Süddeutsche Zeitung

Hörspiel:Wohlklang des Knarzens

Lesezeit: 4 min

In einem Hörspiel des Jugendbuchautors Kilian Leypold spielen die Treppen eines Münchner Mietshauses eine wichtige Rolle

Von nicole Graner, München

Die Eingangstür des großen Hauses an der Pettenkoferstraße fällt mit einem hellen "Klack" ins Schloss. Die gläserne Zwischentür schwingt sich leise aus. Die Stufen des hölzernen Treppenhauses knarzen. Jeder Schritt klingt dumpf, ein bisschen schwer - und hallt nach. Es riecht nach Putzmittel, nach Holz und abgestandener Luft. Ein Ort für merkwürdige Begegnungen. Ein Ort, in dem Fantasiegeschichten so etwas wie Realität werden könnten. Wie die Stufen wohl erst klingen mögen, wenn Helden einer erfundenen Geschichte in diesem Haus treppauf, treppab liefen? Die eines jungen Mädchens vielleicht, einer selbst ernannten Prinzessin? Oder gar eines Trollweibs, das knurrend und prustend und schimpfend im ersten Stock an der mittleren von drei Türen klingelte. Man weiß es nicht. Woher auch?

Aber da gibt es jene Geschichte, die dem Münchner Autor Kilian Leypold im Kopf herumspukte, seit er in einer Ausstellung über nordische Malerei in der Hypo-Kulturstiftung ein Bild des schwedischen Märchen-Illustrators John Bauer (1882 bis 1918) aus dem Jahr 1913 gesehen hat: Ein Mädchen ganz in Weiß, mit langen, blonden Haaren läuft mit zwei merkwürdigen, recht behaarten, kleinen Geschöpfen durch einen Wald im Irgendwo. Trolle sind es. Kleine bösartige Geschöpfe mit Bart und listigen Augen. "Sofort hatte ich eine Idee", sagt Leypold. "Und sofort schrieb ich mir eine Art Plot in mein Notizbuch."

Der Plot sieht im Schnelldurchlauf so aus: Mädchen allein zu Hause, einsam, weil die Mutter arbeiten muss. Sie erfindet, um ihr Alleinsein mit Leben zu füllen, Geschichten. Kürt sich zu einer Prinzessin namens Lili mit außerordentlich guten Manieren. Sie trinkt Cola-Tee aus dem Land Schluckurien und will Abenteuer mit Trollen und Gnomen erleben. Und dann klingelt es an der Tür. Ein Troll, ein echter Troll, steht im Treppenhaus. Will von Lilli gute Manieren lernen. Leypolds Geschichte beginnt. Eine Fantasiegeschichte in jenem Treppenhaus an der Pettenkoferstraße. Mit seinen knarzenden Stufen.

Dass sich Leypold, Münchner Literaturstipendiat 2016, in seinen Texten immer wieder mit ungewöhnlichen und auch subtilen Dingen wie der Einsamkeit, dem Ausgegrenzt-Sein beschäftigt, mag nicht nur daran liegen, dass er selbst ein großer Träumer geblieben ist, dass er unzählige Betthupferl-Geschichten für den Bayerischen Rundfunk und Kinderbücher geschrieben hat, sondern auch, weil er dem Fantastischen in der Wirklichkeit nachspürt. Ein Baum mit Krähen, ein Haus, das einsam aussieht oder verwunschen, ein besonderer Mensch: Schon werden diese alltäglichen Beobachtungen zu Puzzleteilen in seinen Texten. Als Geschichtenerzähler, so glaubt der 49-Jährige, müsse man auf seine Welt zurückgreifen, das einbeziehen, was man erlebe, kenne. "Sonst", sagt er und lacht ein sehr stilles, aber auch ein wenig lausbübisches Lachen, "werden die Geschichten doch sehr dünn". Und dann, während er eigentlich an einer ganz anderen Geschichte über ein Flüchtlingsschicksal dran ist, kommt in Gesprächen mit seinem Toningenieur die Idee auf, ein Hörspiel zu schreiben, bei dem er selbst Regie führt.

Die Trolle kommen ihm wieder in den Sinn, der Plot, den er einst in sein Notizbuch geschrieben hatte. Der Ort, an dem alles spielen soll, ist auch schnell gefunden: das Haus an der Pettenkoferstraße, in dem Leypold in einer Wohnung im ersten Stock eines von drei Zimmern zu seinem kreativen Rückzugsort gemacht hat. Es sollte ein Hörspiel werden, nicht mit Geräuschen aus der Konserve, sondern mit echten Tönen der Wirklichkeit. "So etwas hat der Kinderfunk noch nie gemacht. Ein Hörspiel zu produzieren, das wie ein Film vor Ort aufgenommen wird", sagt Leypold. Und auch er betritt Neuland: als Regisseur.

Die Eingangstür des großen Hauses an der Pettenkoferstraße fällt also mit einem hellen "Klack" ins Schloss. Irgendjemand zieht laut seine Nase hoch, singt schräg und poltert stöhnend und schimpfend die Treppe hoch. Gundl, die Trollfrau will zu Lili. Gerd Lohmeyer spielt das ungehobelte Wesen - wunderbar furchtbar, mit hörbarem Vergnügen an sämtlichen Nuancen von Tönen, Schnorchlern und Sprachfarben. Und Synchronsprecherin Sabine Bohlmann, die Stimme von Lisa Simpson, verleiht Lili jene kindlich, aufgeregt hohe Stimme, dass man ihr das Prinzessin-Sein wahrlich abnimmt. Wie gerne lauscht man ihr und ihrer Sprache, die nie überzeichnet ist, sondern so natürlich daherkommt, so behutsam pointiert ist, dass die Worte wie kleine Perlen dahinkullern. In den anderen Rollen sind Shenja Lacher, Caroline Ebner, Richard Oehmann und Josef Parzefall ("Doctor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater") zu hören. Die frechen Lieder hat Magdalena Kriss geschrieben. Auch sie steht mit ihrem Akkordeon mitten im Treppenhaus. Und singt.

Fünf Tage und zwei Wochenenden haben die sechs Sprecher im Treppenhaus verbracht, den natürlichen Hall genutzt und den Klang des Knarzens regelrecht kultiviert. Durch den Klang der Treppenstufen, die jeder der Sprecher anders nutzte, entstand eine eigenwillige Dynamik. Und durch den Hall hätten, so Leypold, auch die Stimmen einen besonderen Rhythmus bekommen. Alles habe durch intensive Vorbereitungen geklappt - und dann doch auch wieder nicht. Einige Unwägbarkeiten zeigten sich erst während der Aufnahmen: Dass der Lichtschalter im Treppenhaus immer ausging zum Beispiel. Dass am Wochenende plötzlich ein Umzug im Haus die Aufnahmen störte. "Da haben wir einfach alle mitgeholfen und Kisten geschleppt", sagt der Regisseur. Leypold muss noch immer lachen, wenn er an jenen skurrilen Samstag denkt. Und dass hin und wieder Anwohner leise durch die Szene huschten.

Noch einmal zurück zur Geschichte: Es wäre keine von Kilian Leypold, wenn das Ende nicht eine positive Wendung bekäme. Lili und Gundl finden zusammen - weil beide ein Geheimnis haben, das sie eint. Es ist die Einsamkeit, die sie in ihre Rollen schlüpfen lassen. Ihr zu entgehen, dafür nehmen beide viel in Kauf. Ein klassisches Happy End ist es aber nicht. Eine Tür fällt ins Schloss. Wieder einmal und ganz leise. Diesmal nicht die Haustür, sondern Lilis Wohnungstür. Lili kehrt in die Wirklichkeit zurück, in eine durchaus geschützte Welt. Der Troll hingegen verschwindet. Ins Ungewisse.

Der Troll im Treppenhaus; Hörspiel von Kilian Leypold, zu hören unter bit.ly/2lLkMX2

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Quelle:
SZ vom 23.02.2017
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