Süddeutsche Zeitung

Hörbuch:Ein Freund dünn wie Dünengras

Das Hörbuch "Elektrische Fische" erzählt die Geschichte von Heimweh und Ankommen, von Geschwistern, die mit ihrer Mutter von Irland zurück nach Deutschland ziehen müssen.

Von Florian Welle

In Susan Krellers zu Herzen gehender Geschichte "Elektrische Fische", die für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert ist, leiden die Figuren am Verlust der vertrauten Umgebung. Sie haben Heimweh. Eine Mutter kehrt mit ihren drei Kindern Aoife, Emma und Dara nach 20 Jahren und einer gescheiterten Ehe Dublin den Rücken und geht in ihr Heimatdorf in Mecklenburg-Vorpommern zurück. "Wir lebten im Heimweh unserer Mutter", beschreibt die zwölfjährige Ich-Erzählerin Emma die Situation in Irland.

In Velgow, so der (fiktive) Name der Ortschaft, ist für die Kinder gleich nach der Ankunft "alles falsch". Die Provinz ist trist, die Menschen abweisend. Vermisst wird der Tee, das Meer, die Sprache. Obwohl die drei Deutsch können, wird vor allem die Sprache zum Problem. Emma fühlt sich, als wäre sie "in einem Deutsch gelandet, in dem ich mich immer wieder verlaufe". Die achtjährige Aoife wiederum verstummt vollständig, nachdem die Mitschüler sie "Affe" nennen. Nur der 16jährige Dara kommt anscheinend klar. So steht für Emma fest, dass sie so schnell wie möglich nach Dublin zurück will. Susan Kreller entwickelt die Geschichte, in der äußerlich wenig passiert, behutsam. Dafür ist ihr Blick auf die Figuren umso genauer, findet sie treffende Bilder für deren Innenleben, zum Beispiel, das "das Meer eine Stirn mit Sorgenfalten" ist. Die Autorin fragt, was ein Zuhause ausmacht, wie sich Heimweh anfühlt, was eine Familie zusammenhält und wie man sich zu ihr stellt. In Rebecca-Madita Hundt hat das Buch eine Sprecherin gefunden, die es versteht, es in all seinen Facetten zum Klingen zu bringen.

Hundt macht sich die Gefühle Emmas zu eigen, liest mal verzweifelt leise, mal nachdenklich ruhig, mal trotzig rau und mal wütend und energisch. Dann hebt sie die Stimme, schimpft: "Ich trete mein Alleinsein in die Wellen." Wenn Emmas Mutter zu Wort kommt, klingt die Schauspielerin erwachsen, wenn Emma auf Englisch flucht, macht sie das mit schönem irischem Akzent. Die CD-Hülle enthält ein Glossar, das irische Ausdrücke erklärt. Zudem erhöht ein musikalischer Einfall den Hörgenuss. Zwischen den einzelnen Kapiteln erklingt eine verwehte Klaviermelodie, ein Auszug eines melancholisch angehauchten Songs von :thebigempty. Den wird man danach genauso wenig los wie die mit sich ringende Emma, die hin- und hergerissen ist zwischen ihrem Wunsch abzuhauen und der Verantwortung für die Mutter und die Geschwister. Sie strampelt sich ab - mit einem klapprigen Fahrrad müht sie sich immer wieder durch die Ostseelandschaft. Unterstützung für ihren Fluchtplan findet sie bei Levin. Auch er, der so "dünn wie Dünengras" ist, ist ein Außenseiter: Seiner Mutter geriet vor langer Zeit "das Ich durcheinander". Davor war sie Meeresbiologin, die über elektrische Fische geforscht hat. Diese kommunizieren über Stromstöße und können sich daher immer erkennen, "egal wie trüb das Wasser ist". In Levin findet Emma eine Art Seelenverwandten. Vor allem aber hat der Junge zusätzlich einen wunderschönen Leberfleck auf dem Handrücken, der das Mädchen noch ein klein wenig mehr ins Wanken bringt. (ab 12 Jahre)

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Quelle:
SZ vom 11.09.2020
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