so angesagt. Die Followerköniginnen kommen aus dem Pop, Katy Perry und Lady Gaga. Da geht es bonbonbunt zu, aber vielleicht ist es tatsächlich klüger, dass Lady Gaga ihre Ausbrüche, wie zur Verabschiedung eines restriktiven Abtreibungsgesetzes in Alabama, wohl dosiert. Lady Gaga hat knapp achtzig Millionen Follower, Carrey hat 18 Millionen. Aber es ist vielleicht eine Illusion zu glauben, dass jedes mal, wenn Carrey etwas postet, 18 Millionen Leute aufmerksam das Gemälde eines orangefarbenen Schweinsgesichts betrachten und Carreys Bildunterschrift dazu lesen. Möglicherweise hat die herkömmliche Methode - da riefen das Branchenblatt Variety oder die New York Times zehn Leute an, die zu etwas Stellung bezogen, und diese Texte gingen dann um die Welt - doch mehr Aufmerksamkeit erzeugt als eine Unmenge von Tweets, die ganz leise im virtuellen Orbit verpuffen.

Das erkennt man schon daran, dass selbst die erfolgreichsten Schauspieler-Konten kaum wahrgenommen werden. Beide sind fast monothematisch. Der von Leonardo DiCaprio widmet sich dem Klimawandel, Emma Watson postet fast nur zu Gleichberechtigung, und mit fast 29 Millionen hat sie mehr Follower als irgendein anderer hauptberuflicher Schauspieler.

Gerade erst kommen die ersten Filme ins Kino, die sich zur derzeitigen politischen Lage verhalten, und wenn sie nur erfolgreich genug sind, wird es vielleicht in Hollywood wieder opportuner werden, sich im gespaltenen Amerika zu einem Lager zu bekennen. Und ja, auch in Hollywood findet man ja beide Seiten der politischen Debatte.

Isaac Perlmutter ist der Chefs von Marvel, und das Marvel-Universum ist in Hollywood derzeit profitabler als irgendetwas sonst. Perlmutter unterstützt Donald Trump mit erheblichen Geldbeträgen. Unlängst veröffentlichte Art Spiegelman, dessen Holocaust-Comic "Maus" 1992 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, einen Text im Guardian, in dem er Trump mit einem Comic-Bösewicht vergleicht. Eigentlich war der Text für ein Marvel-Buch gedacht, doch weil er gebeten worden war, die entsprechende Passage zu streichen, hatte Spiegelman ihn zurück gezogen.

Ein Tweet ist eben doch kein Protestmarsch, sondern nur eine unter Millionen Äußerungen

Andererseits: "Avengers" sind Marvels Zugpferde, und "Captain America" Chris Evans und Mark Ruffalo, der Hulk spielt, gehören trotzdem zu den Hollywoodstars, die ihre von Trump bewegten Herzen regelmäßig auf Twitter ausschütten. Evans Tweets sind kleine Wutausbrüche über Rechtschreibfehler des Präsidenten, seine geheuchelte Empathie und seinen offenen Rassismus. In einer Geschichte, die im März im Branchenblatt Hollywood Reporter erschienen ist, lobte Marvels Studio-Chef Kevin Feige seinen Star Evans dafür sogar: Seine Kritik an Donald Trump würde Evans noch mehr mit seiner Rolle als Captain America verschmelzen. Die Evans da allerdings bereits zum letzten Mal gespielt hatte. Evans sagte wiederum, es sei schon schwierig, permanent die Hälfte seines Publikums zu verärgern.

Die Folgen sind überschaubar. Evans hat zwar 13 Millionen Follower, aber seine Tweets haben "Avengers: Endgame" in den USA nicht geschadet, das beweisen die Zahlen. Der Film hat allein dort unfassbare 858 Millionen Dollar eingespielt. Eine Debatte über Ruffalo und Evans hat es zum Filmstart nicht gegeben. Weil am Ende ein Tweet eben doch kein Protestmarsch ist, sondern nur eine einzelne Äußerung unter Millionen und Abermillionen, von der man nie wissen kann, ob sie irgendjemanden erreicht.

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Quelle:
SZ vom 04.09.2019
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