Hörbuch:Der Stimmenzauber von Innisfree

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Es hat verdammt viel Mühe gekostet, das Ding in Verse zu bringen, also muss man Poesie auch als Poesie sprechen und nicht so lasch, als wäre sie Prosa: Gedichte von William Butler Yeats auf Deutsch und Englisch.

Von Lothar Müller

Bevor der irische Dichter William Butler Yates 1931 sein Gedicht "The Lake Isle of Innisfree" in ein BBC-Mikrofon sprach, erzählte er eine Anekdote. Der Dichter William Morris sei einmal wutentbrannt aus einem Vortragssaal gekommen, in dem jemand eine Passage aus seinem Versepos "The Story of Sigurd the Volsung" vorgetragen hatte. "Es hat mich verdammt viel Mühe gekostet", habe Morris gesagt, "das Ding in Verse zu bringen!"

Yeats warnte das Publikum, er werde mit starker Betonung des Rhythmus lesen, also nicht so, als seien seine Gedichte Prosa, denn auch ihn habe es verdammt viel Mühe gekostet, sie in Verse zu bringen. Mit dieser Warnung beginnt die faszinierende Doppel-CD mit 29 im Original und auf deutsch vorgetragenen Yeats-Gedichten. "I will arise and go now, and go to Innisfree" - kaum hat Yeats die erste Zeile des Gedichts vorgetragen, das er 1888 im Alter von 23 Jahren geschrieben hatte, ist unüberhörbar, worauf diese Stimme abzielt, wenn sie die Anekdote hinter sich lässt, sich blitzartig verwandelt und eine unsichtbare Bühne betritt.

In der Stimme von Yeats wird der Dichter wieder zum Sänger

Sie macht, wenn sie die Worte so intoniert, dass sich möglichst viel Echoraum um sie bildet, in den hinein die lang gezogenen Endsilben verklingen können, das Mikrophon zum Komplizen der Rückverwandlung des modernen Dichters in den Sänger, in den Rhapsoden. Sie lässt nicht nur den Unterschied zwischen gebundener und ungebundener Sprache hervortreten, sondern auch den zwischen dem gelesenen und dem gesprochenen Gedicht.

Zwischen Poesie und Prosa aber vermittelt die Erzählerstimme, in der Yeats von seinen Ausflügen zum einige Meilen von Innisfree entfernten "Dooney Rock" berichtet, ehe er das Gedicht "The Fiddler of Dooney" vorträgt, ein Rollengedicht in der Ich-Form, in dem die Musik der Volkstänze und der Rhythmus des Gedichts gemeinsam am Auf und Ab der Wellen des Meeres Anteil haben: "When I play on my fiddle in Dooney / Folk dance like a wave of the sea; / My cousin is priest in Klivarnet, / My brother in Moharabuiee."

Es macht nichts, wenn Yeats sich an dieser Stelle verspricht, den Bruder und den Cousin verwechselt, er ist vom Weg zum Singsang nicht mehr abzubringen, der sich im 1934 aufgenommenen "Song of the Old Mother" dann vollends entfaltet.

Poesie nicht wie Prosa sprechen - dafür hat Yates Bundesgenossen, allen voran den aus Wales stammenden Dichter Dylan Thomas, der mit erhobener Stimme, bei der man sich den Sprecher unwillkürlich stehend vorstellt, 11 Gedichte vorträgt, von "Solomon and the Witch" und "Leda and the Swan" bis zum Finale, "The Circus Animals' Desertion", das in eine Schlusszeile mündet, die das Gedicht an seinen Ursprung zurückführt, "the foul rag and bone shop of the heart". Dylan Thomas treten die scheinbar in sich gekehrte, aber doch unverkennbar auf der Bühne geschulte Stimme von Cyril Cusack an die Seite, die Stimme der Schauspielerin und Rezitatorin Siobhan McKenna und die einer Schlüsselfigur des gälischsprachigen Theaters in Irland, Micheál Macliammóir.

Man hört Bibiana Beglau, Burghart Klaußner, Wolfram Koch und Hanns Zischler, die auf CD 2 die deutschen Übersetzungen vortragen, die Dämpfung der Stimmen auf dem Weg von der Bühne in die Aufnahmestudios an. Zugleich aber auch, dass sie beim Einlesen die Stimmen von Yeats und seinen Bundesgenossen im Ohr hatten. So wird der Hörer auf englisch und auf deutsch in die Yates-Welt gelockt, die Welt der modernen Wiedergänger alter Lieder, Legenden und Mythen, die weit über Irland hinausreicht, über Byzanz -hinab bis zu Ödipus und zum Orakel von Delphi.

© SZ vom 25.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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