45. Hofer Filmtage:Welten voll überschäumender Energie

Vom Roadmovie mit Kultfilmpotential bis zum grandiosen Polizeithriller - die 45. Hofer Filmtage begeistern mit übermütigen Gestalten und einer großen Regie-Entdeckung. Manches ist aber zu gut gemeint: Beiträge nach dem Muster des TV-Problemfilms-der-Woche sind die Tiefpunkte des Programms.

Rainer Gansera

"Was ist der Unterschied zwischen einem Psychiater und einer Hundehütte? Die Hütte ist für den Hund, der Psychiater für die Katz!" Erster spannungslösender Lacher bei der fiebrig erwarteten, am Ende heftig umjubelten Uraufführung von Dominik Grafs Das unsichtbare Mädchen am Samstagabend bei den 45. Hofer Filmtagen.

Das unsichtbare Mädchen, Ulrich Noethen, Hofer Filmtage

Das Unsichtbare Mädchen setzt Ulrich Noethen mit einer hinreißenden Bösewicht-Glanzrolle in Szene.

(Foto: ZDF/Julia von Vietinghoff)

Sicherlich wird es bis zur Ausstrahlung der ZDF-ARTE-Produktion noch viele Diskussionen über das Verhältnis von Fiktion und Realität der Story geben. Zuvor aber sei festgehalten, dass Graf und dem Autorenduo Friedrich Ani/Ina Jung ein grandios komponierter Polizeithriller gelungen ist, der in jedem Moment vor physisch-inszenatorischer und politisch-satirisch attackierender Energie bersten will und der Ulrich Noethen mit einer hinreißenden Bösewicht-Glanzrolle in Szene setzt.

Noethen kann ja auch - man denke nur an seinen Herrn Taschenbier in Das Sams - sanften rühmannesken Charme ausstrahlen. Hier jedoch verkörpert er als oberfränkischer Hauptkommissar dialektkundig und mit jeder gestischen Nuance die Arroganz der Macht. Noch in einer anderen von der Faszination des Abgründigen umspielten Rolle war Noethen bei den Filmtagen zu sehen. In Christian Schwochows Die Unsichtbare treibt er als tyrannischer Theaterregisseur eine verschüchterte Schauspielschülerin (fulminant: Stine Fischer Christensen) durch ein Black Swan-Szenario existentieller Albträume.

Das von Festivalleiter Heinz Badewitz bunt gefächerte Programm hatte dieses Jahr seine Glanzlichter vor allem dort, wo es um exzentrische Figuren ging, um ein übermütiges Gestaltenerfindungsspiel. Herrlich komödiantisch demonstrierte das der Absolvent der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film Konstantin Ferstl mit seinem Trans Bavaria. Eine genial versponnene Rebellenphantasie mit Kultfilmpotenz. Neudefinition des Road- und Buddy-Movies auf Niederbayrisch. Die große Entdeckung der Filmtage.

Drei frisch gebackene Abiturienten auf ihrem Jakobsweg der revolutionären Erleuchtung: Sie wollen die Rede von Máximo Líder Fidel Castro auf dem Roten Platz im Moskau miterleben. In ihrem Kampf gegen die "Ideologie der hedonistischen, permissiven Gesellschaft" nehmen sie die größten Reisestrapazen auf sich und können von Glück sagen, dass König Ludwig II., Papst Benedikt und Gorbatschow ihnen als Schutzengel zur Seite stehen. Ferstl hätte solche Schutzengel gut brauchen können. Er musste sein Projekt ohne Förder- oder Fernsehgelder durchziehen: "Natürlich war ich erst mal schockiert, als all die Absagen kamen, aber dann dachte ich mir: Wenn Castro die Revolution mit 70 Mitstreitern bewerkstelligen konnte, dann werde ich doch wohl den Film mit Hilfe von Freunden zustande kriegen!"

Nietzsche, Drogen, Monster

Schöne Überraschungen im Bereich des Dokumentarischen: die spielfilmhafte Intensität, mit der Alexander Riedel in Hundsbuam - Die letzte Chance sogenannte Problemjugendliche in ihrem schulischen Alltag schildert; die liebevolle Hingabe, mit der Ulrike Schamoni einen Vater in Abschied von den Fröschen porträtiert; oder der Zauber, der in Peter Goedels Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da eine Münchner Kneipe zur Utopie-Insel verwandelt. Drei Filme, die Personen und Räume nicht zu thematischen Exempeln reduzieren, sondern hell aufleuchten lassen.

Die Durststrecken im Programm bildeten eine Reihe deutscher Spielfilme, die ebensolchen Reduktionismus betreiben: Figuren als Kleiderständer für vermeintlich brisante Themen und rührselig-moralische Exempel. In gleich drei Produktionen ging es um afrikanische Flüchtlinge und nahezu dieselben Flüchtlingslager in Südspanien, in denen sich dann prompt jene hübsche Afrikanerin mit Kind und Deutschkenntnissen einfindet, der man gerne den Eintritt in die Bastion Europa verschaffen mag. Bei anderen nach dem Muster des TV-Problemfilm-der-Woche gestrickten Werken ging es wahlweise um suizidgefährdete Mädchen oder gewaltanfällige Jungs.

In der Art eines multiplen Sujets könnte man diese Formelfilme so beschreiben: Von traumatischen Erfahrungen geplagter junger Mensch (a), der lieb zu Haustieren (b) ist, fragt sich: "Wer bin ich eigentlich?" (c) und wandelt sich in der Auseinandersetzung mit echt Pflegebedürftigen (d) zum Gutmenschen.

a) Scheidungskind; unerwünschtes, abgeschobenes Kind; ausgeliefert einer alleinerziehenden Mutter mit Alkoholproblemen und/oder einem prinzipiell desinteressierten Vater; gelangweilt in tristem Middleclass-Ambiente; als suizidgefährdet ins Jugendheim eingeliefert; (b) Schildkröte, Hase, Katze, Goldfisch; (c) liest Nietzsche; experimentiert mit Drogen; will auf die Schauspielschule; verwandelt sich kurzfristig in ein Monster; (d) afrikanische Flüchtlinge; unheilbar Krebskranke; eine Schwester mit epileptischen Anfällen; lieber Opa mit Alzheimer.

Zur Erholung von derlei Formelkram konnte man sich bei der Verleihung des Filmpreises der Stadt Hof an Peter Kern daran erfreuen, wie Kern die Veranstaltung zum hübschen Happening umfunktionierte, oder man suchte Zuflucht bei den Filmen von David Mackenzie, dem die Hommage gewidmet war. Mackenzies Geschichten kombinieren in immer neuen Variationen die Motive Eros und Katastrophe. Amour Fou vor apokalyptischem Hintergrund. Ein Spannungsfeld, in dem sich Schicksalhaftes ereignet, die Figuren sich nie zu therapiebedürftigen Schemen verdünnen, wie sie deutsche Produktionen allzu häufig bevölkern.

In seiner Sciencefiction-Romanze Perfect Sense, die Anfang Dezember in die Kinos kommen wird, gibt es dazu eine Schlüsselszene. Da fühlt sich die Ärztin Susan (Eva Green) traurig und niedergeschlagen. Ein Kollege fragt: "Bist du krank?". Sie: "Nein, ich bin nicht krank, ich bin unglücklich!" Er: "Aber das ist doch dasselbe!" "Genau das ist der Fehlschluss des Kollegen", erläutert Mackenzie die Szene, "Unglücklichsein und Kranksein sind nicht dasselbe. Es darf keine Pathologisierung des Existentiellen geben!" Schon deshalb, weil sie so etwas keinen Moment lang tun, sondern mit überschäumender Energie ihre Welten ausmalen, waren Das unsichtbare Mädchen und Trans Bavaria die Highlights der 45. Hofer Filmtage.

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