Süddeutsche Zeitung

Hörenswert:Aus, Äpfel, Amen

Hans Wells Hörspiel zur Münchner Räterepublik

Von Christian Jooß-Bernau

"Ich hatt einen Schweinebraten / einen bessern findst du nit / Ich wollt ihn grad verdauen / da fing er an zu miauen / So reden Schweine nit." Wir sind im Hungerwinter 1917 in München. Es singen und spielen die Wellbappn. Ein paar Minuten später, auf der Theresienwiese, ist aus dem Knurren der Mägen der Jubel der Massen geworden: "Hoch Eisner! Hoch die Weltrevolution!", rufen sie am 7. November 1918. Zusammen mit seiner Frau Sabeeka Ganjee-Well hat Hans Well ein Hörspiel zum Jubiläumsjahr der Münchner Revolution konzipiert, das im Hörverlag auf zwei CDs erschienen ist. Regierungsbildung, Ausrufung des Freistaats, Ermordung Eisners, erste und zweite Räterepublik - in knapp sieben Monaten geraten Gewissheiten ins Schwimmen, und Weltentwürfe verknoten sich.

Das Hörspiel ist der ideale Raum für dieses Textgewirr - überliefert in Zeitzeugenberichten, in den Werken zahlreicher Literaten und veredelt mit ein paar O-Tönen. Gisela Schneebergers Stimme ist es, die hier Ordnung schafft, mit dem resoluten Naturell einer Führerin, die durch das Haus der Bayerischen Geschichte leitet, genauer gesagt durch einen Kellerraum, denn die Revolution, sie gehört in Bayern aus diesen und jenen Gründen nicht zum polierten Erinnerungsschatz. Flankiert wird Schneebergers Stimme unter anderem durch Gert Heidenreich, der über den Dingen schwebend die historische Entwicklung kartografiert. Zwischenfragen sind erlaubt und werden zu fußnotenhaften Exkursen genutzt, die, wenngleich sinnvoll, doch auch ein wenig beflissen wirken. Korrektiv für die Ausflüge in Richtung Volkshochschule ist aber die Musik. So wird der König durch ein Spottliedchen verabschiedet, und Schneebergers Stimme kommentiert: "750 Jahre Wittelsbach erledigt. Ruckzuck. Aus, Äpfel, Amen."

"Bis lang no in der Nacht / hört man die Sieger feiern / das war die Stunde der Geburt / von unserm Freistaat Bayern" - Hans Well lässt es sich nicht nehmen, an diesem Stachel im Fleisch der Konservativen ein wenig zu ruckeln. Die Sympathie ist aufseiten der Revolution und des basisdemokratischen Rätemodells. Aus der Fülle der Dokumente ragt auch "Exponat 102a", ein Schriftstück Felix Fechenbachs, das zeigt, wie Eisner über die Brüder Ludwig und Karl Gandorfer die Bauern einband, den Umsturz also auf eine breite gesellschaftliche Basis zu stellen versuchte.

Auf der zweiten CD tobt das "Tohuwabohu", als die Kommunisten versuchen, die Räterepublik nach Eisners Ermordung an die Wand zu fahren. Freikorps und Gustav Noskes Truppen dringen am 1. April 1919 in München ein. Es ist der Auftakt zu einem Gemetzel, dem die Standgerichte nur als Alibi dienen. Victor Klemperer steht am Stachus und beobachtet. Ihm sind vor allem die Münchner Bürger "zuwider". Schnell haben sie sich arrangiert mit den neuen Machtverhältnissen. Bereitwillig wird denunziert. Worte wie "Saujude" fallen.

Hans Well: Rotes Bayern. Die Münchner Revolution 1918 und die Räterepubliken 1919, zwei CDs, Der Hörverlag.

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Quelle:
SZ vom 08.08.2018
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