Hollywood:Die neue Selbstzensur

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Die Plakate können vorerst wieder abgehängt werden: Sony hat den Kinostart der Films "The Interview" zu Weihnachten abgesagt. (Foto: AFP)

Der Filmstart von "The Interview" ist nach Terrordrohungen abgesagt worden - ist das richtig? Natürlich geht es den amerikanischen Filmstudios vor allem ums Geschäft. Aber Satire sollte sich nicht selbst zensieren.

Von Tobias Kniebe

Zu anderen Zeiten waren die Regeln noch klar. "Alles muss getan werden, um die Religion, Geschichte, Institutionen, herausragende Persönlichkeiten und Bürger eines anderen Landes nicht in schlechtem Licht zu zeigen." So steht es im Motion Picture Production Code, jenem strengen Vorschriftenwerk, mit dem sich Hollywood lange selbst zensiert hat. Danach hätte es einen Film wie "The Interview" von den Sony Studios nie geben dürfen, in dem der US-Komiker Seth Rogen den nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un radikal veralbert und am Ende sterben lässt. Die Sache ist nur: Der Code wurde 1968 abgeschafft.

Die neue Freiheit, die seitdem herrscht, hilft "The Interview" aktuell allerdings wenig. Der Film, der 44 Millionen Dollar gekostet hat, wird nicht wie geplant in die Kinos kommen und nicht auf DVD erscheinen. Sony lässt ihn vorerst im Giftschrank verschwinden, vielleicht für immer. Verantwortlich ist eine Hackergruppe namens Guardians of Peace, hinter der sich, so erklärte das FBI am Freitagabend, die nordkoreanische Regierung verbergen soll. Sie hatte die Sony-Server gehackt und unter anderem Anschläge gegen Kinos angekündigt, die "The Interview" zeigen wollten. Als diese den Film dann reihenweise absetzten, um ihr Weihnachtsgeschäft zu schützen, knickte Sony ein und zog die Komödie zurück.

Fast gleichzeitig kündigte die Produktionsfirma New Regency an, das Projekt "Pyongyang" zu begraben, einen Spionagethriller, der in Nordkoreas Hauptstadt spielt. Sowohl der Hauptdarsteller Steve Carell als auch der Regisseur Gore Verbinski sind große Namen, "Pyongyang" war ein Prestigeprojekt, aber auch das half nichts. Die Angst vor Terrordrohungen war plötzlich stärker.

All das wirkt nun tatsächlich so, als ob Hollywood sich gerade ein neues Regelwerk der Selbstzensur verpasst - diesmal allerdings ungeschrieben. Entsprechend aufgebracht waren die Reaktionen der Künstler, von unmittelbar Betroffenen wie Steve Carell ("ein trauriger Tag für die Kreativität") über Filmkollegen wie Rob Lowe ("Hollywood hätte Neville Chamberlain stolz gemacht") bis hin zu PR-Profis wie Paolo Coelho, der Sony gleich symbolisch 100 000 Dollar für die Rechte an "The Interview" bot.

Satire, die sich aus Furcht selbst zensiert, wird nie gegen Diktaturen antreten

Bei aller Aufregung muss man festhalten, dass Hollywood noch nie an der vordersten Front von Wahrheit und Meinungsfreiheit stand. Die Sorge galt immer zuerst dem Geschäft. Das war selbst in den ersten Jahren der Naziherrschaft so, als die Studios absurde Rücksicht nahmen, um weiter Filme nach Deutschland zu exportieren. Trotzdem haben alle Warner und Mahner natürlich recht: Angst frisst zuerst die Seele der Kreativen auf, und eine Satire, die gleich selbst beschließt, dass sie nicht mehr alles darf, wird niemals Meisterwerke wie Chaplins "Der große Diktator" oder Lubitschs "Sein oder Nichtsein" hervorbringen.

Wenn die US-Studios sich in vorauseilender Terrorangst selbst den Zahn ziehen, heißt das nun aber nicht, dass das Kino insgesamt jeden Mut verlieren wird. Jede Selbstzensur schafft auch neue Möglichkeiten. Das beste Beispiel dafür sind die Regisseure aus der großen Zeit des europäischen Kinos, die dem Film von 1950 an neue Freiheiten erobern konnten - gerade weil Hollywood noch unter der Last des alten Production Code ächzte.

© SZ vom 20.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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