Kaum etwas charakterisiert die Stunde Null im zerbombten Nachkriegsdeutschland stärker als die sogenannten Trümmerfrauen, die halfen, die Städte vom Schutt der durch Luftangriffe zerstörten Gebäude zu befreien. Die neuere Forschung spricht allerdings von einer gezielten Glorifizierung der Trümmerfrauen, die von der Schuld des Krieges ablenken sollte, den Nazi-Deutschland ausgelöst hatte. Viele Fotos sollen inszeniert worden sein. Die Trümmerfrauen waren auch keine deutsche Spezialität - es gab sie zum Beispiel auch in der Sowjetunion. Das ursprünglich in Schwarz-Weiß aufgenommene Bild zeigt russische Trümmerfrauen, die nach der Schlacht von Stalingrad im Jahr 1943 in der Stadt aufräumen. Vor allem die von Olga Schirnina kolorierten Kopftücher weisen auf die modischen Vorlieben der damaligen russischen Frauen hin.
Der deutsche Generalfeldmarschall Friedrich Paulus bei seiner Gefangennahme durch die Rote Armee. Nachdem die von ihm befehligte 6. Wehrmachts-Armee die Schlacht von Stalingrad verloren hatte, saß Paulus von 1943 bis 1953 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Seine Miene auf dem Foto signalisiert deutlich, dass er sich des Ernstes seiner Lage bewusst ist. Im Vergleich zur Originalaufnahme verstärkt das kolorierte Foto den Eindruck seiner misslichen Situation: Der einsetzende Bartwuchs lässt sein Gesicht noch aschfahler erscheinen, als auf dem ursprünglichen Schwarz-Weiß-Foto.
Rotarmisten während des Zweiten Weltkriegses bei der Rast. Dieses Foto kommentierte seinerzeit der australische Kriegsreporter Osmar White: "Ihre wattierten Baumwolljacken waren verdreckt und verschlissen ...So sahen die Männer jener Armeen tatsächlich aus, die zwei Drittel der deutschen Landstreitkräfte an der Ostfront bekämpft und geschlagen hatten, während die bestens ausgerüsteten Briten und Amerikaner alle Hände voll zu tun hatten, gegen das andere Drittel in der Normandie, Italien und entlang des Westwalls die Oberhand zu behalten. Es waren stämmige Bauern und Hirten aus den weiten Steppengebieten der Sowjetunion mit harten Gesichtern, denen man ansah, dass sie an Entbehrungen gewöhnt waren." Schirnina sagt, dass sie diese Gesichter bewusst zeigen will. Denn sie widersprächen dem Klischee, dass von der kriegführenden Sowjetunion bis heute in Umlauf sei: "Da werden immer nur die russischen Kriegsgefangenen in ihrer trostlosen Lage und Stalin oder Schukow (Generalstabschef der Roten Armee während des Zweiten Weltkriegs, Anm. d. Red.) gezeigt. Dabei waren es ganz normale junge Menschen, die die Hauptlast des Krieges getragen haben."
Ein sowjetischer Soldat nimmt Abschied von seinem Kameraden, der im März 1945 bei der Einnahme von Stargard in Pommern durch die Rote Armee gefallen ist. Solche ans Herz gehende Bilder vermittelten einen anderen Eindruck von der Sowjetunion während der Kriegszeit, als er in den Köpfen vieler Menschen im Westen heute bestehe, sagt Schirnina: "Da wird immer so getan, als ob allein die Amerikaner den Krieg für die Welt gewonnen hätten. Dabei hat die Sowjetunion mit Abstand die meisten Opfer erbracht. Das sollte nicht vergessen werden."
Die zehn überlebenden Pilotinnen des sowjetischen 46. Gardefliegerregiments proben 1945 für die Siegesfeier. Die Kampffliegerinnen, die sich selbst als "Nachthexen" bezeichneten, bombardierten die Wehrmacht im Donbass, im Kaukasus und auf der Krim, sowie bei Kriegsende in Danzig, Stettin und Swinemünde. Jede von ihnen kam dabei im Durchschnitt auf 1000 Einsätze. Von den 29 Frauen, denen im Zweiten Weltkrieg der Titel "Held der Sowjetunion" verliehen wurde, waren 23 Mitglieder der "Nachthexen". 14 Pilotinnen kamen bei den Kämpfen ums Leben. Die gelben Einsprengsel, die auf der Wiese im Hintergrund zu sehen sind, hat Schirnina eingefügt: "Denn einfach nur grün sieht nicht echt aus."
Große Aufmerksamkeit widmet Schirnina auch den existierenden Aufnahmen von Scharfschützinnen, die die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg gegen die Wehrmacht einsetzte. Das Foto zeigt Ljudmila Pawlitschenko, die mit 309 erschossenen deutschen Soldaten als erfolgreichste weibliche Scharfschützin aller Zeiten gilt. "Lady Death", wie sie genannt wurde, starb 1974 im Alter von 58 Jahren in Moskau, wurde aber auch noch posthum verehrt. Zwei Jahre nach ihrem Tod würdigte die Sowjetunion sie auf einer Briefmarke. Der US-amerikanische Folk-Sänger Woody Guthrie, der im Zweiten Weltkrieg nicht selbst mit der Waffe in der Hand dienen wollte, erwies ihr gleichwohl schon während des Krieges seinen Tribut mit dem Lied "Miss Pavlichenko". "Es gibt nur wenige Farbfotos von Rotarmisten" sagt Schirnina: "Ich will diese Lücke füllen, denn oft sagt ein Bild mehr als tausend Worte, und es würde mich freuen, wenn die Leute durch meine Kolorierungen mehr über Russland und seine Menschen erfahren."
Die Kolorierung dieser Aufnahme eines sowjetischen Bomber-Piloten gelang Schirnina nur, weil ihr ein Flugzeug-Ingenieur aus Irkutsk half. "Das Gesicht ist von mir, das Flugzeug von Sergej Wachruschew", schreibt sie unter dem Foto auf ihrer Flickr-Seite. Wachruschew habe das Flugzeug genau gekannt, dessen Kabine auf dem Schwarz-Weiß-Foto nur sehr schwer erkennbar gewesen sei, sagt sie: "Der kannte sich selbst mit Photoshop aus, und hat mir bei den Sachen geholfen, die ich einfach nicht hinbekommen habe."
Die Rotarmistin Katja Spiwak regelt den Verkehr im zerbombten Berlin am 10. Mai 1945, einen Tag nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Die Schilder weisen unter anderem zum Reichstag, dessen Ruine im Hintergrund zu sehen ist, zum Leipziger Platz oder nach Steglitz. Die Farben der Wimpel und ihr Gesicht, das von der Sonne erleuchtet wird, lassen das Geschehen aus dem Schwarz-Weiß-Zeitalter ungewöhnlich real erscheinen.
Nikita Chruschtschow, Parteichef der KPdSU von 1953 bis 1964. Über das Rot seiner Mütze wird auf der Flickr-Seite Olga Schirninas gestritten. Kolorierungen sind immer angreifbar, doch auch Farbaufnahmen können im digitalen Zeitalter sehr leicht per Photoshop manipuliert werden.
Dichterfürst Leo Tolstoi. Zwar wurde das erste Farbfoto der Welt schon 1861 und damit knapp 50 Jahre vor dem Tod des Autors im Jahr 1910 aufgenommen, doch in der angewandten Fotografie verbreiteten sich Farbbilder erst seit den 1930er Jahren. Von Tolstoi existiert eine historische Farbaufnahme aus dem Jahr 1908, die qualitativ aber schlechter erscheint als diese Nachkolorierung eines Schwarz-Weiß-Fotos durch Schirnina.
Josef Stalin (Mitte) im Alter von 51 Jahren auf dem 16. Parteitag der KPdSU in Moskau im Juni 1930. Links neben Stalin ist Verteidigungsminister Kliment Woroschilow zu sehen, rechts Michail Kalinin, Vorsitzender des Obersten Sowjets der UdSSR. In ihrer Interpretation des Bildes stellt Schirnina den Diktator mit ersten grauen Haaren dar. Viele Abbildungen zeigen Stalin noch in deutlich höherem Alter mit ausgeprägt dunklem Haarschopf, doch diese Jugendlichkeit verdankt der Staatschef der Retusche. Denn es existieren Aufnahmen, die belegen, dass Stalin Mitte der 1940er deutlich ergraut war.
Der letzte russische Zar Nikolaus II. mit seiner Gattin Alexandra und den fünf gemeinsamen Kindern 1914. Vier Jahre später ermordeten die Bolschewiki die Zarenfamilie in Jekaterinburg. Das Hemd des Zaren wirkt schreiend himbeerrot, doch genau das entspricht der Realität. Sie habe Nikolaus' Wams erst grün gefärbt, weil solche Hemden später vom sowjetischen Militär in khaki-grüner Farbe übernommen worden seien, berichtet Schirnina. "Doch dann habe ich zur Vorsicht doch noch einen Experten konsultiert, und der hat mir gesagt: 'Alles falsch!' Er hat mir Bilder eines Museumsexponates dieses Hemdes geschickt, und so konnte ich zweifelsfrei feststellen, dass er recht hatte. Das ist das Beste überhaupt für einen Koloristen, wenn er das Foto von einem real existierenden Gegenstand hat."
Der junge Mao Zedong. Der Gründer der Volksrepublik China (1893 - 1976) wurde in späteren Lebensjahren häufig in Farbe abgebildet, doch die Fotos des jungen Mao sind in aller Regel schwarz-weiß. Die blaue Jacke blieb bis zu seinem Lebensende das Kleidungsstück seiner Wahl (neben grau und grün).
Che Guevara vor seiner Zeit als Medienikone. Später sollte die Fotografie "Guerrillero Heroico" ("heldenhafter Guerillakämpfer"), die der kubanische Fotograf Alberto Korda 1960 in Havanna von Che aufnahm, zum weltweit berühmtesten fotografischen Abbild einer Person werden. Dazu trug der irische Künstler Jim Fitzpatrick maßgeblich bei, indem er Kordas Foto als Vorlage für einen stilisierten Bildausschnitt nutzte, der in Schwarz-Weiß auf rotem Hintergrund in Massenproduktion ging: als Aufdruck von T-Shirts, Postern, Fahnen und Buttons. In der Kolorierung Schirninas steht das Foto des jungen Che in noch stärkerem Kontrast dazu, als es die ursprüngliches Schwarz-Weiß-Aufnahme von ihm tut.
Die Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin Josephine Baker. Manch ein Historiker lehne ihre Arbeit ab, erzählt Schirnina, weil sie nur das originale Schwarz-Weiß-Foto als historisches Dokument akzeptierten: "Da gibt es Leute, die finden Kolorierungen vulgär." Sie sei kürzlich zu einer Vortragsreihe eingeladen worden, die den Titel "Nachkolorierungen - Kunst oder Kitsch?" trage. "Dieser Titel stört mich überhaupt nicht. Wer will kann das ruhig Kitsch nennen." Schließlich stecke der Begriff Kitsch auch in ihrem Künstlernamen "Color by Klimbim". Denn Klimbim könne ins Russische auch mit "Lieber Kitsch" übersetzt werden.