Hitler und die US-Elite-Unis:Unsere Freunde, die Nazis

Hitlers Gesandte waren an amerikanischen Universitäten gerngesehene Gäste, behauptet Stephen Norwood in seinem Buch "Das Dritte Reich im Elfenbeinturm". Das bleibt nicht unkommentiert.

R. Medoff

Sollte eine amerikanische Universität dem Vertreter eines totalitären und antisemitischen Systems eine Bühne bieten? Dieses Problem plagte vor zwei Jahren die Columbia University, als sie den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad zu Gast hatte. Jetzt beweist ein neues Buch, dass die Columbia University und einige andere prominente amerikanische Universitäten schon 1933 in einem ähnlichen Dilemma gefangen waren.

Hitler und die US-Elite-Unis: Auch die Elite-Uni Harvard empfing Vertreter der Nationalsozialisten mit offenen Armen.

Auch die Elite-Uni Harvard empfing Vertreter der Nationalsozialisten mit offenen Armen.

(Foto: Foto: oH)

Das Buch "The Third Reich in the Ivory Tower: Complicity and Conflict on American Campuses" (Das Dritte Reich im Elfenbeinturm) ist eine Studie über die Reaktionen der amerikanischen Akademiker auf den Nationalsozialismus in den 1930er Jahren. Es wurde von Stephen Norwood geschrieben, einem Historiker, der an der Universität von Oklahoma lehrt. Das Buch erschien bei Cambridge University Press.

Norwood beschreibt, wie Columbia und andere führende Universitäten zwischen 1933 und 1934 Gastgeber von Hans Luther waren, Hitlers Botschafter in den Vereinigten Staaten. In einigen Fällen hinderten die Universitäten Studenten daran, gegen den Auftritt Luthers zu protestieren - manche wurden für Proteste bestraft. Dieser Umgang mit dem Nationalsozialismus wird mit dem Argument verteidigt, dass in den frühen 1930er Jahren zu wenig über Hitler bekannt war, als dass man von den Universitäten hätte erwarten können, Vertretern der Nazis einen Auftritt zu verweigern.

So wirft Glenn Altschuler, ein Professor der Cornell-Universität, der Norwoods Buch kürzlich für den Boston Globe besprochen hat, dem Autor vor, dass er die Messlatte sehr hoch anlege: "Norwood glaubt, dass die Universitäten schon im Jahr von Hitlers Machtübernahme hätten wissen müssen, dass die Nazis ihr Versprechen, Deutschland von den Juden zu befreien, in die Tat umsetzen würden."

Nancy Wechsler, eine 91-jährige Anwältin aus New York, die im Dezember 1933 an dem Streik in der Columbia-Universität gegen Luthers Besuch teilgenommen hat, widerspricht dieser Aussage. "Hitler war damals schon beinahe ein Jahr an der Macht", gibt sie zu bedenken. "Es war schon viel über seine totalitäre und antisemitische Politik bekannt, sein Abgesandter hätte auf dem Campus nicht willkommen sein dürfen."

Norwood schreibt, dass mehr als 500 Studenten der Columbia schon vor den Protesten eine Petition unterschrieben hatten, in der sie Hitlers antijüdische Politik mit den "schwärzesten Stunden des tiefsten Mittelalters" gleichstellten. Das war ein guter Vergleich. Die Zeitspanne zwischen Hitlers Machtaufstieg im Januar und Luthers Columbia-Besuch im Dezember umfasste - unter anderem - die brutale Unterdrückung der Oppositionsparteien (27.000 politische Gefangene wurden bis Juli eingesperrt) außerdem, im April, die Verordnung, Juden aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen und Juden in akademischen Berufen Beschränkungen aufzuerlegen. Im Mai folgten die Bücherverbrennungen. All dies repräsentierte Luther als Botschafter und Redner in der Columbia University.

Auch Harvard empfing Vertreter der Nazis mit offenen Armen. Einer von ihnen war selbst ein Absolvent der Universität. Ernst "Putzi" Hanfstaengl, hatte 1909 seinen Abschluss in Harvard gemacht. Er kehrte zum 25. Jubiläum seiner Abschlussklasse triumphierend zurück - als Chef von Hitlers Auslandspresse. Hanfstangl erwartete ein Empfang mit rotem Teppich, während Studenten, die gegen seinen Besuch demonstrierten, verhaftet und zu sechs Monaten Strafarbeit verurteilt wurden.

Im selben Jahr empfing Harvards Präsident James Conant den Generalkonsul Nazideutschlands in Boston, Baron Kurt von Tippelskirch. Außerdem wurden Offiziere des Kriegsschiffs Karlsruhe auf den Campus eingeladen und verköstigt. 1936 schickte Harvard einen Vertreter zu den Feierlichkeiten des 550. Jubiläums der Universität Heidelberg, obwohl alle jüdischen Lehrenden vertrieben wurden und der Unibetrieb unter nationalsozialistischer Kontrolle war.

Es kann kaum ein Zufall sein, dass Conant sich weigerte, einen aus Deutschland geflohenen jüdischen Wissenschaftler einzustellen, mit der Begründung, dass er "mit Sicherheit jüdischen Schlags sei - besonders stark ausgeprägt". Oder dass Conant es 1937 ablehnte, eine Petition von Universitätspräsidenten zu unterzeichnen, um gegen polnische Universitäten zu protestieren, die für jüdische Studenten abgegrenzte Sitzbereiche in den Hörsälen eingeführt hatten. Auch Nicholas Murray Butler, Präsident der Columbia-Universität, weigerte sich zu unterschreiben. Da sie nicht sonderlich in Sorge um die europäischen Juden waren, fiel es Conant, Butler und ähnlich denkenden Kollegen leicht, ihre freundschaftliche Beziehung zum Nazi-Regime fortzuführen.

Butlers Akte ist mit einer besonders beschämenden Anerkennung geschmückt, zu der es 1936 bei einem Aufruhr in Columbia kam. Die Verwaltung kündigte an, sie würde einen Abgeordneten, den Professor Arthur Remy, zur oben erwähnten Feierlichkeit nach Heidelberg schicken. (Remy bemerkte später, dass der Empfang unter dem Vorsitz von Joseph Goebbels sehr unterhaltsam gewesen sei.) Studenten der Columbia hielten daraufhin vor Butlers Villa eine nachgeahmte Heidelberg-Zeremonie ab, gekrönt mit einer inszenierter Bücherverbrennung und einer Kundgebung. Die Columbia-Verwaltung reagierte schnell und warf den Organisator der Verbrennung, Robert Burke, von der Uni. Als Folge des Erscheinens von "The Third Reich in the Ivory Tower", initiieren Columbia-Absolventen und Mitglieder des Lehrbetriebs derzeit eine Petition und fordern, Burke posthum mit einem Ehrentitel auszuzeichnen.

Lesen Sie auf Seite 2, wie die amerikanischen Universitäten sich verteidigen.

Beispiele einer "Kollaboration"

Andere Universitäten kommen in Norwoods Aufzeichnungen ähnlich schlecht weg. Elite-Colleges für Frauen, wie Vassar und Bryn Mawr haben studentische Austauschprogramme mit dem Hitler-Regime gefördert, selbst nachdem ein Nazi-Scherge damit angab, dass deutsche Austauschstudenten "politische Soldaten des Reichs" seien. Einige Vertreter dieser Schulen verteidigten sogar tatsächlich den Umgang der Nazis mit Frauen.

Norwood dokumentiert ebenfalls, wie Fakultäten für deutsche Kultur und Sprache an wichtigen US-Universitäten oft zur unterstützenden Kraft für Hitler in den Vereinigten Staaten wurden. Ein Kapitel in "The Third Reich in the Ivory Tower" beschäftigt sich mit katholischen Universitäten in den USA, die Mussolinis faschistisches Regime befürworteten und in einigen Fällen auch Nazi-Deutschland unterstützten.

Die gängigste Reaktion auf diese Vorwürfe, mit der sich die betroffenen Universitäten nun verteidigen, wurde vom Kanzler der Columbia-Universität formuliert: "Wenn die Vorgänge, die Professor Norwood beschreibt, Beispiele einer ,Kollaboration' sein sollen, dann gehören zu diesen Kollaborateuren viele tausend Anführer und Bürger der Vereinigten Staaten, Großbritannien und zahlreicher anderer Nationen." Norwood benutzt zwar nicht den vorbelasteten Begriff "Kollaborateur" - sein Buch hat einen maßvollen und wissenschaftlichen Grundton - aber Brinkleys Argument ist eindeutig: Falls es so viele Menschen gab, die mit der Vorgehensweise von Harvard, Columbia und den anderen Universitäten einverstanden waren, dann ist es unfair, die Universitäten für ihr Verhalten anzugreifen.

Es ist unnötig, anzumerken, dass das Argument "alle haben mitgemacht" intellektuell wenig beeindruckend ist. Schon die Eltern eines widerspenstigen Teenagers würden diese Aussage nicht als eine Entschuldigung für Fehlverhalten hinnehmen. Und noch viel weniger ist den meisten Eltern daran gelegen, dass eine solche Ausrede durch einen Professor an ihre Kinder herangetragen wird.

Außerdem ist es nicht wahr, dass jeder den Juden gegenüber negativ eingestellt war, positiv über Hitler dachte oder bereit war, über den Antisemitismus der Nazis hinwegzusehen oder ihn zu tolerieren. Vielmehr gab es Universitätspräsidenten, deren Verhalten sich stark von Conant in Harvard und Butler in Columbia unterschied. Zum Beispiel Frank Graham, Präsident der Universität von North Carolina. Er half mit, an amerikanischen Colleges Lehrstellen für flüchtige jüdische Wissenschaftler einzurichten, die aus Deutschland vertrieben worden waren. Zudem wies er 1934 die medizinische Fakultät seiner Universität an, die Höchstquote für jüdische Studenten abzuschaffen. In den 1940er Jahren war Graham ein engagiertes Mitglied der Bergson Group, eines politisch handelnden Gremiums, das sich bei der Roosevelt-Regierung für die Rettung der Juden einsetzte.

Präsidenten von Universitäten sind in der wunderbaren Position, die öffentliche Meinung beeinflussen zu können. Sie sind Stützen des amerikanischen Bildungssystems, weshalb sie die moralische Verantwortung tragen, gegen jedwede Ungerechtigkeit ihre Stimme zu erheben. Wie Professor Norwoods Buch beweist, haben Harvard und andere amerikanische Eliteuniversitäten in den 1930er Jahren in dieser Hinsicht versagt. Dieses Versagen der amerikanischen Akademiker-Elite ist ein Teil des weiteren Versagens von führenden amerikanischen Politikern und Intellektuellen im Umgang mit dem Nationalsozialismus, der systematischen Judenverfolgung im Deutschland der 1930er Jahre und schlussendlich auch mit dem Holocaust.

Eine Gegenreaktion zu diesen Studien war unvermeidlich. Richard Breitman und Severin Hochberg behaupten in ihrer neuen Studie "Refugees and Rescues" über den Flüchtlingsanwalt James McDonald, dass Präsident Roosevelt sich insgeheim aufrichtig darum bemühte, für Juden, die in den späten 1930er Jahren vor Hitler flohen, einen Zufluchtsort zu finden. Die Beweise, die die Autoren anführen, sind zu dünn, um ihre These wirklich stützen zu können, aber es gelang ihnen mit ihrer Behauptung immerhin, international auf sich aufmerksam zu machen.

Das zeigt, wie groß das öffentliche Interesse an diesem Thema über sieben Jahrzehnte nach dem eigentlichen Geschehen geblieben ist. Dennoch ist Norwoods Buch die erste Studie, die aufzeigt, wie ein entscheidender Teil der amerikanischen Gesellschaft auf die Nazis reagierte. Norwoods Erkenntnisse sind Teil eines besorgniserregenden aber notwendigen Prozesses eines zeitgenössischen Amerikas, das mit einem der dunkelsten Kapitel seiner Geschichte zurechtkommen muss.

Der Autor ist Direktor des David S. Wyman Instituts für Holocaust-Studien. Übersetzung: Michael Stallknecht

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