Süddeutsche Zeitung

Historisches Sachbuch:Tempel auf

Es darf geklappt werden. Ein Sachbuch zeigt die Geheimnisse des alten Ägypten in einem großformatigen Bildband, verborgen unter zahllosen großen und kleinen Klappen, die zum Suchen und Entdecken auffordern.

Von Hubert Filser

Den Anfang bildet eine ganzseitige Karte des alten Ägypten, darauf verzeichnet sind der Nil als grüne Ader und die historischen Stätten an seinen Ufern. Zart zieht sich das grüne Band des Flusses in zahllosen Schleifen durch riesige Wüsten. Der Nil ist das Zentrum des alten Ägypten, an ihm liegen praktisch alle wichtigen Herrscherzentren wie Abydos, Amarna, Memphis oder Theben. Der Fluss bestimmte den Takt des Lebens, er brachte das lebensspendende Wasser und mit seinem Hochwasser die fruchtbaren Böden. Er war so wichtig, dass ihm eine eigene Gottheit geweiht ist. Der Nil ist also ein guter Auftakt für das Buch "Ägypten" von Carole Saturno und der Zeichnerin Emma Giulani. Es fügt sich einerseits ein in die Reihe zahlloser Bücher über das alte Ägypten, seine prächtigen Bauwerke, die mächtigen Pharaonen oder seine Götterwelt, doch man spürt andererseits in diesem großformatigen Buch von der ersten Seite an, dass es die Geschichte Ägyptens anders erzählen will: mit den Mitteln kräftiger Farben und mit Hilfe flächiger Zeichnungen, die im Stil an die altägyptische Bildtradition angelehnt sind. Zahlreiche Klapptafeln vermitteln zudem das Gefühl, dass es hier beim Öffnen einige alte Geheimnisse zu lüften gibt. So zeigt sich schon nach wenigen Seiten, dass das neue Ägypten-Buch den Fokus eindeutig mehr auf Gestaltung als auf den Inhalt legt - was nicht bedeutet, dass die Erklärungen nicht interessant sind. Sie sind auf viele kurze Texte verteilt und zumeist gut lesbar für Kinder geschrieben. Thematisch decken sie alle wichtigen Bereiche des Alltags, des Glaubens, der politischen Strukturen und der besonderen Traditionen wie Einbalsamierung oder Totenkult ab. Hier erlebt man also keine Überraschungen, manche Beiträge wirken wie beiläufige Schlaglichter, andere erzählen Geschichten von Ritualen oder berichten nüchtern vom Leben in den Tempeln. Viel mehr Liebe haben die Macher in diesem nur 28 Seiten umfassenden Buch (mit all den Ausklapp-Tafeln sind es letztlich mehr) in die Gestaltung gelegt. Es will den Kindern Ägypten über Farben und Formen näherbringen.

Dabei muss man vorab all die Kinder warnen, die nicht gern Tafeln aufklappen oder gar Pop-ups doof finden. Wer nur blättern und lesen will, ist schnell verloren. Auf die jungen Leser warten höchst unterschiedliche Klappelemente voller Bilder und Farben, seitengroße Türen, die sich beim Thema Tempel öffnen lassen und den Blick auf die verehrten Götter freigeben, gestufte oder glatte Pyramidendreiecke, in deren Innerem der Aufbau der Grabstätten erklärt wird, oder längliche Deckel in Sarkophagform. Diesen darf man sogar zweimal aufklappen, bis man zum mumifizierten Körper gelangt, der mit Symbolen bedeckt ist.

Die Gestalter gehen hier an die Grenzen des Falt- und Steckbaren. Beispiel Totengericht: Hier nutzte Anubis, der Wächter der Unterwelt, in der Vorstellung eine Waage, die alles Menschliche wiegt und bewertet. Das Herz, so heißt es, dürfe nicht schwerer sein als die Feder der Maat, einer Art Hüterin von Wahrheit und Gerechtigkeit. Ist sie es doch, hätte sich der Verstorbene zu viele Vergehen zuschulden kommen lassen. Eine Waage ist überaus kunstvoll ins Buch eingearbeitet, mit beweglichen Elementen aus Pappe. An dieser Stelle kann man die Befürchtung haben, dass diese Konstruktion in wissbegierigen Kinderhänden nicht lange funktionsfähig bleiben wird. Bei den allermeisten Klapptafeln ist aber das Spiel mit den Türen gut überlegt, diese gewähren bisweilen auch symbolisch den Zugang zu einer weiteren Welt hinter der zunächst sichtbaren. Manchmal ist es wie bei Isis, der wichtigsten ägyptischen Göttin, einfach nur zauberhaft anzuschauen, wie sie zunächst im Knien schützend ihre geflügelten Arme ausbreitet und dann beim Öffnen der gezackten Flügel an der Innenseite ein strahlendes Blau herausleuchtet. (ab 9 Jahre)

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Quelle:
SZ vom 09.10.2018
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