Historische Kriegsnachstellungen bei den Öffentlich-Rechtlichen:Schlachtenplatte à la ARD

Ein Reiter von links, ein Reiter von rechts - so kommt auch schon die Kavallerie: Die ARD setzt mit einem Vierteiler historische Schlachten in Szene. Angesichts des eigenen Anspruchs ein nicht zu vermeidendes Fiasko. Heute Abend schlachten sich Völker bei Leipzig.

Johannes Willms

Einer der Reize des Fernsehens ist seine Anschaulichkeit. Das gilt vor allem für historische Dokumentationen, die in Übereinstimmung mit der Forderung des Historikers Leopold von Ranke zeigen wollen, "wie es eigentlich gewesen" ist. Um das zu leisten, können sich die beim Publikum beliebten TV-Beiträge zur Zeitgeschichte des in vielerlei Hinsicht höchst fragwürdigen Vorrats an Wochenschau-Filmen bedienen, die ausnahmslos auf propagandistische Wirkung abgestellt waren. Diese Bilder - zumeist als kritiklose Illustration mit Aussagen so genannter "Zeitzeugen" gegengeschnitten - ermöglichen ein ebenso simples wie eingängiges Erzählmuster, wie es beispielsweise von Guido Knopp im ZDF seit langem erfolgreich praktiziert wird.

Historische Kriegsnachstellungen bei den Öffentlich-Rechtlichen: Das Grauen des Gemetzels immerhin  naturalistisch zur Geltung gebracht.

Das Grauen des Gemetzels immerhin naturalistisch zur Geltung gebracht.

(Foto: Foto: ARD)

So einfach können es sich TV-Dokumentationen nicht machen, wenn sie ältere historische Zusammenhänge, die noch nicht in "Zappelbildern" eingefangen sind, veranschaulichen wollen. Als Aushilfe ist hier das so genannte Reenactment in Mode gekommen, also die dem Theater abgeschaute und in "lebenden Bildern" nachgestellte Inszenierung. Für das Gelingen solcher Umsetzung gilt die Faustregel: Je komplexer und personenreicher die Handlung, desto aufwendiger und folglich kostenintensiver muss ein solches Reenactment angelegt sein, damit es überzeugend rüberkommt. Konkret: Eine Gesprächssituation im Haus der Frau von Stein in Abwesenheit Goethes lässt sich leichter und preiswerter auf die Guckkastenbühne des TV stellen, als das wechselvolle Geschehen einer Schlacht mit Hunderttausenden von Soldaten.

Schlachtenplatte à la ARD

Die ARD-Gewaltigen haben sich von solchen naheliegenden Überlegungen nicht schrecken lassen, sondern eine vierteilige Dokumentation Die großen Schlachten zu bester Sendezeit ins Programm gehoben. Den Anfang macht der Mitteldeutsche Rundfunk, für den Jan N. Lorenzen und Hannes Schuler "1813 - Die Völkerschlacht bei Leipzig" in Bild und Ton setzten. Gemessen an den Produktionsbedingungen, die man sich als bescheiden vorstellen darf, ist das Ergebnis schlüssig. Angesichts des Anspruchs jedoch, den das Thema stellt, ist diese Dokumentation ein nicht zu vermeidendes Fiasko. Dies lässt sich an einem Beispiel zeigen: Während im Kommentar davon die Rede ist, dass die entscheidende Wende in der dreitägigen Schlacht durch die elftausend Mann starke preußische Kavallerie herbeigeführt worden sei, illustriert dies der Film mit zwei Reitern, die mal von rechts, mal von links mit martialischer Gestik an der Kamera vorbeigaloppieren.

Überhaupt beschränkt sich die Schilderung des Schlachtgeschehens, an dem rund 500 000 Soldaten beteiligt waren, auf Nahaufnahmen von vier oder fünf Infanteristen, die beim umständlichen Laden ihrer Vorderlader gezeigt werden, das dann auch noch einmal von einem Experten für historische Waffen anschaulich erläutert wird. Noch ausführlicher wird das Laden und Abfeuern der Bronzekanonen gezeigt, was dem Zuschauer wertvolle Einsichten in die seither gemachten riesigen Fortschritte in Sachen Kriegshandwerk, Feuergeschwindigkeit, Treffsicherheit und Zerstörungskraft verschafft.

Anschaulich gemacht wird das dramatische Schlachtgeschehen ansonsten durch allerlei Verwundete und Gefallene, deren maskenbildnerische Zurichtung das Grauen des Gemetzels naturalistisch zur Geltung bringt. Das liefert dann jeweils den Anlass für Exkurse von Medizinhistorikern oder Archäologen, die in der Dramaturgie dieser Filmerzählung in den Part des "Zeitzeugen" schlüpfen und gut verständliche Ausführungen über die Art der Verwundungen machen, deren barbarische chirurgische Versorgung oder über die von Seuchenfurcht diktierte Bestattungspraxis der Toten in Massengräbern.

Das alles ist gewiss nicht uninteressant, auch wenn man es so genau nicht wissen möchte. Aber es gibt dem Zuschauer auch nur einen disproportionierten Aufschluss über einen Aspekt des kriegerischen Geschehens: In den napoleonischen Kriegen kamen weit mehr Soldaten durch Mangelkrankheiten oder Seuchen zu Tode, als im Kampf fielen. Entschieden zu kurz kommt eine angemessene Einordnung der vor allem in der deutschen Geschichtsschreibung als "Völkerschlacht bei Leipzig" gefeierten blutigen Ringens, das, wie die meisten Schlachten, die geschlagen wurden, keineswegs kriegsentscheidend war.

Stanley Kubrick, dessen Traum es war, einen großen Napoleon-Film zu machen, hat die Bedeutung dieser Schlacht weitaus realistischer eingeschätzt: In seinem Drehbuch kommt Leipzig, das nur das Nachspiel zu Napoleons gescheitertem Feldzug nach Russland von 1812 war, gar nicht erst vor.

Die großen Schlachten, ARD, montags 21 Uhr.

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