Süddeutsche Zeitung

Hörbuch-Kolumne:Schneeharsch

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"Winter is coming": In einigen neuen Hörbüchern spielt die vierte Jahreszeit eine wichtige Rolle.

Von Florian Welle

Winter Is Coming: In Zeiten des Klimawandels offenbart der bekannteste Spruch aus dem "Game Of Thrones"-Universum einmal mehr, dass es sich dabei um reine Fantasy handelt. Selbst wenn es hierzulande einmal schneit oder sich die Temperaturen unter null Grad wagen - dass der Winter naht, kann man schon lange nicht mehr behaupten. Trost spendet allen Schneeentwöhnten zuverlässig nur die Literatur, die seit jeher die vierte Jahreszeit für dramatische Zuspitzungen, wenn nicht gleichals Symbol für Archaik, Einsamkeit und Tod, zu nutzen weiß. Auch in einigen der jüngsten Hörbücher spielt der Schnee eine zentrale Rolle.

In ihrem Kabarettprogramm "Winter Is Coming", das als Live-Mitschnitt vorliegt ( Der Hörverlag, 2 CDs, 1 h 55 Min.), erklären die Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher, der Astronom Florian Freistetter und der Molekularbiologe Martin Moder "Die Wissenschaft von Game of Thrones". Der Kabarettist Martin Puntigum führt als Conferencier der Truppe wortgewandt und schwarzgallig durch den Abend, bringt mit seinen "Fachkräften für Schneeräumung" Licht in die Sex- und-Crime-getränkte Welt von Westeros. Das hat einen sympathischen Zug ins Größenwahnsinnige: Den alles entscheidenden Fragen "Wann kommt der Winter?" und "Wie lange wird er bleiben?" geht es mit Hilfe der Chaostheorie an den Kragen.

Auch in "Ein ganzes Leben", in dem der gebürtige Wiener Robert Seethaler die Geschichte des Arbeiters, Seilbahnbauers, Kriegsgefangenen und Bergführers Andreas Egger erzählt, ist es meist Winter. Es fällt, liegt, schmilzt Schnee, und Eggers große Liebe Marie wird unter einer Lawine begraben. "Stark, aber langsam" ist er. Als Kind zum Krüppel geschlagen, durchmisst sein wortkarges Leben fast das ganze 20. Jahrhundert. Trotzdem stirbt er "zufrieden". Ein unsentimentaler (Berg-)Roman von geringem Umfang, aber leiser Wucht, die sich auch in der Hörspielfassung von Elisabeth Weilenmann entfaltet. Das von SRF und ORF produzierte Hörspiel ( DAV, 1 CD, 51 Min.) hört sich ganz undramatisch an, selbst als "der Berg zu singen beginnt" und sich so das Lawinenunglück ankündigt, setzt die Regie nicht auf Lärm, sondern bis auf ein helles Ziepen auf verstörende Ruhe. Die Adaption hat nur wenige Dialogpassagen samt sparsam eingesetzter Tierlaute und wird vor allem von Peter Matić getragen, der als Erzähler den größten Part hat. Dabei ruht er in sich, manchmal meint man, einen Märchenton herauszuhören. Was gut passt, erzählen doch auch Märchen von den Wechselfällen des Lebens.

"Und jetzt aufgepasst!" Mit diesen Donnerworten beginnt "Gesang der Fledermäuse" von Olga Tokarczuk. Er spielt auf einem Hochplateau an der polnisch-tschechischen Grenze. Dort passt im Winter die ehemalige Brückenbauingenieurin Janina Duszejko auf die Häuser der Sommerfrischler auf, die der Kälte, "die uns jeden Winter wieder daran erinnert, dass die Welt nicht für den Menschen geschaffen ist", den Rücken gekehrt haben. Die Ich-Erzählerin Duszejko ist wunderlich - "der Zorn bewirkt auch die Gabe des Hellsehens" -, ihre engsten Gefährten sind der Wald und die Tiere. Auch das klingt verdächtig nach Märchen, bis es den ersten Toten zu beklagen gibt und sich das Krimi-Genre in die schräge Geschichte einschleicht, der Tierschutz als Motiv. Angelika Thomas hat mit "Gesang der Fledermäuse" erstmals einen Roman der Nobelpreisträgerin eingelesen ( DAV, 1 mp3-CD, 8 h 40 min), liest mal zornig, mal zart. Und über weite Strecken einfach nur schneeharsch.

Neujahr in den schottischen Highlands. Aus der Idylle mit Berghütte wird für eine Gruppe von Freunden, als man einschneit, ein klaustrophobischer Ort. Das Gerücht von einem Serienmörder macht die Runde, dann liegt auch hier ein Toter in der Kälte. "Neuschnee" von Lucy Foley ist ein klassischer Thriller, routiniert gelesen von fünf Schauspielern, unter ihnen Monika Oschek und Sandrine Mittelstädt ( Der Hörverlag, 1 mp3-CD, 9 h).

"Es gibt keinen Neuschnee" proklamierte hingegen Kurt Tucholsky in dem gleichnamigen Feuilleton, das sich neben 29 weiteren Texten und Gedichten auf "Zwei Seelen. Peter Franke spricht Kurt Tucholsky" findet ( Goya Lit, 1 CD, 85 Min.). Alles, was der Mensch macht, hat schon einer vor ihm gedacht und gemacht. Diesem melancholischen Lebensgefühl - "für dich ist es Neuschnee, der da liegt, es ist aber keiner" - wird am Ende ein "Das darf dich nicht entmutigen. Klettere. Steige" entgegengetrotzt.

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SZ vom 29.01.2020
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