Hörbuch-Kolumne:Stimmenreigen

Monika Helfer liest ihr Buch "Die Bagage" selbst, ein Hörspiel scheitert an Vergil, aber Schnitzlers "Reigen" bleibt frisch. Und Sophie Passmann hört Frank Oceans "Blonde".

Von Jens Bisky

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Nur einmal in der Woche kommt der Postadjunkt herauf zum Haus, in dem Josef und Maria wohnen, am Rand des Dorfes, "am letzten Ende hinten oben". Der Weg ist beschwerlich, da draußen wohnt die "Bagage", das "Aufgeladene", wie man sie nennt, weil die Vorfahren Josefs Träger gewesen waren und in der dörflichen Hierarchie ganz unten rangierten. Im September 1914 bringt der Adjunkt Post vom Militär, der fesche Josef muss in den Krieg, und seine schöne Frau bleibt allein zurück. Er bittet den Bürgermeister, auf sie aufzupassen, aber das hilft nicht viel. Bald verfällt Marie einem Deutschen, dem schönen Georg, und dann kommt Grete zur Welt, die Josef nie berühren, nicht einmal schlagen wird. Monika Helfer, geboren 1947, erzählt in "Die Bagage" die Geschichte ihrer Großeltern, der Großmutter Maria, "der alle Männer nachgestiegen wären, wenn nicht alle Männer Angst vor ihrem Mann gehabt hätten", und ihrer Mutter Grete. Der kurze, im Januar erschienene Roman handelt von Liebe und Eifersucht, der immer auch asozialen Macht der Schönheit, vom Angezogenwerden und vom Fortstoßen, vom Nichtdazugehören. Monika Helfer liest ihr Werk selbst (Die Bagage, Der Hörverlag, 4 CD, 4 Stunden, 36 Minuten). Helfers Stimme klingt angenehm aufgeraut, zart und entschlossen zugleich. Sie erinnert halb an Angela Winkler, halb an Sophie Rois, gern lässt man sich von ihr ins Bergdorf entführen und in Familienbande verstricken.

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Vergils "Aeneis" ist auch eine Geschichte von Liebe, Eifersucht und Dazugehörigkeit. Allerdings haben die Götter vorab in etwa entschieden, was zu geschehen hat. Aeneas wird aus dem brennenden Troja fliehen und in Latium, am Tiber, eine Stadt gründen, seine Nachfahren werden eine friedliche Ordnung aufrichten, das Reich des Augustus. Es dauert, bis er sein Ziel erreicht hat, denn auch die Götter sind zerstritten. 1982 hat der Südwestfunk ein Hörspiel nach Vergil produziert, das der Berliner Audio-Verlag nun ausgegraben hat (Aeneis, mit Paul Edwin Roth, Joachim Nottke, Christine Davis u. v. a., DAV, 3 CD, 3 Stunden und 21 Minuten). Ein Erzähler führt von Station zu Station, Dido entbrennt in Liebe, der Vater Anchises stirbt, Aeneas steigt hinab in die Unterwelt, es wird verflucht und gekämpft und geklagt. Viel ereignet sich, aber das Hörspiel in der Regie von Thomas Köhler begeistert nicht und macht nicht neugierig. Vergils Kunst, Staatsideologie zu schreiben und zugleich zu kritisieren, wird kaum hörbar. Zu groß scheint der Respekt vorm Bildungsgut gewesen zu sein, um den Punkt zu finden, von dem aus das Epos interessant werden könnte.

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Als Helmut Qualtinger, Christiane Hörbiger, Helmut Lohner, Blanche Aubry 1966 Arthur Schnitzlers "Reigen" für Preiser Records einlasen, galt für das Stück noch ein Aufführungsverbot. Die zehn Beischlafszenen, die so großartig sind, weil Schnitzler auf Sinnstiftung und Verkitschung verzichtete, waren 1920, lange nach ihrer Entstehung, uraufgeführt worden und wurden in Berlin wie wenig später in Wien zum Hassobjekt der Sittlichkeitswächter und Antisemiten. Der Autor bat seinen Verlag, weitere Aufführungen nicht zu genehmigen, sein Sohn Heinrich verlängerte das Verbot. Es blieb bis zum 1. Januar 1982 in Kraft. Was also auf dem Theater nicht möglich war, konnte sich doch vor dem Mikrofon ereignen (Reigen, DAV, 2 CD, 1 Stunde, 42 Minuten). Mit Freude am Wienerischen, auch an Direktheit, kaum verhohlener Begierde, führen die Schauspielerinnen und Schauspieler durch die Gesellschaft: von der Dirne und dem Soldaten über den Gatten und das süße Mädel bis hin zum Grafen und der Dirne: "I geh' auch nicht mit ein' jeden. Gott sei Dank, das hab' i net notwendig, ich such' mir s' schon aus".

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Für die KiWi-Musikbibliothek schreiben Autorinnen und Autoren über ihre Lieblingsband, die Idee, daraus Hörbücher zu machen, liegt nahe. Leider fehlt auf diesen die Musik, aber die lässt sich ja leicht anderswo finden. Sophie Passmann, die mit dem Buch "Alte weiße Männer" bekannt geworden ist, erklärt sehr überzeugend, warum sie eines Tages beschloss, dass auf ihrer Beerdigung Frank Oceans Album "Blonde" gespielt werden sollte. Es kam im Sommer 2016 heraus und hat Sophie Passmann durch eine aufregende Zeit begleitet (Frank Ocean, tacheles bei roofmusic, 1 CD, 68 Minuten). Es war der Soundtrack zu manischen Aufschwüngen und depressiven Abstürzen, zu Verliebtheit und Enttäuschung. Die 1994 geborene Autorin leidet unter einer bipolaren Störung. Sie hat die angenehme Eigenschaft, Zugeständnisse an die Realität zunächst einmal langweilig zu finden. Auch das avancierte zeitgenössische Emotionsmanagement braucht Musik, braucht Kunst.

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