Hörbuchkolumne:Was ist Watt?

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Einer der intimsten Kenner dieser Landschaft erzählt in freier Rede für den supposé-Hörverlag: Karsten Reise, der ehemalige Leiter der Wattenmeerstation Sylt.

(Foto: Annie Hall/imago images / Westend61)

Senta Bergers Schmunzeln im Hörspiel zu Gustave Flauberts "Lehrjahre der Männlichkeit" und mehr neue Hörbücher.

Von Florian Welle

Die Jubiläen von Marcel Proust im Juli und Gustave Flaubert im Dezember werfen ihre Schatten voraus. Zum 150. Geburtstag Prousts hat der Hörverlag gerade die kultivierte Lesung von Peter Matić neu herausgebracht, die als Sprachkunstwerk gefeiert wurde und viele Preise erhielt: "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", aufgenommen zwischen 2001 und 2008, 156 Stunden lang. Sie hat nichts von ihrer den Hörsinn verzaubernden Kraft verloren. Der 2019 gestorbene Matić hat seine Lesung mit der Besteigung eines "gewaltigen Berges" verglichen. Ein Vorteil der Neuauflage: Der Schuber der Gesamtausgabe mit 17 MP3-CDs inklusive eines umfangreichen Booklets ist gerade einmal so groß wie einst derjenige von "In Swanns Welt" mit 18 Audio-CDs. "Wenn wir den Gipfel erklimmen", sagte Matić, "gewinnen wir einen unverlierbaren Schatz. Wir erfahren viel über uns selbst".

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Der Südwestrundfunk hat in Koproduktion mit dem Audio-Verlag zum 200. Geburtstag Flauberts dessen "Éducation sentimentale" als geschliffenes Hörspiel inszeniert (4 CDs mit Booklet, 4 Stunden 48 Minuten). Manfred Hess, Chefdramaturg des SWR-Hörspiels, hat dabei Geduld bewiesen. Nach Elisabeth Edls vielfach gelobter Neuübersetzung der "Madame Bovary" 2012 war für ihn klar, dass er warten würde, bis sie auch die "Éducation" in Angriff nahm. Vergangenes Jahr erschien nun ihre Übersetzung unter dem diskussionswürdigen Titel "Lehrjahre der Männlichkeit". Sie dient als Vorlage für das exquisit besetzte Hörspiel "nach dem Roman" Flauberts. Dieser steht für formvollendete Desillusion. Im Zentrum des Gesellschaftsgemäldes der 1840er- und Fünfzigerjahre steht der von Patrick Güldenberg gesprochene Werdegang des jungen Frédéric Moreau, der "nach Höherem strebt" und doch in jeder Beziehung erbärmliches Mittelmaß bleibt. "Ich schaffe nicht aus purem Vergnügen Trostlosigkeit", rechtfertigte sich Flaubert gegenüber George Sand, "aber ich kann meine Augen nicht austauschen!"

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Der umtriebige Regisseur Leonhard Koppelmann, von dem gerade auch Hörspieladaptionen von Robert Harris' Dystopie "Der zweite Schlaf" sowie von Richard Adamsʼ Klassiker "Unten am Fluss" herausgekommen sind, fängt den Geist der Vorlage ein. Allen voran glänzt Senta Berger als unbarmherzige Erzählerin. Ihre Stimme ist gelassen bis distanziert, trotzdem scheint ihr stets ein Schmunzeln auf den Lippen zu liegen. Sie trifft also Flauberts spöttischen Ton genau. Während die Geräuschkulisse mit Kutschengeratter auf Realismus setzt, nimmt die Komposition für fünf Musiker von Peter Kaizar vielfältige Anleihen bei Kammermusik bis Jazz. Koppelmann hätte sie allerdings pointierter einsetzen sollen, sie nimmt mitunter Formen einer Daueruntermalung an, die vom Gesprochenen ablenkt.

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Auch Frank Goosen ist Chronist. Seit seinem Debüt "Liegen lernen" setzt der 1966 in Bochum geborene Kabarettist und Schriftsteller dem Ruhrgebiet ein literarisches Denkmal. "Sweet Dreams" schreibt er nun als einen "Rücksturz in die Achtziger", so der Untertitel, und wie bei allen seinen Büchern, ist die Autorenlesung dazu bei Tacheles!/Roof Music erschienen (1 MP3-CD, 4 Stunden 7 Minuten). Goosen sollte man in der Tat lieber hören als lesen. Er selbst hat das beste Gespür für den "Umme Ecke"-Sound seiner trockenkomischen Erzählungen. Die jüngsten bringen ein Wiedersehen mit Figuren wie Förster aus dem Buch "Förster, mein Förster" oder liefern Autobiografisches, wie häufig bei Goosen. Und so stürzen wir zurück in seine Jugend mit all ihren Nöten, die gleichzeitig die Zeit der Zechenstilllegungen, der Vokuhilas und der Schneider-Kompaktanlage "Power Pack" war: "Das Alte war noch nicht ganz weg, das Neue noch nicht ganz da."

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Der Hörbuchverlag Supposé ist in Wyk auf Föhr beheimatet. Sein Verleger Klaus Sander hat schon viele Denker, Schriftstellerinnen und Wissenschaftler eingeladen, über ihr Fachgebiet und Leben zu erzählen. Gerade hat er jemanden vor das Mikrofon geholt, der nur eine Insel weiter arbeitet: Karsten Reise. Der Zoologe und Wattforscher leitete am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung die Wattenmeerstation Sylt, wo er auch nach seiner Emeritierung noch wirkt. Vor allem seinem Engagement ist es zu verdanken, dass das Wattenmeer zum Unesco-Weltnaturerbe ernannt wurde. Und so verwundert es nicht, dass Reise für "Mit dem Meer leben" (3 CDs mit Booklet, 3 Stunden 28 Minuten) erst einmal in schönstem Norddeutsch die Frage beantwortet "Ja, was ist überhaupt Watt?" Man spürt seinen Enthusiasmus für die einzigartige Watt-, Dünen- und Deichlandschaft, der sich mit jeder Minute mehr auf den Hörer überträgt. Reise erzählt so verständlich wie packend, egal ob er nun über den Wattwurm referiert oder die grundsätzliche Frage, wie man Küste neu denken kann.

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