Claus Schenk von Stauffenberg:Attentäter oder Tyrannenmörder?

Stauffenberg Assassination Attempt Against Hitler: 75th Anniversary Nears

Die Verschwörer des 20. Juli 1944 - Porträts in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, das Foto von Claus Schenk von Stauffenberg ist ganz rechts zu sehen

(Foto: Getty Images)

Sophie von Bechtolsheim hat ihr Buch über ihren Großvater Claus Schenk von Stauffenberg vorgestellt, der am 20. Juli 1944 versucht hat, Adolf Hitler zu töten.

Von Gustav Seibt

Über die Motive, die Claus Schenk von Stauffenberg zu seinem Attentat auf Adolf Hitler bewegten, gab es im Frühjahr eine kurze, heftige Kontroverse. Sie entzündete sich an Thomas Karlaufs neuer Biografie, erschienen im Blessing-Verlag.

Karlauf nannte sein Buch "Porträt eines Attentäters", und darin lag schon die These: Der Anschlag am 20. Juli 1944 sei vor allem um seiner selbst willen ausgeführt worden, als für sich stehende Tathandlung, und zwar aus dem Geist der Dichtung Stefan Georges. Karlauf untermauerte seine Darlegung mit zwei Begründungen, einer kurzfristigen und einer langfristigen.

Die langfristige betrifft Stauffenbergs Sozialisierung als Adelsspross, als Soldat und als Jünger Georges. Alle drei Bedingungen seines Lebens führten Stauffenberg zunächst in die Nähe des Nationalsozialismus.

Als Adeliger dachte er in sozialen Hierarchien, als Mitglied der Reichswehr gehörte er einer Organisation an, die sich gegen die Weimarer Republik als eigentliche Hüterin Deutschlands begriff, und als Georgeaner formte er seinen Habitus nach einem schroffen, ästhetisch überhöhten Elitismus. Dass alle drei Lebensbedingungen Stauffenberg je länger, desto mehr auch in Konflikt mit dem realen Nationalsozialismus führen konnten und führten, das arbeitet der Biograf Thomas Karlauf allerdings kaum heraus.

Gibt es heldenhaftes Handeln um elitären Heldenmutes willen?

Er konzentriert sich auf das ästhetische Motiv, und das führt auf seine kurzfristige Überlegung: Als Stauffenberg sein Attentat beging, war dieses in einem realpolitischen Sinn so gut wie sinnlos geworden.

Das ursprüngliche Motiv vor allem des militärischen Widerstands, möglichst viel von der Substanz deutscher Macht zu retten, hatte die Kriegslage erledigt; die Alliierten, darüber gab es keine Illusionen, würden auf jeden Fall eine bedingungslose Kapitulation verlangen. Geblieben war aber die Gefahr einer neuen Dolchstoßlegende. Es sprach also einiges dafür, sich das Regime zu Tode rasen zu lassen. Warum trotzdem zuschlagen? Hier wurde, Karlauf zufolge, der George-Impuls entscheidend, die Tat als Tat, als heroisch-sittliches Zeichen.

Hier stellt sich nun die Frage, ob die Leistung, der Anschlag auf Adolf Hitler, als heldenhaft beurteilt werden kann. Ist Stauffenbergs vor diesem Hintergrund als eines Helden zu gedenken? Gibt es überhaupt heldenhaftes Handeln um elitären Heldenmutes willen?

Gegen Karlaufs Sichtweise erhoben sofort zwei Enkel aus den Familien des Widerstands heftigen Einspruch, der Zeit-Feuilletonredakteur Jens Jessen, Nachfahre des gleichnamigen Wirtschaftsfachmanns der Verschwörergruppe vom 20. Juli, und die Historikerin Sophie von Bechtolsheim, eine Enkelin Stauffenbergs.

Jessen sah in Karlaufs These den Ausweg aus einem selbstkonstruierten Dilemma von Gesinnungs- und Verantwortungsethik; sie verleugne Stauffenbergs "unverbrauchten Hass", unverbraucht, weil er so spät zur Opposition gestoßen war, und dessen kalte Rationalität: Stauffenberg platzierte nicht nur die Bombe, er versuchte einen verzweifelten langen Tag, einen Staatsstreich ins Werk zu setzen.

Und natürlich, wie immer der Krieg ausgegangen wäre, wenn der Staatsstreich gelungen wäre, das Töten jedenfalls wäre deutlich schneller zu Ende gewesen. Jessen sah in Karlaufs Zuspitzungen einen Versuch, den konservativen Widerstand zu entwerten, indem er die Protagonisten als bessere Nazis darstellt.

Sophie von Bechtolsheim hat nun aus ihrem Einspruch ein ganzes Büchlein gemacht, das am Mittwoch in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Berliner Bendlerblock mit einem gut besetzten Podium vorgestellt wurde. "Stauffenberg. Mein Großvater war kein Attentäter", lauten Titel und These. Das Buch ist im Herder-Verlag erschienen. Es macht aus Familienerinnerungen Stauffenbergs lässige, unstilisierte Menschlichkeit und seine katholische Seite stark.

Neues Buch über Graf von Stauffenberg vorgestellt

Sophie von Bechtolsheim, Enkelin von Claus Schenk von Stauffenberg, hat ein neues Buch über ihren Großvater geschrieben.

(Foto: dpa)

Das Katholische tritt in der Karlauf'schen Trias an die Stelle Georges. Darum "Tyrannenmord", nicht "Attentat". Denn in katholischer Doktrin ist der Tyrannenmord gerechtfertigt, wenn er mit der Absicht begangen wird, eine neue Ordnung zu schaffen, das Recht wiederherzustellen. "Tyrannenmord als reine Geste" (so Jessens Zusammenfassung von Karlaufs These) wäre also ein Widerspruch in sich.

Das von Felix Serrao von der Neuen Zürcher Zeitung geleitete Gespräch war gut besetzt und ergiebig, ohne viel zum Kernpunkt des Streits - der abwesende Autor Thomas Karlauf wurde nur scheu benannt - beizutragen. Manfred Lütz, Großneffe von Paulus van Husen, der Mitglied der bürgerlichen Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis war und dessen Erinnerungen Lütz kürzlich herausgab, gehört ebenfalls zur Enkelgeneration; er sekundierte Sophie von Bechtolsheim bei ihrer Darstellung des Reichtums der moralischen Motive der Verschwörer.

Die Historikerin Linda von Keyserlingk-Rehbein, der man eine bahnbrechende Studie zu den Netzwerken des Widerstands verdankt, verwies wie Bechtolsheim darauf, dass Stauffenberg als Teil einer Gruppe handelte - er war nicht der einsame Täter, den die George-Nachfolge suggeriert.

Man wird akzeptieren müssen, dass Stauffenberg nicht für ein liberales Deutschland kämpfte

Man kann Bechtolsheims Buch auch ohne den polemischen Bezug lesen. Über weite Strecken handelt es gar nicht von Stauffenbergs Tat, sondern vom Leben der Familie mit den Erinnerungen an ihn.

Die eigentliche Heldin ist Nina von Stauffenberg, die knorrig-nüchterne, stolze Witwe und Großmutter Bechtolsheims. Der wichtigste quellenkritische Beitrag des Büchleins ist die Widerlegung der Anekdote, Stauffenberg habe sich 1933 in Bamberg an einer spontanen Freudenkundgebung zur Machtergreifung beteiligt. Das wäre bei einem Offizier nicht ungerügt geblieben.

Man wird akzeptieren müssen, dass Claus Schenk von Stauffenberg nicht vorhatte, einem liberalen Deutschland vorzuarbeiten. Auch das Befreiungskriegs-Ethos, das den leiblichen Nachfahren des preußischen Militärreformers Gneisenau trug, scheint wenig von seinem libertären Geist bewahrt zu haben.

Es nützt allerdings auch nichts, wie der Historiker Ulrich Herbert es im Spiegel machte, das Ethos der Tat als Gemeingut der Vorkriegsrechten in die Epoche einzugemeinden. Den Unterschied macht der Schritt von der kulturellen Voraussetzung zur Handlung. Sie konstituiert das Heldentum, das keine Milieustudie einholen kann.

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