Historiker-Einschätzung:"Konzern und Familie lassen sich nicht trennen"

Der Historiker Norbert Frei leitet die "unabhängige wissenschaftliche Untersuchung", die sich mit der Geschichte des Flick-Konzerns vor, während und nach dem Krieg beschäftigt. Ein Interview über die enge Verbundenheit des Namens Flick mit der deutschen Geschichte.

In dem offenen Brief von Dagmar Ottmann, der Schwester von Friedrich Christian Flick, in dem sie ein Moratorium zur geplanten Ausstellung von Flicks Kunstsammlung fordert (SZ vom 5. August), weist sie auch auf ein Forschungsprojekt der Universität Bochum hin, das sie angestoßen hat und auch finanziert. Diese ¸¸unabhängige wissenschaftliche Untersuchung" (Ottmann) am Lehrstuhl des Historikers Norbert Frei widmet sich der Geschichte des Konzerns ihres Großvaters, der Friedrich Flick KG, vor, während und nach dem Krieg. Kürzlich gab die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die die Flick-Sammlung ausstellen wird, bekannt, dass sie ein eigenes Forschungsprojekt zur Familien- und Konzerngeschichte Flicks initiiert hat, das vom Münchner Institut für Zeitgeschichte durchgeführt wird. Damit laufen jetzt zwei solcher Projekte parallel - das Bochumer Vorhaben allerdings schon länger. Wir sprachen mit Projektleiter Norbert Frei über seine Forschungsziele.

SZ: Wie kam der Kontakt zu Dagmar Ottmann zustande, und mit welchem Forschungsauftrag wurde das Projekt gestartet?

Norbert Frei: Frau Dr. Ottmann hat an mich - ziemlich genau vor einem Jahr - die Anfrage gerichtet, ob ich daran interessiert wäre, ein Forschungsprojekt zur Flick-Geschichte auf den Weg zu bringen. Wir haben daraufhin eine detaillierte Vorstudie gemacht, um erst einmal zu klären, welche archivischen Quellen für ein solches Vorhaben überhaupt zur Verfügung stünden und wie groß der Aufwand vermutlich sein würde. Auf dieser Basis ist dann das Konzept für eine weit gefasste zeitgeschichtliche Erforschung der Geschichte des Unternehmers Friedrich Flick und seines Unternehmens im 20. Jahrhundert entstanden. Daran arbeiten wir inzwischen.

SZ: In welchem Umfang arbeiten Sie an dem Projekt? Und wie ist die Quellenlage?

Frei: Das Projekt ist auf vier wissenschaftliche Mitarbeiterstellen und eine Laufzeit von drei Jahren ausgelegt, wobei es in einer ersten Stufe darum geht, die einschlägigen Quellen in zahlreichen in- und ausländischen Archiven zu sichern. Damit soll eine umfangreiche archivalische Spezialsammlung aufgebaut und auch archivfachlich erschlossen werden, denn so etwas wie ein ¸¸Firmenarchiv Flick" steht uns ja nicht zur Verfügung. Wir arbeiten also mit den öffentlich zugänglichen Quellen, aber das ist, wie sich schon gezeigt hat, eine ganze Menge - man muss sich nur gründlich darum bemühen.

SZ: Werden die Ergebnisse in irgendeiner Form publiziert?

Frei: Unsere Sammlung wird nach Abschluss des Projekts natürlich auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, und die Ergebnisse unserer Forschung werden wir in einer Reihe monographischer Einzelstudien präsentieren.

SZ: Dagmar Ottmann spricht im Rahmen der Geschichte des Flick-Konzerns in der Nachkriegszeit von einer möglichen ¸¸Kontinuität von ,alten" Mentalitäten, Verhaltensweisen, Netzwerken und Seilschaften" und von einer Perpetuierung der NS-Vorteile. Wie schätzen Sie diese Äußerung ein?

Frei: Es ist ja ganz offensichtlich, dass der Name Flick mit der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts - durch die wechselnden politischen Systeme hindurch - auf eine sehr besondere Weise verbunden ist und dass es schon seit dem Kaiserreich und der Weimarer Zeit eine Nähe zur Politik gab, die sich im ¸¸Dritten Reich" fortgesetzt hat und die danach nicht zu Ende war. Das hat die bundesdeutsche Flick-Affäre der achtziger Jahre gezeigt, aber davor schon die jahrzehntelange Auseinandersetzung um die Entschädigung von Flick-Zwangsarbeitern und überhaupt um die Frage des Umgangs des Konzerns mit seiner Vergangenheit.

SZ: Behandeln Sie nur den Flick-Konzern oder auch die Geschichte der Flick-Familie?

Frei: Das lässt sich bei einem derart persönlich geführten Firmenkonglomerat gar nicht voneinander trennen, aber uns geht es um eine politische Unternehmensgeschichte, die selbstverständlich auch kultur- und mentalitätsgeschichtlich informiert sein muss.

SZ: Inwiefern glauben Sie, dass dieses Forschungsprojekt zur ¸¸Vergangenheitsbewältigung" im Hause Flick und zu einer Entspannung der Problematik um die ¸¸Friedrich Christian Flick Collection" beitragen kann?

Frei: Was unser Projekt innerhalb der Familie im einzelnen bedeutet, vermag ich nicht zu sagen, aber wissenschaftlich und für die historisch interessierte Öffentlichkeit wird es hoffentlich von Nutzen sein.

Interview: Holger Liebs

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