Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass eine Frau, die über Liebe schreibt - und die noch dazu ein Spitzenhäubchen trägt - nicht ernst genommen wird. Jane Austen gilt vielen noch immer als bessere Schnulzenschreiberin, als tantige Rosamunde Pilcher des frühen 19. Jahrhunderts. Dabei ist das in ihrer Heimat Großbritannien ganz anders. Dort wird ihr Werk in Cambridge und Oxford erforscht, als protofeministisch, und als geistreiche Satire auf die britische Klassengesellschaft verehrt. Und das, obwohl es in Jane Austens Zeit ein gewaltiger Konventionsbruch war, dass eine Frau überhaupt schrieb. Von 2017 an wird sie als einzige Frau neben der Queen auf den Geldscheinen des Königreichs abgedruckt.
"Flucht", sagt Herr Wehling aus Emden im dunkelroten Frack, "das ist Flucht aus dem Alltag."
In Deutschland ist das, bis auf kleine, aber begeisterte Nischen, anders. Vor allem Männer lesen ihre Romane nur unter starkem Zwang. Wer wissen will, warum das so ist und ob es nicht doch auch hierzulande Männer gibt, die Austens Romane nicht als Kitsch und romantischen Frauenkram abtun, stößt schnell auf eine Veranstaltung, die ihren Namen trägt. Auf den Jane-Austen-Ball. Für einen Ball braucht man Frauen und Männer. Also fährt man nach Ansbach, eine schmucke kleine Residenzstadt 40 Kilometer westlich von Nürnberg. Dort gibt es ein Barockschloss, einen Hofgarten, eine Orangerie und seit diesem Jahr auch den Ball, zu dem Gäste aus ganz Deutschland anreisen, aus der Schweiz, den Niederlanden.
Samstagnachmittag im Hofgarten, es ist einer der ersten wirklich schönen Frühlingstage. Ganz perfekt beginnt das Fest trotzdem nicht. "Ist heute Fasching?" grölt ein Jugendlicher von einem Parkweg herüber. Er meint die ersten Ballgäste, die vor der Orangerie auf Bänken sitzen, manche wandeln auf einen großen runden Springbrunnen zu. Warum der Junge grölt? Die Gesellschaft trägt Kostüm. Lange dunkle Gehröcke und Zylinder die Herren, manche kommen in Galauniform und Zweispitz. Die Damen tragen wallende Empire-Kleider, gedrehte Locken und Hut oder Haube.
Die Verfilmungen sind mit schuld am Austen-Missverständnis
Baumelte nicht an vielen Handgelenken eine kleine Digitalkamera, man könnte meinen, dass man am Set eines Kostümfilms sei. "Es ist ein besonderes Gefühl, wenn man so eine Uniform anzieht", sagt Werner Richter aus Berlin, der aussieht, als werde er für seine Taten in Waterloo ausgezeichnet. "Man strafft sich gleich." Und Jane Austen? "Habe ich nicht gelesen. Ich interessiere mich für Geschichte." Die erste Enttäuschung. Auch seine Frau hat nur mal eine Verfilmung gesehen.
Gerade die Filme, so schön sie auch anzusehen sind, könnten mit schuld sein am großen Austen-Missverständnis. In den Romanen waren die herrschaftlichen Anwesen, die Ballkleider aus Musselin nur die natürliche Umgebung der Figuren, nie die Hauptsache. Was für Austen zählte, waren Dialoge, moralische Urteile, die ihre klugen Frauenfiguren fällten - statt sich dem erstbesten reichen Verehrer an den Hals zu werfen. Doch was das Publikum der opulenten Verfilmungen wahrnimmt, sind nicht so sehr die hochsouveränen Heldinnen. Es ist die Nostalgie, die sich dekorativ um eine Liebesgeschichte rankt. Und für die sind die meisten auch nach Ansbach gekommen. "Flucht", sagt Herr Wehling aus Emden im dunkelroten Frack, "das ist Flucht aus dem Alltag."
Flucht aus dem Alltag: Die Herren tragen in Ansbach lange Gehröcke oder Zylinder, die Damen wallende Empire-Kleider, gedrehte Locken oder Hut.
Viele haben Jane Austens Romane nicht gelesen, die meisten interessieren sich für die Epoche der Schriftstellerin.
Bis ins Detail empfinden die Teilnehmer das 19. Jahrhundert nach.
Für Außenstehende mag das Spektakel wie ein Faschingsball wirken.
Es ist auch Sehnsucht nach Ordnung und Verbindlichkeit, die viele hier ins Kostüm, zu Barocktanz und Jane Austen treibt.
Nur die Digitalkameras an den Handgelenken verraten, dass man nicht am Set eines Historienfilms ist.
Abends um sechs geht es los: 60 Paare schreiten in den Saal hinein und stellen sich in einer Gasse auf. Der Tanzmeister und Organisator Peter Hoffmann spricht Anweisungen in sein diskretes Headset-Mikro: "Leichte Verbeugung!" Wer wann welchen Schritt macht, wer an welcher Stelle hopst, sich dreht oder hinter dem Nebenmann einen neuen Platz einnimmt, ist genau geregelt. Niemand muss, niemand darf originell sein. Man ist ja hier nicht beim Clubbing. Den Anweisungen zu folgen und das möglichst elegant, darum geht es hier. "Hands crossed" ruft der Tanzmeister, und dann: "Change sides!"
"Es war damals schwer für die Frauen."
Es ist auch Sehnsucht nach Ordnung und Verbindlichkeit, die viele hier ins Kostüm, zu Barocktanz und Jane Austen treibt. "Es gefällt mir, dass die Männer die Frauen so höflich behandeln", sagt Tamara Remus, 23, Architekturstudentin aus der Schweiz. Sie ist eine der wenigen hier, die Jane Austen wirklich gelesen haben. Historische Kostümbälle sind seit Kurzem ihr Hobby, erzählt sie. Aber leben möchte sie in Austens Zeit lieber nicht: "Es war damals schwer für die Frauen."
Ihr Tanzpartner, ein langer Dünner, in französischer Gardeuniform von 1814, ist aus Zutphen in den Niederlanden angereist. Fabian van't' Hul, 24, tanzt so leichtfüßig wie sonst keiner durch die Reihen, die Schritte immer perfekt, dazu ein Lächeln. Hier nimmt einer die Sache richtig ernst. Seine Uniform ist maßgeschneidert, 400 Euro hat sie gekostet. Unter seinen Rockschößen hat er ein Jutebeutelchen befestigt, in dem ein Fächer steckt, um die Hitze des Tanzes zu vertreiben. Aber ganz sicher kein Handy. "Bei so einem Ball weiß man den ganzen Abend nicht, wie spät es ist", sagt er. Das gefalle ihm. "Und man redet wirklich mit den Leuten, es ist nicht alles so hektisch." Aber: Jane Austen hat auch er nicht gelesen, das sei etwas für die Frauen, "so etwas Romantisches." Fabian ist eher interessiert an: "Geschichte".
Romantik tut den Männern gut
Dass Geschichte auch die der Frauen ist, in deren Leben nun mal selten Schlachten eine Rolle spielten, das hört man auf dem Ball kaum. Oder dass die Romantik in ihren Büchern einen ganz existenziellen Hintergrund hat: Die Entscheidung, wen eine Frau heiratete, entschied über ihre gesellschaftliche Stellung, ihr zukünftiges Umfeld, ihre finanzielle Sicherheit "Jane Austen ist für den Ball eher ein Emblem", sagt Tanzmeister Hoffmann. Epochenbezeichnungen wie Empire oder Regency klingen eben nicht so gut wie ihr berühmter Name. "Die meisten Männer hier schenken die Karten für den Ball ihrer Frau. Aber wenn sie dann dabei sind, merkt man bald, dass es ihnen selbst auch sehr gut gefällt."
Und wirklich: Den angeblich so rationalen Männern hier auf dem Ball tut ein bisschen Romantik offensichtlich sehr gut. "Wie hat es Ihnen gefallen?", fragt Herr Wehling, der im roten Frack, am Ende der Nacht. Dann verschwindet er in den dunklen Hofgarten hinaus. Sehr beschwingt, mit einem kleinen Hüpfer.