Hollywood: Neuer Hotshot:Michael, der Magnet

Wenn man den Auguren Hollywoods glaubt, wird dieser Mann bald Ralph Fiennes und Johnny Depp an die Wand spielen: Michael Fassbender, der Schurke "Magneto" in dem Comic-Prequel "X-Men - First Class", ist die neue Allzweckwaffe Hollywoods.

Rebecca Casati

Wenn man nur ein bisschen mehr Zeit hätte, würde man sich noch viel, viel mehr über die mal wieder so herrlich unplausible Situation amüsieren. Aus aller Welt sind Medienvertreter nach London gereist, um Michael Fassbender zu interviewen.

Themendienst Kino: X-Men: Erste Entscheidung

Michael Fassbender in X-Men als "Magneto", der Boote zum Fliegen und Flugzeuge zu Fall bringen kann.

(Foto: dapd)

Den dazugehörigen Film hat noch niemand sehen dürfen. Fassbenders Namen kennen bisher nur wenige. In ein paar Wochen aber, so viel steht hier und jetzt schon fest, wird er ein Weltgesicht haben. Weil er als Schurke "Magneto" in dem Comic-Prequel "X-Men - First Class" viele Millionen Zuschauer ins Kino gelockt haben wird.

Fassbender ist wohl einer der begabtesten, männlichsten Schauspieler unserer Zeit. Jetzt gerade, in einer charakterschauspielerhaften Kombination aus Leinenhemd und Helmut-Schmidt-Mütze, muss er unter einem, tja: himmelblauen Seidenduchesse-Baldachin in dem auch ansonsten sehr empirehaft durchgebauschten Hotel Dorchester in London sitzen. Und dabei so tief in das fluffig gepolsterte Damensofachen sinken, dass er am Ende fast hockt.

New-York-Times-Kritiker und Regisseure brechen momentan gleichermaßen in Jubelarien aus über ihn. Und die ansonsten ja gerne mal unflätigen oder zynischen YouTube-Kommentatoren werden ganz sentimental: "Warum kann seine nächste Rolle nicht die eines Mannes sein?"

Schmale Figur, offenes Gesicht. Rotblonder Bartstoppel, ungebleachte Zähne; spontan wundert man sich ein bisschen. Der hier, der soll Hollywoods neuer Hotshot sein? Der soll Brad Pitt in den Schatten stellen, Johnny Depp an die Wand spielen? Ist er dazu nicht ein bisschen zu sehr Student im 17. Semester? Andererseits: Er war sehr gut in dem englischen Sozialdrama "Fish Tank". Wo er eine Affäre mit einer Alkoholikerin und dann mit ihrer 15-jährigen Tochter beginnt; wofür man ihn eigentlich hassen müsste und doch versteht. Weil man Fassbender glaubt. Außerdem war er ein Hammer als Hickox in Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds".

Was ist eigentlich sonst so hellgrün?

Okay - seine Augen. Die sind schon ein Ding. Was ist eigentlich sonst so hellgrün? Absinth? Kommt die Farbe überhaupt vor in der Natur? Eigentlich nicht. Eher ist dieser Ton das Ergebnis eines chemischen Prozesses. Oder wie der eines Bergsees auf einer Postkarte, die in ihrem Verkaufsständer schon viel zu lange in der Sonne gestanden hat. Auch die Stimme ist gut. Eher Bariton als Bass. Sanft, aber tragend. Seine Silben moduliert er, als seien sie kostbar.

Anders als seine berufliche Perspektive oder die übliche Hotelzimmerinterviewsituation es erfordern, scheint Fassbender in einer Art Höflichkeits-Wettbewerb mit sich selbst zu stehen. Wo möchten Sie sitzen? Was nehmen Sie zu trinken. Wie Sie vorhin so richtig sagten . . . Fassbender ist dieser Typus Mann, der dann eben doch gar nicht so häufig vorkommt. Eine Art tiefenschärfere, optimierte Version des Traummanns von nebenan. Interessiert, aber nicht verdächtig aufmerksam. Nicht einschüchternd schön. Verlässlich gut aussehend.

Männer, die in Frauenfamilien groß wurden, sind oft so. Fassbender ist, anders als viele Hollywoodstars, in einer klassischen Konstellation aufgewachsen. Der Vater, ein Deutscher irgendwo aus der Gegend zwischen Mannheim und Hildesheim, verliebte sich in ein irisches Mädel, sie bekamen einen Jungen und ein Mädchen und fanden schon bald, dass ihre Kinder zwischen Feldern und Wiesen aufwachsen sollten. So zogen die Fassbenders nach Südwestirland. Wo sie ein Restaurant eröffneten. Ach so, und weit und breit: kein Schauspielergen in der Familie.

Wie auswendig gelernt

Fassbenders Mutter muss allerdings einen auch schon für damalige Zeiten ziemlich coolen Filmgeschmack gehabt haben. Und schwärmte für Schauspieler, die eigentlich nur Filmnerds kennen, die jahrelang hinter Videothekentheken gejobbt haben.

Angenehmerweise möchte Fassbender nur wenig über seinen Job, seine Berufung oder seine craft erzählen. Das wenige, was er sagt - "die Arbeit mit Steven Soderbergh war eine intensive Erfahrung" - klingt wie auswendig gelernt, und das ist es wohl auch, denn "ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich darüber erzählen soll, weil es da so verdammt wenig zu sprechen gibt und es affektiert klingt, wenn man es doch tut."

"Mehr Körperlichkeit"

Fassbender, den Namen habe er übrigens für seine Karriere nie ablegen wollen. Obwohl er, wie er sagt, bereits zu Schulzeiten den anderen einige interessante Vorlagen lieferte. In welche Richtungen die gingen, will er nur andeuten, vieles hatte anscheinend mit dem englischen Wort "bend", sich nach vorne beugen, zu tun, aber nun mal keine Sorge, traumatisch sei das alles nicht gewesen.

Seine deutsche Grammatik sei eher so-so, zum Deutsch Reden ist er an diesem Tage ein bisschen zu schüchtern, Krautkrapfen, das fällt ihm ein. Die hätten auf der Speisekarte im Restaurant seiner Eltern gestanden, in dem es ansonsten aber auch eher gesamteuropäisch zuging, Lachs und Hummer vom Grill, solche Dinge.

Fassbenders Karriere, die dieses Jahr so mächtig einschlägt, hat spät begonnen. Mit 19 Jahren zog er nach London, um Schauspieler zu werden. Jahrelang schlug er sich als Barkeeper durch, und als es gerade etwas beunruhigend wurde, und selbst die Gastauftritte in Miniserien weniger wurden, bekam er 2008 das Angebot, den IRA-Aktivisten Bobby Sands in dem Drama "Hunger" zu spielen.

Innerhalb von drei Monaten musste er dazu abmagern, von seinen üblichen 78 auf 58 Kilo. Er kapselte sich in dieser Zeit von Freunden und Familie ab und aß nur Nüsse, Beeren und Sardinen; insgesamt 500 Kalorien täglich.

Mental half ihm eine DVD. Sie sei sehr sanft und effektiv gewesen, uneingeschränkt empfehlenswert, "Jerry Hall's Yogacize, ja, so hieß sie wohl." Wohl? Ganz genau erinnert er sich nicht mehr. Er hatte sie damals in dem möblierten Bungalow gefunden, den er während der Dreharbeiten gemietet hatte...

Befremdliches Gefühl

Kurz staunt man mal wieder über den seltsam proportionierten Alltag von Menschen wie ihm. Zwischen öffentlicher Bewunderung, Biografien anderer Menschen und dem befremdlichen Gefühl, das jeder kennt, der schon einmal von Fremden zurückgelassene DVDs durchgeschaut hat. Was machen 16 Jahre mit einem Traum, aber ohne richtigen Job, aus einem sensiblen Menschen? Hat er sich in seinen erfolglosen Jahren verändert? Hat sich in seiner Branche viel getan seitdem? Muss man heute mehr können als Schauspieler? Oder weniger?

"Es wird mehr Wert auf Körperlichkeit gelegt", sagt er. "Und Filme sind vor allem Geschäftsmodelle geworden, weil so viel Geld drinnensteckt und so viel damit verdient wird. Alles ist durchgetaktet. Und die Freiheit, mal zu versagen, ist gänzlich geschrumpft . . ."

Eine Sache, die Fassbender während des gesamten Gesprächs macht: Er seufzt sich in die Antworten rein, zum Beispiel in die nächste, auf die Frage: Ist es gerade schön, er zu sein? Oder eher - schwierig? Die vielen Millionen, Menschen, Dollar, Euros, die jetzt da draußen auf ihn warten, und vielleicht bald nicht mehr?

Stoßseufzer - well. . . "Ich twittere nicht und bin nicht bei Facebook. Ich hasse das Telefon und versuche, nicht über mich im Internet zu lesen. Mich nicht in diesen ganzen Erwartungen und Vorstellungen da draußen zu verfangen. Ich versuche, einen guten Job mit guten Leuten zu machen. Der Rest ist eh' nicht in meiner Hand. . ." Und dann wird Fassbender abkommandiert, zum nächsten Gespräch, eine Suite weiter.

Klug ist er wahrscheinlich auch.

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