Hörbuchkolumne:Mondsüchtig

Burgruine im Mondschein

Im lyrischen Kasperletheater das lächerlichste aller Requisiten: der Mond.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/picture-alliance/ dpa)

Deutsche Dichter besingen den Mond, Charly Hübner besingt Motörhead und August Diehl spricht Rilke: die Hörbücher zum Jahresausklang.

Von Florian Welle

Schon immer zog der Mond die Menschen in seinen Bann. Man verehrte den Himmelskörper, Dichter besangen ihn. Vor allem hierzulande. Nachzuhören ist das auf der bei GoyaLit erschienenen Zusammenstellung "Es war, als hättʼ der Himmel die Erde still geküsst" mit Mondgedichten aus fünf Jahrhunderten (3 CDs, 140 Minuten). Ulrich Maske hat 115 Gedichte ausgewählt und sie nicht chronologisch, sondern nach Themen wie Jahreszeit, Sehnsucht-Liebe- Einsamkeit und ja, auch Alkohol geordnet: "Mein Lieber, weiß er wohl, ist einmal nur im Monat voll", lässt Heinrich Christian Boie im 18. Jahrhundert einen Säufer dem Mond zurufen. Der Humor kommt in dieser von Julia Nachtmann, Stefan Kaminski, Katharina Thalbach und weiteren Interpreten eingesprochenen Sammlung nicht zu kurz.

Natürlich fehlen zwei der bekanntesten Mondgedichte nicht, Goethes inniges "An den Mond" und Matthias Claudiusʼ christlich geprägtes "Abendlied". Viele Romantiker sind zu hören - Eichendorffs "Mondnacht", dessen Verse dem Hörbuch den Namen gaben, ist doppelt vertreten. Es eröffnet und beendet die Auswahl und rahmt so Gedichte u.a. von Anna Ritter, Karl Marx, Else Lasker-Schüler, Erich Mühsam und Mascha Kaleko; ergänzt durch ein paar hauptsächlich von Maske selbst gesungenen Songs, darunter eine viel zu glatte Version von Rio Reisers "Junimond". Jeder entscheidet selbst, ob er am Ende mondsüchtig oder doch eher mondmüde ist, wie Otto Julius Bierbaum in seinem gleichnamigen Gedicht. So oder so, sein genial genervter Abgesang bleibt hängen: "Der Mond, das lächerlichste aller Requisiten/Im lyrischen Kasperletheater ..."

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Inspiration lieferte der Literatur auch seit jeher das Weihnachtsfest, Inbegriff bürgerlichen Selbstverständnisses. Davon zeugen alljährlich die Weihnachtsanthologien in den Buchläden, wobei Thomas Manns Beschreibung der Feierlichkeiten im Hause Buddenbrook nicht fehlen darf. Ein Dichter, dem Weihnachten zeitlebens Mysterium geblieben ist, war Rainer Maria Rilke. "Welche Kraft hat dieses eindringliche Fest?", schreibt er im Januar 1920 an Dorothea Freifrau von Ledebur und antwortet selbst: "Ich glaube, wir habenʼs im Blut wie ein Elementares ... wie die Gestirne. Nun, es ist ja auch der Einfluss eines Sternes." Zu hören in dem von August Diehl bravourös gelesenen Hörbuch "Weihnachten mit Rilke. Briefe und Gedichte" (1 CD, 1 Stunde 27 Minuten). Vorlage für die DAV-Produktion ist ein von Antje Erdmann-Degenhardt vor Jahren herausgegebenes Buch im Aufbau Verlag, das Diehl zu neuem Leben erweckt. Er trifft Rilkes Ton, in dem er die Gedichte beseelt vorträgt, ohne je sentimental zu werden. Bei den Briefen, die den überwiegenden Teil ausmachen, ist Diehls Stimme fest und bestimmt. Der Dichter schickt sie immer um die Jahreswende an seine Vertrauten, aus Rom, aus Capri, aus Ronda. Dabei beschwört er den Segen des In-sich-Gehens und Alleinseins. Er führt dies auf die durchwachten Weihnachtsnächte seiner Kindheit zurück, in denen er nicht weniger als zu sich selbst fand. "Was wäre ich ohne die Stille, die damals in mir entstand, was ohne dieses ganze Erlebnis, in dem Wirklichkeit und Wunder dasselbe geworden waren?", heißt es 1906 in einem langen Brief an Clara Rilke-Westhoff.

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Lemmy Kilmister war ein echtes Christkind, geboren an einem 24. Dezember. Mit stiller Besinnlichkeit freilich hatte der Frontmann von Motörhead überhaupt nichts am Hut. Wie er Charly Hübners Leben beeinflusste, berichtet dieser in dem Buch "Motörhead oder Warum ich James Last dankbar sein sollte", das er für tacheles!/Roof Music auch selbst eingelesen hat (3 CDs, 2 Stunden, 36 Minuten). Nimmt man allein die Hörbücher, denen der Schauspieler in jüngster Zeit seine Stimme geliehen hat, fällt seine Liebe fürs Widerborstige auf: Jörg Fauser war darunter, die Biografie Udo Lindenbergs, der irrwitzige Roman des japanischen Punk-Rockers Ko Machida "Vom Versuch einen Glücksgott loszuwerden". So eine Liste kommt nur zustande, wenn einer als verstockter Teenager aus der "Ohnmacht gegen den Schlagerkram" der Eltern brachial herausgerissen wurde. Hübner, "spätes DDR-Kind", hatte sein Erweckungserlebnis als ihm "frisch jugendgeweiht" im Kulturhaus Juri Gagarin zwei Jungs eine Kassette zusteckten. Darauf "The Hammer" von Motörhead: "Es wurde von Beginn an ein heiliges Hören."

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Hübner will seinen grundsympathischen Trip in die eigene Vergangenheit als "Traum" verstanden wissen. Ein Traum, in dem ihm ein munter Platt schnackender Teufel zur Seite steht, und man am Ende mehr über Kindheit und Jugend in einer "fragilen DDR-Kleinstadtgesellschaft" im Süden Mecklenburgs erfahren hat als über Motörhead. Florian Welle

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