Historikertag:Debatten ertragen

Beim Auftakt zum größten geisteswissenschaftlichen Kongress Europas, dem 52. Historikertag, dominieren die Appelle, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Historiker liefern dafür das Handwerk.

Von Johan Schloemann

Zur Eröffnung des 52. Deutschen Historikertags in Münster am Dienstag sagte die Vorsitzende des Historikerverbands, die Mediävistin Eva Schlotheuber: "Unsere Quellenkritik wurde eigens dafür entwickelt, Fake News und Geschichtsverfälschungen aller Art aufzudecken." Ein forscher Hinweis darauf, dass man keine neuen Methoden und keine spezielle Digitalexpertise braucht, um Unsinn zu widerlegen. Sondern kritisches Handwerkszeug, das man bei Historikerinnen und Historikern lernen kann, von denen jetzt mehrere Tausend zu Europas größtem geisteswissenschaftlichen Kongress zusammengekommen sind.

Das heißt nun nicht, dass sich die Geschichtswissenschaft zeitlos in ihren Hilfswissenschaften vergraben will, so wichtig diese gerne vernachlässigten Basisfähigkeiten auch sind. Das Leitthema des Historikertags, der alle zwei Jahre stattfindet, ist diesmal "Gespaltene Gesellschaften". Und es hat in den vergangenen Wochen in Deutschland, sagte Schlotheuber, "neue, bedrückende Aktualität erhalten". Darum forderte die Chefhistorikerin ihre Kollegen auf, zwar die Spannung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit bewusst zu halten, sich aber mit historischen Argumenten und Erfahrungen noch eifriger in die politischen und gesellschaftlichen Debatten einzumischen. Was bedeutende Historiker ja auch immer wieder getan haben.

"Gespaltene Gesellschaften: Was verhieße eigentlich die Umkehrung? Eine homogene Gesellschaft? Sie gibt es nicht." Das sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in seiner Festrede. Ein kluger Einwand gegen die zu unbedacht wiederholte Feststellung, bestimmte Länder seien derzeit "gespalten", wo doch Gesellschaften immer Pluralität aushalten mussten und müssen. Wann aber der Punkt gekommen ist, dass durch Spaltung, Gegensätze, Segregation "jede Balance verloren geht", das werden die Fachhistoriker in diesen Tagen in mehr als 90 Kongress-Sektionen durch alle Epochen und Kontinente untersuchen, und es treibt auch Wolfgang Schäuble um.

Schäuble, der frühere harte Hund, der zum Staatsweisen geworden ist, hielt eine geschichtsphilosophische, anspruchsvolle Rede. Sie bezog sich auf Schiller, Christian Meier und Herfried Münkler und reichte vom Dreißigjährigen Krieg, der in Münster beendet wurde, übers Grundgesetz bis heute. Wie kürzlich im Bundestag rief Schäuble dazu auf, die Unversöhnlichkeit zu überwinden und in der Debatte über Migration "einen befriedenden Kompromiss" zu suchen. Und zum nötigen Maß an Zusammenhalt trotz "Zersplitterung der Öffentlichkeit", sagte Schäuble, könnten die Historiker und Geschichtslehrer einiges beitragen. Was diese natürlich gerne hörten.

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