Süddeutsche Zeitung

Hörbuchkolumne:Hörspiele nach Remarque

Am 25. September 1970 starb Erich Maria Remarque. Aus Anlass des 50. Todestages sind zwei Hörspiele nach seinen Romanen erschienen: "Im Westen nichts Neues" und "Die Nacht von Lissabon".

Von Florian Welle

Am 25. September 1970 starb Erich Maria Remarque in Locarno. Anlässlich des 50. Todestags hat Der Audio Verlag zwei Hörspiele veröffentlicht, die man gut zusammen zu denken und hören kann. Die bei Radio Bremen entstandene Adaption von "Im Westen nichts Neues" geht bereits auf das Jahr 2014 zurück, während "Die Nacht von Lissabon" eine Gemeinschaftsproduktion von WDR und Radio Bremen aus dem letzten Jahr ist.

Literaturhörspiele werden von den Hörverlagen durch eine entsprechende Aufmachung inklusive umfangreichem Booklet als hochwertiges Gesamtpaket in Szene gesetzt. Hier verweist bereits die Cover-Gestaltung auf beide Werke. Auf beiden CD-Hüllen spielt eine Rauchwolke auf die Inhalte an. Im Fall von Remarques weltberühmtem Antikriegsroman von 1929 rührt sie von einem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs her. In dem Exilroman "Die Nacht von Lissabon", veröffentlicht 1962, steigt sie hingegen aus den Schornsteinen eines Dampfers auf, der den namenlosen Erzähler und seiner Frau die Flucht aus dem von den Nazis besetzten Europa des Jahres 1942 ermöglichen könnte, wenn ihnen nicht das Geld, die Papiere dafür fehlten. Auch das Artwork im Inneren der Cover spiegelt sich mit zwei historischen Aufnahmen. Hier das Foto eines Schützengrabens bei Chavonne. Dort der Hafen Doca de Alcântara von Lissabon. Heike Drescher hat für beide Booklets lesenswerte Texte verfasst, in denen sie sich für den Humanisten Remarque als Chronisten "deutscher Geschichte von 1914 bis 1950" stark macht.

In "Im Westen nichts Neues" heißt es: "Wörter, sie umfassen das Grauen der Welt." Regisseurin Christiane Ohaus nahm diese Stelle für ihre Umsetzung (DAV, 2 CDs mit Booklet, 1 Stunden 48 Minuten) ernst und hat auf so gut wie jede Realismus vorgaukelnde Geräuschkulisse verzichtet. Ihr genügt, dass Patrick Güldenberg als 19jähriger Paul Bäumer leise, an der Grenze zur Sprachlosigkeit, die Worte "Trommelfeuer, Sperrfeuer, Gardinenfeuer" aneinanderreiht, und schon beginnt im Kopf des Hörers der Krieg zu tönen. Man hat "Im Westen nichts Neues" als Roman einer verlorenen Generation bezeichnet - verloren klingen hier auch die Klarinetten- und Akkordeontöne (Komposition: Michael Riessler). Mitunter spielen sich die Instrumente sogar in den Vordergrund, während Güldenbergs Stimme wie von weit her zu hören ist. Was er zu berichten hat, verliert selbst aus dem Off nichts von seiner Wirkung.

Erich Maria Remarque, das machen die Hörspiele noch einmal klar, war ein Autor, der Sätze von großer Prägnanz geschrieben hat. "Das Unglück der Welt rührt oft von kleinen Leuten her", heißt es in "Im Westen nichts Neues". In "Die Nacht von Lissabon": "Der Mensch der letzten fünf Jahre hatte Selbstmord begangen und ein anderer lebte." Damit der Mann mit seiner Frau aus Europa wegkäme, bräuchte es "ein Wunder". In Gestalt von Josef Schwarz scheint dieses einzutreten. Schwarz überlässt dem Unbekannten seine Dokumente, wenn dieser dafür eine Nacht lang seine Geschichte anhört, die von Verhaftung und Flucht, Liebe und Tod handelt.

Remarque benutzt für die Emigrantengeschichte in der Emigrantengeschichte das Wort "Schattenbeschwörung". Wie eine solche klingt auch Silke Hildebrandts Hörspielfassung (DAV, 2 CDs mit Booklet, 1 Stunde 46 Minuten). Zwischen Max Simonischek als Mann und Max von Pufendorf als Josef Schwarz entspinnt sich das dichte Kammerspiel zweier erschöpfter Menschen, die sich von Bar zu Bar treiben lassen. Verstärkt wird die fast irreale Atmosphäre durch die Musik von Julia Klomfaß. Auch hier, wie bei "Im Westen nichts Neues", ist neben Streichern immer wieder ein verwehtes Akkordeon zu hören. Die Komposition beglaubigt die von Schwarz beschworenen "Augenblicke von fast unwirklicher Süße, Liebe und Trostlosigkeit".

Noch ein exquisit ausgestattetes Literaturhörspiel, aber viel blumiger, leichter, federnder: "Verstand und Gefühl" (Der Hörverlag, 3 CDs mit Booklet, 3 Stunden 53 Minuten). Bei Jane Austen, Meisterin der spöttischen Charakterzeichnung, ist fast alles (Liebes-)Gezwitscher, miteinander und übereinander. Birte Schnöink ist in der Produktion des Hessischen Rundfunks Elinor Dashwood: ganz prinzipienfest. Sie repräsentiert den Verstand. Leonie Rainer als Marianne ist das genaue Gegenteil ihrer älteren Schwester: empfindsam und überspannt. Die Männer dazwischen: mal zugeknöpft und schüchtern, mal Verführung pur. Alexander Schuhmacher hat den Reigen äußerst vergnüglich inszeniert. Es klimpert das Teegeschirr, schnauben die Pferde, und das Trio "Instant Music Factory", bestehend aus Klarinette, Gitarre und Kontrabass, sorgt für elegisch-verträumte Untermalung. Alles hochironisch, natürlich.

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SZ vom 25.09.2020
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