Hollywood-Regisseur Edmund Goulding:Sex ohne Sünde

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Hinter seinen geschmackvollen Melodramen verbarg der vergessene Star Edmund Goulding sein Faible für exzessive Partys. Ist das der Grund, warum sein Name in der Filmgeschichte nur selten auftaucht?

Von Fritz Göttler

Es war im Jahr 1977, als der Filmhistoriker Kevin Brownlow nach Hollywood ging, für sein großes Projekt "The Parade's Gone By", um die Studioleute zu befragen, die den Stummfilm groß gemacht hatten - und von denen viele noch lebten. Damals bat ihn Louise Brooks, die legendäre Lulu in G. W. Pabsts "Büchse der Pandora", die Leute auch nach Edmund Goulding zu befragen, der 1959 gestorben war.

Brownlow kam zurück mit der Auskunft, keiner habe über Goulding sprechen wollen. Persona non grata. "Sein Name", resümiert daraufhin Brooks, "beschwört eine Vision von Sex ohne Sünde, was den schuldbewussten Geist von Hollywood paralysierte." In Filmgeschichten taucht der Name nur sehr selten auf.

Goulding hat einige der ganz großen Glanzstücke Hollywoods inszeniert, das ist die sichtbare Seite seines Genies, aber zugleich war er - das ist die unsichtbare, verdrängte Seite - berühmt und berüchtigt für die Orgien, die er veranstaltete.

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Die viele Grenzen ignorierten, moralisch wie physisch, aber immer extravagant und subtil inszeniert waren. In den Zwanzigern und Dreißigern arbeitete er für MGM, das stargespickte Saubermann-Studio, sein Meisterstück war "Grand Hotel", für den es 1932 den Oscar als besten Film gab.

Ein Film, der gleich für ein halbes Dutzend Stars gebaut wurde, als Hotelgäste, die von der Mondänität der Zwanziger in absolute Einsamkeit verbannt wurden, an der Spitze Greta Garbo, das unergründliche Sexwesen.

Garbo liebte Goulding, war oft in seinem Haus zu Gast, auch Gloria Swanson, Joan Crawford und Bette Davis waren ihm zutiefst dankbar für die Filme, die er für sie und mit ihnen schuf, Bette Davis zumindest bei den ersten beiden der vier Filme, die sie miteinander machten. Ein Mann, den die Frauen liebten, und umgekehrt. Nicht nur die Frauen natürlich.

Besonders hielt ihm Louise Brooks die Treue, die als Lulu weltweite Dekadenz verkörperte. Sie war allerdings eine waschechte Amerikanerin, geboren 1906 in Cherryvale, Kansas, eine Herkunft, die sie besonders klarsichtig machte, was amerikanisches Doppelleben und Doppelmoral anging. "Wir Midwestener, geboren im Bible Belt, von angelsächsischen Bauern, die im Wohnraum beteten und Inzest verübten in der Scheune ..." Bei Goulding war dagegen alles offen, spielerisch, auf unamerikanische Weise natürlich.

Brooks drehte keinen Film mit Goulding, aber folgte ihm mit Vergnügen, wenn er nachmittags ein paar Stars besuchte oder abends seine Partys inszenierte. Probeaufnahmen verweigerte sie ihm.

Lange Zeit war Brooks die einzige, die sich an Goulding erinnern sollte. "Dieses unvergleichliche menschliche Wesen, das, als er 1932 erfuhr, dass seine enge Freundin, die englische Tänzerin Marjorie Moss, ihren Kampf gegen die Tuberkulose aufgab, sie heiratete und die letzten drei Jahre füllte mit Schönheit und der liebevollen Aufmerksamkeit von Freunden."

Goulding ist 1891 in London geboren, der Sohn eines Metzgers, er wollte unbedingt zur Bühne, der Vater konnte diese Ambition nie akzeptieren, der Sohn sollte gefälligst sein Geschäft übernehmen. Goulding machte dennoch Karriere, als Schauspieler, Sänger, Songschreiber, Roman-, Stücke- und Drehbuchautor, Filmregisseur. Und mit seinen viel beraunten wilden Partys.

Um ins Herz dieses Geraunes zu gelangen, bekannte süffisant der Filmhistoriker Matthew Kennedy, habe er sein Buch "Edmund Goulding's Dark Victory - Hollywood's Genius Bad Boy" geschrieben. In Goulding erkennt man das Geheimnis von Hollywood, die archaische Naturkraft seines Glamours. Die frische, fröhliche Freiheit, die Goulding zelebrierte, sabotierte Hollywoods Umgang mit Sex, seinen vom verklemmten Hinterzimmergeist geprägten Production Code.

Es ist, als wäre der Geist der römischen Kaiserzeit nach Hollywood gelangt. Beim Regieführen spielte Goulding gern die Szenen vor, auch den Frauen, wofür er sich ihre Hütchen und Jäckchen borgte. Director in drag ... Ronald Reagan war entrüstet, als Goulding ihm antrug, er solle in seiner Rolle in "Dark Victory" einen jungen Mann mit homosexuellen Zügen spielen.

Genau so aber kommt Reagan, ungewollt, rüber, ein Nichtstuer, mit gelangweilter Miene und immer einem wenigstens halbgefüllten Glas vor sich - während Bette Davis gegen einen tödlichen Tumor kämpft.

Exzesse waren nie ein Problem in Hollywood, ein ganzer Berufsstand lebte dort von der Verdrängungsarbeit. 1932 lief eine von Gouldings Partys so aus dem Ruder - zwei Mädchen mussten ins Krankenhaus -, dass die MGM ihn außer Landes schickte, bis mit ihren Anwälten das Chaos geregelt war. Ein paar Jahre später hatte Louis B. Mayer, der hypermoralische MGM-Chef, genug von Eddies Extravaganzen und feuerte ihn. Der zog weiter zu Warner und, später, zur Fox.

1947 drehte Goulding dort "Nightmare Alley", einen film noir, der noch einmal die Schäbigkeit des Lebens mit allem Studioglamour zelebriert. Mit Tyrone Power, der auf einem Rummel arbeitet, mit einem raffinierten Wahrsagertrick bekannt und reich wird, sich mit skrupellosen religiösen Spukinszenierungen aber verzettelt - "Der Scharlatan" heißt der Film bei uns - und als Geek endet, als Halbwilder in einer Jahrmarktsbude, der lebenden Hühnern den Kopf abbeißt.

Es steckt eine unglaubliche Sinnlichkeit in dieser Figur, eine triste Vitalität, ein gieriger Drive, der vor der Selbstzerstörung nie zurückschrecken wird. Hollywood pur.

© SZ vom 12.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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