Historischer Roman:Der echte Diener ist nur ein Konsonant

Alaa al-Aswani lässt in "Der Automobilclub von Kairo" das Ägypten vor der Revolution wieder lebendig werden.

Von Burkhard Müller

Kô - diese eine Silbe aus zwei Lauten ist Schlüssel und Symbol des ganzen Buchs. "Ein Luftstoß aus der Kehle bei Öffnung des Mundes und Rundung der Lippen, so wird es ausgesprochen." In Nubien bezeichnet es den Dorfältesten, aber hier, in Kairo, noch etwas viel Höheres, Schrecklicheres. Und doch ist es ein realer Mensch, ein alter Mann schon, von sehr dunkler Hautfarbe und mit blitzenden Zähnen. Seine offizielle Funktion als Garderobenverwalter des Königs lässt seine wahre Stellung nicht erahnen. Er ist die Person, die Seiner Majestät am nächsten steht, an der alle vorbei müssen, die eine Audienz begehren, selbst der Premierminister. Bereits als Säugling hat er den König im Arm gehalten, und so ist das Verhältnis geblieben.

Wie kann ein so dunkelhäutiger und darum an sich verächtlicher Mensch eine solche Position einnehmen? Ganz einfach, je dunkler sein Diener, desto heller wirkt daneben der, dem er dient; und diese relative Helligkeit der Haut braucht der König sehr, denn noch heller als er sind die Engländer, die wahren Beherrscher Ägyptens. Vor ihnen muss auch der Kô katzbuckeln, selbst vor einer eigentlich subalternen Figur wie Mr. Wright, dem Vorsitzenden des Automobilclubs - es versteht sich von selbst, dass alles, was mit dieser Technik zusammenhängt, nur ein Europäer in die Hand nehmen kann; sogar der reichste Ägypter taugt nur dazu, sich in ein Auto hineinzusetzen, mehr kann er nicht. Auch die Macht des jungen dicken Königs hat ihre engen Grenzen, an die er besser nicht rührt, wenn er seine Position behalten will. Er hängt ganz vom Kô ab und begnügt sich, was seine Amtsführung betrifft, mit Kartenspiel und Liebesaffären. Wer in diesem Land einen Posten oder sonstigen Vorteil erlangen möchte, tut gut daran, ihm seine Tochter zuzuführen und ihn beim Kartenspiel im Club gewinnen zu lassen, denn das stimmt Majestät generös.

Der Abenddämmerung der untergehenden Epoche steht die Morgenröte entgegen

Der Kô (einen anderen Namen hat er nicht) liefert auch die Lösung der schwierigen Frage, wie das Personal für diesen Kairoer Automobilclub beschaffen sein soll: Europäer sind zu teuer und nicht unterwürfig genug, Ägypter aber, wie jeder weiß, faul, verschlagen und diebisch - es sei denn, es sitzt ihnen die heilige Angst vor dem Kô im Nacken. Wenn er mit seinem schwarzen Cadillac vorfährt und herausspringt, seinen fetten Schergen Hamîd im Schlepptau, zittern alle: Wen wird es diesmal treffen? Den Unglücklichen müssen seine Kollegen festhalten, richtig fest (wehe wenn nicht!), und zwar so, dass dessen Fußsohlen reglos parallel liegen, damit nun eine vollgültige Bastonade erfolgen kann. Manchmal tun es auch ein paar Ohrfeigen, je nachdem, wie schwer der Kô die jeweilige Verfehlung einstuft - und irgendeine Verfehlung gibt es schließlich immer. Aber dann zeigt sich der Kô wieder versöhnlich gesinnt und sorgt wie ein Vater für die Seinigen. "Der echte Diener", das vor allem haben diese sich einzuprägen, "ist ein Mitlaut, ein Konsonant: Er existiert zwar, aber er klingt nicht für sich allein; er darf keinerlei Aufmerksamkeit auf sich lenken."

Historischer Roman: Alaa al-Aswani: Der Automobilclub von Kairo. Roman. Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 656 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 22,99 Euro

Alaa al-Aswani: Der Automobilclub von Kairo. Roman. Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 656 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 22,99 Euro

Der ägyptische Autor Alaa al-Aswani, 1957 geboren und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, hat einen großen Roman der Dialektik von Herr und Knecht geschrieben. So gut ist ihm das gelungen, dass er es selbst offenbar nicht aushielt. Darum wählt er, obwohl Ägypten gewiss viele Jahrzehnte so funktioniert hat, als Zeitpunkt der Handlung die allerletzte Phase jener Ära englischer und königlicher Herrschaft, die Jahre um 1950 - wo doch jeder Leser, zumindest jeder arabische, weiß, dass es nicht mehr lang währt, bis der Umsturz König und Besatzer davonspülen und Gamal Abdel Nasser, charismatischer Präsident der neu gegründeten Republik, den Briten im Suezkrieg die schwerste Niederlage ihrer Kolonialgeschichte beibringen wird.

Dem aussichtslos statischen Zustand ist insgeheim die andere Zukunft eingeschrieben; langsam, unter dem Eindruck sich überstürzender Ereignisse, erwachen die Diener des Automobilclubs zur Erkenntnis ihrer Lage, kleine Anzeichen der Rebellion stellen sich ein und gegen das Ende zu auch schon größere der Revolte. Der Abenddämmerung der alten Zeit stellt al-Aswani die Morgenröte entgegen, in Form der Parallelerzählung von den Geschwistern Kâmil und Sâliha, in den entsprechenden Kapiteln auch optisch durch eine sachlich serifenlose Schrift abgesetzt. (Was mag wohl im arabischen Original das Äquivalent zu dieser grafischen Unterscheidung sein?)

Diese zwei, Kâmil und Sâliha, sind auch die einzigen Personen im Buch, die "Ich" sagen dürfen, ein Privileg, das weder der Kô noch der König genießen, und Signal einer fortgeschrittenen Bewusstseinslage. Sie verkörpern die neue Zeit. Junge Leute mit den besten Absichten sind es, bildungsbeflissen trotz widriger ärmlicher Umstände, dann durch die inhärente Ungerechtigkeit des Systems in einen Wirbel hineingezogen, der sie von braven Untertanen in Revolutionäre verwandelt. Kâmil schließt sich einer Untergrundbewegung an und lanciert ein Foto vom König in der Öffentlichkeit, auf dem dieser mit Clownshut und europäischer Geliebter am Spieltisch zu sehen ist. Daraufhin kommt er natürlich ins Gefängnis, wo er schlimm verprügelt wird (aber nicht eigentlich gefoltert, das ist wichtig, denn seine Persönlichkeit darf nicht gebrochen werden). Treu zu ihm hält die Engländerin Mitzi, Tochter ausgerechnet Mr. Wrights vom Automobilclub, die sich ihrerseits gegen ihren heuchlerischen und egoistischen Vater empört und zur Familie Kâmils flieht. Ergriffen sieht sie dort, wie sich das unverstellte echte Leben des Volkes vollzieht - diese Passagen mit ihrem entschlossenen Optimismus tauchen ziemlich tief in die Sphären des Sozialkitschs ein; und der Leser kann es kaum erwarten, bis endlich wieder, kenntlich am veränderten Schrifttyp, die "richtige" Geschichte einsetzt, die nämlich, in der eigentlich nichts geschieht und die doch so viel mehr Farbe und Wahrheit besitzt.

Leseprobe

Einen Auszug des Romans stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Allein schon die Liste dessen, was der Club so alles in seinen Magazinen hortet! Toilettenpapier, Parfüm, Wein in allen drei Farben, Seife, Zigarren, Tischtücher, Spielkarten für den König mit Extra-Goldrand, Ersatzteile für sanitäre Einrichtungen - es liest sich wie das Inventar des Kolonialismus schlechthin. Und wenn es in einer der zahllosen Gassen in Kairo zu einem Spektakel kommt, klingt es so: "Die Bewohner der Sadd-Al-Gawwâni-Straße halten es für ihre moralische und religiöse Pflicht, Streitereien unter Eheleuten zu schlichten. Wenn irgendwo in irgendeinem Haus zu irgendeiner Zeit bei Tag oder Nacht ein Ehepaar zankt, kommen die Nachbarn gelaufen, lauschen aufmerksam der Art und Weise der Auseinandersetzung und schlagen dann eine Lösung vor. Dabei zitieren sie ausgiebig Koran und Hadîth und gehen erst, wenn sich alles beruhigt hat und der Fluss wieder in sein Bett zurückgekehrt ist. Die einzige Ausnahme bei dieser Regel sind Streitereien zwischen Ali Hamâma, dem Krämer, und seiner Frau Aischa." Und weiter heißt es dann noch: "Die beiden Eheleute hauen sich zwar böse, aber auch originelle Beschimpfungen um die Ohren und zeigen einander einfallsreiche obszöne Gesten, doch es sieht immer aus, als wollten sie einem Publikum, also ihren Nachbarn, eine Schau bieten, bei der es nicht um den wirklichen Ali Hamâma und nicht um die wirkliche Aischa geht. Nein, sie besaßen beide neben ihrer regulären Existenz noch eine zweite, die sie eher zu Figuren aus dem volkstümlichen Straßentheater als zu normalen Bewohnern des Viertels machte."

Alaa al-Aswani führt sein Kairo bis an die Schwelle des Umbruchs, aber nicht über sie hinaus. Das ist bei diesem Autor, der zu den bekanntesten der arabischen Welt gehört und während des Arabischen Frühlings jeden Tag auf dem Tahrir-Platz dabei war, sicher kein Zufall. Auch gelingende Revolutionen bieten keine Gewähr, dass nicht doch noch alles wird, wie es vorher war. Indem er, statt an die Folgen, an die Gefühle im Vorfeld des Aufstands erinnert, tut al-Aswani vielleicht das Einzige, was im gegenwärtigen Ägypten so etwas wie Hoffnung vermitteln kann.

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