Süddeutsche Zeitung

Hörbücher von Roald Dahl:Bittere Schokolade

Christoph Maria Herbst und Matthias Matschke haben zwei Geschichten von Roald Dahl neu eingelesen. In denen geht es heftig zur Sache.

Von Stefan Fischer

Mochte Roald Dahl Kinder? Nun, in seinen Geschichten, die sich explizit an Kinder wenden, ist er jedenfalls nie sonderlich zimperlich mit ihnen umgegangen. Schon gar nicht mit den gefräßigen, den unverschämten, den (denk-)faulen. Die einzige Gier, die er an seinen jungen Helden und Antihelden schätzte, war die Neugier.

Eigentlich passen seine Geschichten also gar nicht in die aktuelle Zeit, in der die Achtsamkeit und Rücksichtnahme gar nicht groß genug sein können, in der also über jede Ungezogenheit gerne hinweggesehen und jede Kritik als Einschränkung der Persönlichkeitsentwicklung verurteilt wird.

Und doch erscheinen bei Penguin Random House gerade diverse Bestseller Dahls in neuen Übersetzungen, außerdem sind unter anderem "Charlie und die Schokoladenfabrik" sowie "Hexen hexen" zusätzlich neu als Hörbücher eingelesen worden. Der Charme beider Geschichten liegt in ihrer Fantastik; darin, was bei weitgehendem Realitätsbezug eben doch möglich ist - physikalisch, technisch, finanziell. Und eben auch in ihrem Mut, es sich mit Kindern (und ihren Eltern) zu verscherzen.

Das harmlosere der beiden Abenteuer spielt in Willy Wonkas Schokoladenfabrik, von der niemand weiß, was in ihrem Inneren vor sich geht. Bis der schrullige Besitzer fünf Kinder einlädt, sie zu besichtigen. Schnell wird ihm - und auch den Zuhörern klar - dass vier dieser Kinder dieser Ehre nicht würdig sind. Nur der bescheidene Charlie Bucket und sein begeisterungsfähiger 96-jähriger Großvater sind nach Wonkas Geschmack. Sie sind die Einzigen, die nicht in die Maschinerie der Fabrik geraten. Weil sie deren rätselhafte Kunstfertigkeit zu schätzen und bewundern wissen.

Matthias Matschke liest diese Geschichte, mit teilweise verstellter Stimme, wann immer er knarzige Großeltern, überdrehte Kinder oder selbstherrliche Eltern spielt. Und einer ansonsten wohltuenden Zurückgenommenheit, in der Gewissheit, dass diese Geschichte keiner überbordenden Interpretation bedarf, um zu wirken.

Anders liegen die Dinge bei Christoph Maria Herbst und wie er "Hexen hexen" interpretiert. Dies ist eine schauerliche Geschichte über eben Hexen, die nichts mehr verabscheuen als Kinder und es als ihre Aufgabe ansehen, die Heranwachsenden zu eliminieren. Bislang werden sie nur hie und da eines Kindes habhaft und lassen es verschwinden. So gelingt es ihnen beispielsweise, ein Mädchen zu verhexen, das fortan in einem Gemälde lebt, welches ihre Eltern an der Wand hängen haben. Nun aber möchte die Oberhexe die Sache systematisch angehen und peitscht ihre Gefolgschaft dementsprechend auf einer Jahresversammlung ein: Alle Kinder sollen in Mäuse verwandelt und von Fallen erlegt werden.

Der Tonfall von Herbsts Lesung stellt eine unmissverständliche Parallele her zwischen der Hexengroßmeisterin und Hitler respektive Goebbels. Was denen die SS war, ist der Oberhexe ihre treu ergebene Gefolgschaft, die sie im Konferenzsaal eines britischen Urlaubshotels anstachelt, als wäre es der Berliner Sportpalast im Februar 1943.

Diese Lesung treibt "Hexen hexen" die immanente Märchenhaftigkeit gehörig aus, macht unüberhörbar, was schon immer als eine Lesart in dieser Geschichte gesteckt hat - eine Parabel auf den nationalsozialistischen Genozid an den Juden.

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