Süddeutsche Zeitung

Neue Hörbücher:Seebären und langsame Prosa

Vertonte Romane von Jon Fosse und Elena Ferrante sowie der Monty-Python-Komiker Michael Palin auf der Suche nach dem versunkenen Forschungsschiff "Erebus".

Von Florian Welle

Am Anfang peitschen Wellen, kreischen Möwen, streiten die Schiffsglocke und der Wind um die Oberhand. Erst am Ende kehrt die maritime Geräuschkulisse noch einmal zurück. Dazwischen ist es der Vorlesekunst Gert Heidenreichs zu verdanken, dass man sich die ganze Zeit über an Bord der "Erebus" wähnt. Sich erst mit James Clark Ross auf Expedition in die Antarktis begibt; und dann mit John Franklin in die Arktis, wo sich die Spuren des umgerüsteten Kriegsschiffs und seiner Besatzung für fast 170 Jahre verlieren sollten. Bis man das Wrack 2014 vor der Nordküste Kanadas aufspürte. Eine Sensation, die zwei Jahre später ihre Fortsetzung fand, als man auf die Überreste der "Terror" stieß, die ab 1845 gemeinsam mit der "Erebus" die Nordwestpassage suchte.

Als 2014 die letzte Vorstellung von "Monty Python Live (mostly)" zu Ende ging, war für den Schauspieler Michael Palin klar, dass er jetzt "etwas vollkommen anderes" machen müsse. Der Fund der "Erebus" elektrisierte den respektierten Reiseautor, der er eben auch war, sowie von 2009 bis 2012 Präsident der Royal Geographical Society. Palin recherchierte akribisch, bereiste die Nordwestpassage, das Ergebnis ist sein Buch "Erebus. Ein Schiff, zwei Fahrten und das weltweit größte Rätsel auf See", das nun bei Bonne Voice als Hörbuch vorliegt (mp3-Hörbuchdownload, 12 Stunden, 19 Minuten). Gert Heidenreich liest es mit Seebärstimme, auch er gepackt von Abenteuer- und Entdeckerlust. Der Alltag der Mannschaft wird anschaulich, die Kälte zieht einem in die Knochen. Palin selbst ist mit der "Erebus" noch nicht fertig: "Und vielleicht werde ich ja, so Gott will, eines Tages erneut in die Nordwestpassage reisen, dann aber mit einem Taucheranzug im Gepäck und das Schiff (...) mit eigenen Augen sehen."

Der kleine Schweizer Verlag Hörkultur hat sich einen Ausspruch Thomas Manns als Motto geliehen: "Das Epische ist Hörwerk weit eher als Lesewerk." Das Programm ist überschaubar, aber exquisit. So konnte man bereits dem krisenerprobten Ehebriefwechsel Emilie und Theodor Fontanes zuhören oder mit Leonid Zypkins Dostojewski-Roman einen außergewöhnlichen "Sommer in Baden-Baden" verbringen. Episch im Sinne Thomas Manns ist nun vor allem die jüngste Veröffentlichung: Jon Fosses gewaltiges Romanprojekt "Heptalogie", dessen erste beiden Teile unter dem Titel "Der andere Name" 2019 erschienen sind. Max von Pufendorf hat die knapp 500 ohne einen Punkt auskommenden Seiten eingelesen (2 mp3-CDs, ca. 12 Stunden, 14 Minuten).

Die stilistische Eigenart erfordert vom Sprecher, den Text, den Fosse als "langsame Prosa" verstanden wissen will, genau zu durchdringen. Pufendorf gelingt dies, indem er die Kommata zu wohlgesetzten Pausen nutzt und so diesem Gespinst von Roman über das Leben, die Kunst, Gott und den Tod eine Struktur verleiht. Jon Fosse geht es immer um Existenzielles, anderes interessiert den Meister der Verdichtung nicht. Er erzählt von dem Maler Asle, der nach dem Tod seiner Frau zurückgezogen an der Südwestküste Norwegens lebt. Sein letztes Bild zeigt zwei Striche, lila und braun, die sich kreuzen. Auch scheint "viel unsichtbares Licht" das Werk zu beseelen. Asle hat einen Doppelgänger desselben Namens, der ausschaut wie er und Maler ist wie er. Jedoch ist er dem Alkohol verfallen. Zwei Personen oder eine einzige? "Der andere Name" ist ein Künstlerroman, in dem der Erzähler aus sich heraustritt und zum Beobachter seiner selbst wird. Oder handelt er von Fosse selbst, der einst dem Alkohol abschwor, zum Katholizismus konvertierte und auch äußerlich Ähnlichkeit mit Asle hat? Max von Pufendorf liest dieses Buch ganz im zurückgenommen Duktus innerer Zwiesprache.

Der Bayerische Rundfunk hat Elena Ferrantes "Neapolitanische Saga" als stimmungsvolles Hörspiel in der Regie von Martin Heindel produziert. Band eins, "Meine geniale Freundin", ist bereits im Hörverlag erschienen (vier CDs mit Booklet, drei Stunden 27 Minuten), Fortsetzung folgt. Hier rufen die Mütter durch die Hinterhöfe, läuten die Glocken, ertönen Klopfgeräusche aus der Schusterwerkstatt. Für noch mehr Atmosphäre sorgt die lautmalerische Komposition von Ulrike Haage. Christiane Roßbach, als 66-jährige Elena Greco, erzählt die Geschichte ihrer besonderen Freundschaft mit der "strahlenden" Lila. Mit ihr tauchen wir ein ins Neapel der Fünfzigerjahre, in eine Kindheit aus Armut und Gewalt. Ann-Sophie Ruhbaum spricht in den Rückblenden die ganz junge Elena, die wunderbare Rosalie Thomass ist später die jugendliche Elena. Auch Lila wurde mit Helena Schrei und Enea Boschen jeweils altersgemäß besetzt.

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