Historie der Familie Quandt in der NS-Zeit:"Bedingungslose Beteiligung am Unrecht"

Dieser Schuss ging nach hinten los: Weil die Unternehmerfamilie Quandt mit einem NDR-Film über ihre Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus unzufrieden war, beauftragte sie Joachim Scholtyseck eine gründliche neue Geschichte der Unternehmerdynastie zu verfassen. Nun liegt das Buch vor - doch der Historiker kommt darin vor allem zu belastenden Ergebnissen.

Quandt ist kein 'Mitläufer', wie ihn später das Entnazifizierungsgericht nannte, und erst recht nicht ein Förderer des Nationalsozialismus gewesen. Er hat Hitlers Aufstieg weder mit Geld noch auf andere Art unterstützt." Das ist zwar gelogen, aber immerhin von einem bis heute renommierten Wirtschaftshistoriker.

Joseph Goebbels heiratet Magda Quandt 1931

Joseph Goebbels heiratete 1931 Magda Quandt, die geschiedene Ehefrau des Industriellen Günther Quandt. Neben ihm der Sohn von Magda Goebbels aus dieser Ehe, Harald Quandt, der nach dem Krieg mit dem Flugzeug tödlich verunglückte. Hinter dem Ehepaar Goebbels als Trauzeuge Adolf Hitler.

(Foto: Scherl)

Wilhelm Treue legte diese entlastenden Worte über Günther Quandt in einem Buch nieder, das allerdings nie in den Handel gelangte, sondern 1980 wie ein kostbarer Gedichtband unter dem Titel "Herbert Quandt. Ein Unternehmer der dritten Generation" im Eigenverlag (Varta AG, Seedammsweg 55, 6380 Bad Homburg v.d.Höhe und Altana Industrie-Aktien und Anlagen AG, Seedammweg 55, 6380 Bad Homburg v. d. Höhe) erschienen ist.

Treue beschränkte sich aber nicht aufs Dichten. Indem der Weißwäscher das gewünschte Bild der Familie Quandt zeichnete, schaffte er auch Fakten oder das, was damals im Hause dafür gehalten wurde. "Warum ist Hitler an die Macht gekommen?" lässt er seinen Auftraggeber Herbert Quandt räsonieren. "Weil er doch, ich scheue mich nicht, das hier zu sagen, in sehr eindrucksvoller und kerniger Weise immer und immer wieder dem Kommunismus in Deutschland den Kampf angesagt hat."

Leider, so kann und soll man daraus folgern, leider hat Hitler es nicht dabei belassen, sondern den Mann, der am Ende seines Lebens einer der reichsten Deutschen war, 1933 ins Gefängnis werfen lassen, aus dem er angeblich erst nach vier Monaten wieder freigekommen ist.

Vielleicht, so überlegt Treue, hat Quandt zu offen seine Meinung über Hitler geäußert. Jedenfalls sei er erschüttert gewesen über den "bis dahin unbekannten Zustand der Rechtsunsicherheit". Das klingt schön, fast so schön wie die Worte, die der nämliche Quandt, seit dem 1. Mai 1933 Parteigenosse (Nr. 2 636 406) und selbstverständlich auch Parteispender, Ende 1940 an seine neuerdings in Feldgrau operierenden Arbeiter in den eroberten Gebieten richtete: "Angesichts der bevorstehenden Jahreswende blicken wir nochmals zurück auf die unvergleichlichen Waffentaten unserer herrlichen Wehrmacht zu Lande, zu Wasser und in der Luft, und dankerfüllten Herzens schauen wir stolz auf den größten Deutschen aller Zeiten: Unseren geliebten Führer!"

Nach dem Krieg und nunmehr führerlos, behauptete Quandt, er sei "jahrelang auf das schwerste verfolgt" worden. Seine nur mit der Friedrich Flicks vergleichbare Erfolgsbahn hat ihm ergebene Anhänger bis in die Wissenschaft gewonnen. Ansonsten wurde eisern geschwiegen.

Die Familie Quandt ist noch immer eine der reichsten in Deutschland und sicherlich die verschwiegenste. Erst als sie vor vier Jahren der später mehrfach ausgezeichnete NDR-Film über das "Schweigen der Quandts" von Eric Friedler ins Gerede brachte, als öffentlich erörtert wurde, warum sich die Familie weigere, zur Beschäftigung von Zwangsarbeitern im Dritten Reich Stellung zu nehmen, überhaupt Fragen nach den Quellen des heutigen Reichtums zuzulassen, änderte sich diese Haltung.

Als Sprecher der "betroffenen Familie" meinte Stefan Quandt zunächst noch, man wolle sich nicht damit abfinden, "dass ein einziger kritischer Beitrag für drei Jahre die öffentliche Meinungsbildung dominiert".

Schweigen war der Normalfall

Der Bonner Historiker Joachim Scholtyseck wurde damit beauftragt, eine aktenbasierte Geschichte des Hauses zu schreiben. Er erhielt Zugang zum Familien- und Firmenarchiv und die Freiheit, "ohne das Recht eines inhaltlichen Eingriffs" seitens der Quandts zu arbeiten. Das Ergebnis dreijähriger Forschungsarbeit ist jedoch weit weniger günstig ausgefallen, als es die Familie erwartet haben wird.

In mancher Hinsicht geht Scholtyseck noch über Rüdiger Jungbluths aufklärendes Buch von 2002 hinaus. Jungbluth war der Erste, der sich von der Bettwärme frei machte, in der Firmenchroniken und Monographien wie die des Wirtschaftshistorikers Treue entstanden.

Das Schweigen der Quandts war ja keine Familienspezialität, sondern der Normalfall, nach Wilhelm Hennis sogar die Voraussetzung für den Erfolg der Bundesrepublik. Noch 1971 meinte der Finanzminister Alex Möller (SPD) mit Blick auf die "desolate Haushaltslage" seliges Vergessen empfehlen zu müssen: "Wir müssen meines Erachtens den Mut und die Kraft haben, die Liquidation des Krieges und der NS-Herrschaft als abgeschlossen anzusehen.

Ich habe auch keinen Zweifel, dass nur eine solche Haltung die Zustimmung der breiten Masse unseres Volkes findet." Dieses Volk hat dann ein bemerkenswertes Unrechts- und sogar ein verspätetes Schuldbewusstsein entwickelt. Inzwischen gibt es Studien über das Volkswagenwerk, über Krupp, Flick und die Deutsche Bank, gibt es vor allem den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter, die im Dritten Reich eingesetzt wurden.

Das Firmenkonglomerat, dem Günther Quandt vorstand, beschäftigte mehr als fünfzigtausend Zwangsarbeiter. Er wusste, dass in seinen Fabriken Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, und zumindest sein Sohn Herbert wusste auch, unter welchen Bedingungen die Zwangsarbeiter leben mussten, um den Fortbestand der Produktion und damit das Vermögen der Quandts zu sichern und zu mehren. Scholtyseck lehnt es ab, auf der Basis des vorhandenen Materials Aussagen darüber zu treffen, welchen wirtschaftlichen Nutzen die Zwangsarbeit für die Quandt-Gruppe hatte.

Dennoch bleibt der Befund: "Der Einsatz von Zwangsarbeit in der Quandt-Gruppe war, losgelöst von der Frage, inwieweit er sich rentierte, enorm und ermöglichte der AFA (Accumulatoren-Fabrik AG) und den DWM (Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken) erst die umfassende Rüstungsproduktion."

Manchmal äußert sich diese staubtrockene Wissenschaftlichkeit technizistisch, wenn er einen "quantitativen als auch qualitativen Eindruck von der Zwangsarbeit" geben will. Zum qualitativen gehört beispielsweise die Information, dass KZ-Häftlinge, die bei der Quandt-Firma Pertrix in Berlin arbeiteten, "vor Hunger das Material, vermischt mit Wasser, aßen, aus welchem die Batterien hergestellt wurden".

Anders als der Film vermeidet Scholtyseck fast immer ein moralisches Urteil. Unterstützt von zahlreichen Mitarbeitern hat er sich durch Vorstandsprotokolle, Unternehmensberichte, Gerichtsurteile und Gestapo-Akten gearbeitet und alles ausgewertet, was sich in Archiven nur auffinden ließ. Er beschreibt, wie der Erfolg im brandenburgischen Pritzwalk begann, wo der Wollunternehmer Emil Quandt durch umsichtige Politik zum Lieferanten für preußische Uniformen wurde und die Firma damit an das Auf und Ab der Geschichte band.

"Moralische Gleichgültigkeit"

Die Tuchfabriken lieferten Uniformen, und sie lieferten naturgemäß mehr Uniformen, wenn es in den Krieg ging. Die Waffen- und Rüstungsfabriken florierten bereits lange vor dem Zweiten Weltkrieg. In der Inflationszeit investierte Quandt kühn, entdeckte Firmen, die in der Krise steckten, und kaufte sich über Aktiengesellschaften die Grundlage seines Imperiums zusammen, in dem wahrscheinlich nur mehr der Konzernchef den Überblick besaß. Die beginnende Massenmotorisierung war die Voraussetzung für den Erfolg des Batterienherstellers AFA, der den größten Anteil am Gewinn hatte. Quandt profitierte von der NS-Zollschutzpolitik ebenso wie von einer großzügigen Kartellierung.

Als 1936 verfügt wurde, dass Spezialmaschinen und die Waffenproduktion von den Grenzen weg ins Reichsinnere zu verlegen seien, musste auch dem Wohlmeinendsten klargeworden sein, dass der Krieg vorbereitet wurde. Quandt expandierte und verdiente mit.

Der aufrüstende Staat trug gern das Investitionsrisiko und war auch noch der Hauptabnehmer für die Waffensparte. Als Ausrüster der Wehrmacht gehörten die Unternehmen der Quandt-Gruppe zu den größten Transferleistungs-Empfängern. Zeitweise war die Herstellung jedes Mauser-Karabiners mit 6,50 Reichsmark subventioniert.

Quandt musste kein Kriegstreiber sein, um zu profitieren, Unternehmer genügte, da, wie Scholtyseck nüchtern formuliert, die "rüstungswirtschaftspolitischen Ziele des Regimes mit den betriebswirtschaftlichen Zielen der Quandt-Rüstungswerke konform" gingen und die "Aufrüstungspolitik die Möglichkeit zur Produktions- und Gewinnsteigerung bot". Nur selten verlässt Scholtyseck seinen abwägenden Vortrag, um tatsächlich zu urteilen, etwa um ihm "die bedingungslose Beteiligung am Unrecht" und damit "moralische Gleichgültigkeit" zu attestieren.

Günther Quandt, das kann Scholtyseck mit erdrückenden Aktenbelegen nachweisen, war kein Förderer des Nationalsozialismus, aber er hat von ihm profitiert wie kaum ein anderer. Er war auch kein Mitläufer, zu dem ihn die Spruchkammer 1948 erklärte, sondern ein richtiger Kollaborateur: "Der Familienpatriarch war Teil des NS-Regimes."

Bei Jungbluth heißt es noch, Quandt habe es vermieden, sich jüdische Firmen anzueignen, Scholtyseck zählt ihn aber zu der großen Gruppe von "Arisierern", die "eine Notlage der jüdischen Besitzer bewusst und kühl ausnutzten, um die zur Verfügung stehenden Unternehmen zu übernehmen".

Günther Quandts jüngerer Sohn Harald wuchs nach der Scheidung bei Joseph Goebbels auf, wo er nicht ganz unbeeindruckt blieb von der Macht und Herrlichkeit der Nazi-Welt. Während sein leiblicher Vater die "Arisierung" der Berlin-Erfurter Maschinenfabrik betrieb, protzte Harald in seiner Schule mit dem Motorrad, dann mit dem Auto, das ihm Günther Quandt geschenkt hatte. Die jüdischen Besitzer der eroberten Fabrik wurden 1941 nach Litzmannstadt deportiert und im November 1941 in Chelmo ermordet. Ihr verbliebenes Vermögen wurde als "Reichsfluchtsteuer" einkassiert.

Im Frühsommer 1948, als er noch auf das Urteil der Spruchkammer wartete, plante der knapp 67-jährige Günther Quandt bereits für sein neues Leben: "Bei meiner vielseitigen Tätigkeit in früheren Jahren muss es doch wohl möglich sein, eine wichtige Stellung, von der aus man sich austoben kann, wiederzufinden." Das gelang: Quandt erhielt seine überwiegend mit Rüstungskrediten finanzierten Werke zurück; die riesigen Schulden, die er für den wehrwichtigen Ausbau angehäuft hatte, verdampften zum großen Teil durch die Währungsreform; und die gehorteten Rohstoffe lieferten die besten Voraussetzungen für den Start ins Wirtschaftswunder.

JOACHIM SCHOLTYSECK: Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche Unternehmerdynastie. Verlag C. H. Beck, München 2011. 1184 Seiten, 39,95 Euro.

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