Hochschul-Streik in Budapest:Der Kanzler soll draußen bleiben

Proteste, Rücktritte und streikende Studenten: An der Universität für Theater und Filmkunst in Budapest geht der Machtkampf weiter

Von Cathrin Kahlweit

Unter der offiziellen E-Mail-Adresse der Universität ist Lajos Vonderviszt nicht mehr zu erreichen. Seine Amtszeit an der Hochschule für Theater und Film in Budapest (SZFE) habe, wird in einer automatischen Antwort mitgeteilt, am 30. September geendet; wer ihn erreichen wolle, müsse das auf anderem Weg versuchen. Telefonnummern von Universitätsmitarbeitern sind blockiert, Namen auf der Webseite der Hochschule ausgestrichen. Vonderviszt, der als Kanzler die Universitätsverwaltung geleitet hatte, schreibt der SZ, er werde die Übergabe der Amtsgeschäfte an den Nachfolger regeln - und könne ansonsten keine Auskünfte mehr geben. Als seinen Nachfolger hat die regierungsnahe Stiftung für Theater und Filmkunst, die seit einem Monat die renommierte Hochschule leitet, einen Soldaten eingesetzt.

Gabór Szarka war Stabschef im Verteidigungsministerium und Militärattaché in Paris. Ein hochkarätiger Offizier also - und der soll eine berühmte Theateruniversität verwalten? Szarka hat allerdings auch administrative Erfahrung: Er war zuletzt Campus-Direktor an der Nationalen Universität des öffentlichen Dienstes tätig, einem höchsten Lieblings- und Renommierprojekt von Premier Viktor Orbán.

Fachleute erwarten demnächst einen Exodus junger Talente

Die neue Führung der SZFE arbeitet schnell und gründlich: Seit die Regierung in Budapest im Mai beschlossen hatte, mithilfe einer radikalen Umorganisation die "Qualität der Lehre" an der Hochschule zu steigern und ihre "Unabhängigkeit wiederherzustellen", hat der Stiftungsvorsitzende Attila Vidnyánszky, der zudem unter anderem Intendant des Budapester Nationaltheaters ist, zwei rechtskonservative Vizerektoren bestellt; einen Theaterintendanten, einen Filmemacher. Die Berufung eines Rektors steht noch aus. Linksliberale Tendenzen müssten bekämpft werden, so Vidnyánszky; christlicher Glaube und nationalkonservative Werte seien an der SZFE schmerzlich vermisst worden.

Die Berufung von Szarka ist eine weitere Eskalation in einem seit Wochen andauernden Streit. Seit die alte Universitätsleitung entmachtet wurde und aus Protest zurücktrat, sind Studierende und ein Teil der Dozenten im Streik. Vergangene Woche haben sie ein zweites Hochschulgebäude besetzt; der Unterricht findet selbstorganisiert statt, Demonstrationen und Freiluftaufführungen begleiten die Proteste, die von Künstlern aus aller Welt unterstützt werden. Vergangene Woche trugen Studenten eine symbolische Fackel ihrer Universität in fünf ungarische Städte, um damit auch den Protest gegen die politische Dominanz der Orbán-Regierung in der Kulturpolitik weiterzutragen.

Das Aus für die alte Universitätsleitung folgt erkennbar einem Plan. Schon Ende 2019 war die Freiheit der Theater durch die Festschreibung eines Mitspracherechts bei der Auswahl der Intendanten eingeschränkt worden. Zudem wurde ein Kulturrat gegründet, der Kunst und Kultur mittels einer "einheitlichen Regierungsstrategie" auf Linie bringen soll. Universitäten und Forschungsinstitute sollen ebenfalls stärker kontrolliert werden. So wurde die Ungarische Akademie der Wissenschaften unter Regierungskuratel gestellt; die Central European University (CEU) wurde ganz aus Ungarn vertrieben. Sie nahm vergangene Woche an ihrem neuen Standort, in Wien, ihre Tätigkeit wieder auf.

Nun also geht der Kulturkampf weiter. Viele Professoren der SZFE haben sich mit ihren Studenten solidarisiert, nachdem zuvor aus Protest gegen die Einsetzung der Stiftung die gesamte bisherige Hochschulleitung zurückgetreten war. Die jüngste Auseinandersetzung findet jetzt zwischen den Studenten und dem neuen Verwaltungschef Gabór Szarka statt; sie verweigern dem Kanzler den Zutritt zur Uni.

Der droht nun damit, die Gehälter streikender Dozenten und Verwaltungsmitarbeiter einzubehalten und den Lehrbetrieb an anderer Stelle mit anderem Personal fortzusetzen. Die Studierenden fordern die Wiedereinsetzung der alten Führung und die Wiederherstellung der Autonomie ihrer Hochschule. Bisher sieht es nicht so aus, als würden ihre Forderungen gehört. Fachleute erwarten demnächst einen Exodus junger Talente.

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