Süddeutsche Zeitung

Hip-Hop:Und sie springen und springen

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Seit 30 Jahren auf der Bühne, seit zehn Alben tonangebend - beim Konzert der "Fantastischen Vier" in der Olympiahalle zeigen die Rapper, wie man mit Spaß und Haltung reift

Von Bernhard Blöchl

Die bunten Klamotten haben sie abgelegt, Herren über 50 tragen Schwarz. Man muss sich das mal vorstellen: Als Die Fa ntastischen Vier zum ersten Mal auf der Bühne standen, in einem ehemaligen Kindergarten in Stuttgart soll das gewesen sein, da war Cro noch gar nicht auf der Welt. 30 Jahre ist das im Sommer her. Inzwischen haben die Langzeitretter des schelmischen Raps ihr zehntes Album veröffentlicht, sie waren immer da und immer erfolgreich, ein Künstlerleben zwischen Gold und Platin. Und ein bisschen hat man das Gefühl, sie meinen es ernst, wenn sie live die alten Zeilen zitieren: "Dieses Haus ist besetzt ohne Pause bis jetzt, denn wir kamen zuerst und wir gehen auch zuletzt."

Das Haus ist an diesem kalten Januarabend die Olympiahalle, und die ist mal wieder ausverkauft. Mehr als zwei Stunden lang feiern Smudo, Thomas D, Michi Beck und And.Ypsilon eine Best-of-Show, die zu ihren besten gehört: ein akustisch wie visuell bis ins Detail durchgestyltes Großkonzert, das mit den neuen Nummern "Captain Fantastic" und "Fantanamera" beginnt, Altes nicht versteckt ("Was geht"), die Hits feiert ("Sie ist weg", "MFG", "Danke") und im Konfetti-Regen zur jungen Clueso-Kooperation "Zusammen" sowie den Zugaben "Hitisn" und "Troy" endet. 37 Stücke füllen die Setlist, die Textflut der sprechsingenden Poeten gleicht einer Bundestagsdebatte auf Speed. Jemand sollte das mal zählen! Den inoffiziellen Titel für das wortreichste deutschsprachige Popkonzert dürfte den Schwaben keiner nehmen. Den für den größten Unterhaltungsfaktor womöglich auch nicht. Gar nicht übel für eine Band, die vor mehr als zehn Jahren die Sorge äußerte, den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören zu verpassen. Und über alle Zweifel hinweg einfach das tat: weitermachen, und zwar in Würde.

Stellt sich die Frage, wie die das machen? "Jeder würd' es machen, wenn es einfach wär. Es kann nicht jeder machen, denn es ist zu schwer", dichten sie in "Dann mach doch mal". Ihr anhaltender Erfolg hat zweifellos mit positiver Energie, Biss und Erfahrung zu tun, aber auch mit Selbstironie und Haltung sowie einer stimmigen Chemie im kreativen Gefüge. All das zeigt sich beim von Beginn an umjubelten München-Gastspiel. Wenn Smudo zu "Spießer" zu den Fans in die Arena läuft, wenig später bei "Smudo in Zukunft" verbale Silbenpurzelbäume schlägt, um mit seinen Kollegen zur eingearbeiteten Prodigy-Hommage "Out Of Space" abzuzappeln, dann ist das Staunen groß. Spielerisch gehen Fanta 4 mit den alten Hits um. "Bringen wir es hinter uns", sagt der eine. Der andere zieht seine Brille aus den frühen Neunzigern hervor, um das unvermeidliche "Die da?!" stilecht ins Jahr 2019 zu überführen. Gemeinsam tanzen sie den Tanz der hochschnellenden Knie, ein gymnastisches Ruckizucki, das damals schon so cool war wie die Hosen von MC Hammer.

Schabernack mit Helium-Stimme gibt es ebenso wie Faxen mit den Live-Band-Kollegen, die an Schlagzeug, Gitarre, Bass und Keyboard tadellose Arbeit leisten. Es ist aber nicht nur gute Laune, die das prima eingespielte Quartett verbreitet, sondern auch den nötigen Ü 50-Ernst. Mit Anti-Populismus-Texten und klaren Botschaften wie "Nazis raus!" zeigen sie, dass sie Rückgrat haben und Haltung. Auch musikalisch. Der Hip-Hop-Sound mit Ausflügen in den Mainstream-Pop ist pulsierend und im besten Sinne reif. Der Mix aus der Beat- und Produzenten-Kunst von And.Ypsilon und der Live-Musik der Band ist ein fein gestrickter akustischer Teppich für die drei MCs, deren Worte klar zu verstehen sind (womöglich nicht in allen Winkeln der Halle, aber in vielen). Ein kurzweiliges Musikfest für die älteren und auch für die verblüffend jungen Fans. Auch das erstaunt: Dass es nun Fanta-Freunde offensichtlich in drei Generationen gibt.

Okay, die Shows der Tour mit den schwebenden LED-Videowänden und der reduzierten Ausstattung ähneln sich von Köln bis Frankfurt, und zwar von der Setlist bis zur Schlussbotschaft: "Nur Liebe, keinen Hass!" Ein bisschen besonders darf sich München fühlen, weil hier, wie Smudo betont, eines ihrer ersten Konzerte über die Bühne gegangen sei. In der Stadt, wo sich Die Fantastischen Vier 2015 auf dem "Munich Olympic Walk Of Stars" am Olympiasee verewigten, würden sie sich zuhause fühlen. "In den Arm genommen", wie Michi Beck sagt. Sein Tour-Fazit für das München-Publikum: "auf jeden Fall Top 3".

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Quelle:
SZ vom 22.01.2019
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