Süddeutsche Zeitung

Historisches Jugendbuch:Der Treck der Pferde

Eine Fluchtgeschichte aus Ostpreußen am Ende des Zweiten Weltkriegs, in der ein Pferd und ein Mädchen es schaffen, gemeinsam zu fliehen. Ganz ohne die Sentimentalität der üblichen Pferdegeschichten.

Von Ella Tiemann

Mit dem Pferderoman ist es so eine Sache. Allzu oft wiederholt das Jugendbuchgenre die immer gleiche Geschichte. Mädchen trifft scheues oder schwieriges Pferd, in kürzester Zeit werden sie untrennbar, müssen jedoch ihre Beziehung unter Beweis stellen und gewinnen meist als Höhepunkt der Erzählung die lang erträumte goldene Schleife beim Turnier.

Cover und Titel des neuen Romans von Anne C. Voorhoeve lassen eine ebensolche Geschichte vermuten. Der Buchumschlag ist eine Sepia-Fotografie-Collage, zeigt ein Mädchen und ein Pferd in Nahaufnahme, Stirn an Stirn, von Laub umweht. Über den Köpfen schwebt in hellblauer Schnörkelschrift der Titel "Gefährten für immer". Irreführender könnte die Gestaltung nicht sein. Voorhoeve erzählt in ihrem neuen zeitgeschichtlichen Roman die Geschichte eines Mädchens, das im Zweiten Weltkrieg wiederholt alles zurücklassen und zuletzt auf dem Pferderücken fliehen muss.

Zu Beginn des Buches, im Jahr 1943, überlebt die vierzehnjährige Lotte nur knapp die Bombardierung ihrer Heimatstadt Hannover. Die Halbwaise wird von ihrem Vater nach Ostpreußen geschickt, auf das Trakehnergestüt Waldeck. Weit entfernt vom Kriegsgeschehen erlebt das Mädchen auf dem weitläufigen Gut wieder normalen Alltag. Die Arbeit auf dem Hof und die Ausritte auf der Stute Lilie, die aufkeimende Freundschaft zur gleichaltrigen Emilia lassen ihre schmerzlichen Erinnerungen und ihr Heimweh verblassen. Doch auch auf Gut Waldeck macht sich der Krieg bemerkbar. Das Radio im Büro der Gestütsverwalterin vermeldet keine Siegernachrichten mehr, und als schließlich die Bedrohung durch die Ostfront immer größer wird, versucht die Gestütsfamilie, das eigene und das Leben ihrer 200 Pferde zu retten.

Die fiktive Handlung um die Hauptfigur Lotte wird aus der Perspektive der Kriegsereignisse erzählt. Die letzte Episode des Buchs, die Flucht vor den sowjetischen Truppen, ist angelehnt an die Biografie von Marion Gräfin Dönhoff. Über Monate hatten NS-Behörden die Vorbereitungen zur Flucht aus Ostpreußen unterdrückt, ja sogar verboten. Als im Winter 1945 die Rote Armee ihre Großoffensive startet und das Land ins Chaos stürzt, flieht Dönhoff auf dem Rücken ihres Pferdes ins 1600 Kilometer entfernte Westfalen.

Anne C. Voorhoeve verbindet die Schicksale ihrer fiktiven Figuren mit den historischen Tatsachen, die im Nachwort vorgestellt werden. Sie belässt es nicht dabei, vom Schrecken des Krieges nur zu erzählen, sondern klärt politisch auf. Ihre Figuren zweifeln, hinterfragen, wenden sich gegen das NS-Regime.

Besonders stark wird die Erzählung dann, wenn ihre Hauptfigur in der Verzweiflung über das Ausmaß der Grausamkeit des Krieges Trost in der Verständigung mit dem Tier findet. In diesen Passagen flüchtet sich die Autorin nicht etwa in die Sentimentalität über die Geschichte eines Pferdes, sondern macht die ganze Unmenschlichkeit dieser Zeit spürbar.

(ab 13 Jahre)

Anne C. Voorhoeve: Gefährten für immer. Sauerländer Verlag, Frankfurt 2018. 480 Seiten, 17 Euro.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2019
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