Nachruf auf Sally Perel:In der Haut des Feindes

Nachruf auf Sally Perel: Sally Perel, hier ein Foto aus dem Jahr 2019, ist im Alter von 97 Jahren in Israel gestorben.

Sally Perel, hier ein Foto aus dem Jahr 2019, ist im Alter von 97 Jahren in Israel gestorben.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Sallyn Perel überlebte die Shoah, weil er vorgab, Volksdeutscher zu sein. Seine Autobiografie "Hitlerjunge Salomon" machte ihn berühmt. Jetzt ist er im Alter von 97 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Von Felix Stephan

Sally Perel war ein eindrucksvoller Erzähler. 1925 wurde er in Peine in Niedersachsen geboren, zehn Jahre später der Schule verwiesen, das Familiengeschäft zerstört, die Familie floh zunächst nach Lodz, nach dem Überfall auf Polen weiter in den Westen des Landes. 1941 wurde er dort gefangen genommen und gab sich den Wehrmachtssoldaten gegenüber als "Volksdeutscher" aus.

Den Moment hat er unzählige Male geschildert, vor allem bei den Lesungen, die er unermüdlich bis ins hohe Alter an deutschen Schulen gab: Mit Tausenden Juden war er von der Wehrmacht bei Minsk zusammengetrieben worden, langsam rückte er in der Reihe auf das Selektionskommando zu, im Wald seien Schüsse zu hören gewesen. Er verscharrte seinen Pass und behauptete, sein Name sei Josef Perjell. In der "Haut des Feindes", wie er es formulierte, überlebte er den Nationalsozialismus, verborgen in einer Kaderschmiede der Hitlerjugend und als Dolmetscher für die Wehrmacht.

Seine Autobiografie schrieb er auf Deutsch. "Der Jupp wollte heraus"

Vier Jahrzehnte behielt er die Geschichte für sich, seine Autobiografie "Hitlerjunge Salomon" erschien erst 1990, zuerst auf Französisch, dann auf Hebräisch, 1992 schließlich auch auf Deutsch. 1990 wurde sie von der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland verfilmt und mit einem Golden Globe ausgezeichnet.

Seine Zeit als Hitlerjunge war einerseits geprägt von der ständigen Angst, enttarnt zu werden. In den Gemeinschaftsduschen drehte er sich zur Wand, die erste Liebesbeziehung zu einem BDM-Mädel konnte über das Küssen nicht hinausgehen. Andererseits berichtet er, dass der Indoktrinationsapparat der Hitlerjugend auch bei ihm seine Wirkung getan habe. "Ich habe kein Theater gespielt", sagte er dem Spiegel im Jahr 1992, "als die Schlacht bei Stalingrad verlorenging, war ich wirklich so verzweifelt, daß ich mit meinen Kameraden geweint habe".

Das Verhältnis zu seinem volksdeutschen Alias beschrieb er einmal als zwiegespalten: Eigentlich müsste er ihn hassen, weil er ein Nazi war, andererseits habe er ihm das Leben gerettet. Als er nach Jahrzehnten angefangen habe, seine Autobiografie zu verfassen, habe er auf Deutsch geschrieben: "Der Jupp wollte heraus."

2018 warnte Sally Perel angesichts einer erstarkenden AfD vor dem Rechtsruck in Deutschland. Ähnliches, sagte er dem Spiegel, habe er als Kind in der Weimarer Republik erlebt. Er fühle sich "wie ein Wächter, der warnt, wie gefährlich es ist, wenn man wieder gleichgültig bleibt." Er sei selbst mit der völkischen Ideologie indoktriniert worden und könne aus eigener Anschauung sagen, wie überzeugend sie sei. Jetzt ist Sally Perel im Alter von 97 Jahren in seinem Haus in Israel gestorben.

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