Süddeutsche Zeitung

Hip-Hop und der Nigga-Gruß:Das vermaledeite N-Wort

Ist Nigga etwa besser als Nigger? Etwa nach dem Motto: Nigger - ein schwarzer Mann mit einer Sklavenkette. Nigga - ein schwarzer Mann mit einer Goldkette? Jedenfalls ist ein Streit darüber entbrannt über ein Wort, das zugleich Beschimpfung, Rapvokabel und Gruß ist - in der schwarzen Szene.

Jonathan Fischer

¸¸Sie denken wahrscheinlich, ich sollte das N-Wort nicht benutzen", witzelte der schwarze Schauspieler und Komiker Chris Rock einst im amerikanischen Fernsehen, ¸¸aber diese Regel gilt nur für Weiße. Jeder Schwarze kann ungestraft Nigger sagen. Wie wenn Sie Ihr Kind einen Idioten schimpfen. Das dürfen auch nur Sie. Tut es aber jemand anders, dann gibt es Ärger . . ." Doch so klar lagen die Fronten noch nie: Warum etwa gilt ¸¸Nigger" in manchen Kreisen als kumpelhafter Gruß, während andere sein Gebrauch tödlich beleidigt? Und wer darf es wann in welcher Variante zu wem sagen?

Nicht nur in Amerika erhitzen solche Fragen die Gemüter. In Deutschland hat sich gerade die Initiative ¸¸Der braune Mob" mit der Bitte um eine politisch korrekte Bezeichnung schwarzer Menschen an die Medien gewandt. Parallel dazu kämpft in den USA eine von Rappern unterstützte Internet-Initiative für die Abschaffung der zweifelhaften ¸¸Nigger"-Anrede. Vor wenigen Wochen hatte die afroamerikanische Tageszeitung Chicago Defender das N-Wort in dicken Lettern auf den Titel gehoben. ¸¸War es unser Ziel, Sie mit diesem Aufmacher zu schocken?" adressierte Herausgeber S. Martin die Leser. ¸¸Absolut. Aber sind Sie auch schockiert, wenn Sie das Wort in Popsongs, Kabelfernsehen oder Kino hören?"

Auslöser der Diskussion: Das Gerichtsverfahren um den 19-jährigen weißen New Yorker Nicholas Minucci, der den schwarzen Passanten Glenn Moore mit einem Baseball-Schläger attackierte - nachdem er ihn ¸¸Nigger" genannt hatte. Eine rassistische Beleidigung? Oder lediglich eine dank HipHop in die Alltagssprache eingegangene Begrüßungsfloskel? Je nach Auslegung wäre die Baseball-Attacke demnach als ¸¸Hate Crime" oder ¸¸normale" Körperverletzung zu werten. Die Anklage argumentiert, Minucci habe Moore nur deswegen angegriffen, weil der sich als Schwarzer in ein überwiegend weißes Viertel in Queens gewagt hatte. Was für Minucci 25 Jahre Gefängnis bedeuten kann.

Nun könnte man das Ganze als traurigen Beweis dafür abtun, dass das Viertel in Queens, die bereits 1980 Schauplatz gewalttätiger Übergriffe auf Schwarze war, nach wie vor von Rassisten bewohnt wird. Wenn Minuccis Verteidiger nicht ausgerechnet den schwarzen HipHop-Produzenten Gary Jenkins in den Zeugenstand berufen hätte.

¸¸Das Wort hat in gewissen Kreisen schon lange seinen Stachel verloren," behauptet Jenkins, der einst als Manager von Uptown Records mit Mary J. Blige und Sean ¸¸P.Diddy" Combs zusammenarbeitete. Es sei von einer Generation von HipHop-sozialisierten Jugendlichen umgedreht worden - nach Art eines Selbsthilfetricks: Wer die schlimmstmögliche Beleidigung ständig selbst verwendet und in einen Respektsbegriff verkehrt, beraubt das Wort seiner verletzenden Wirkung. ¸¸What"s up nigga" als coolere Version von ¸¸Halli-hallo"?

Allerdings, ergänzte Jenkins, müsse er mehr über den Hintergrund des Angeklagten wissen, bevor er einschätzen könne, ob dieser das N-Wort als HipHop-Aficionado oder Rassist benutzt habe. ¸¸Ein weißer Teenager mit Goldspange, hängenden Baggy Pants und seitwärts aufgesetzter Baseball-Kappe gilt als offizieller HipHopper und bekommt den Erlaubnisschein." Zumindest juristisch. Ob der aber auch gilt, wenn der Sprecher dabei einen Baseballschläger schwingt? Im Kreuzverhör bekannte Jenkins, heute Rechtsanwalt und Präsident einer HipHop-Plattenfirma, dass er sich persönlich des N-Wortes enthalte: ¸¸Meine Leute sind mit diesem Wort gehängt worden . . . ich wünschte, es würde für immer verschwinden."

Kovon Flowers will diesen Wunsch nun Wirklichkeit werden lassen. Unter anderem mit Hilfe einer Schulkampagne und Website, die sich ¸¸Abolish The N-Word" (www.abolishthenword.com) nennt. Sie wurde bisher an die sechs Millionen Mal aufgerufen und hat ihrem Gründer Interviews von Rap-Magazinen, Tageszeitungen und CNN eingebracht. Schon das Intro provoziert: Man sieht tote schwarze Männer an Bäumen hängen und Bürgerrechtsdemonstranten, die vor Wasserwerfern und beißwütigen Hunden flüchten. Dazu ertönt Billie Holidays Anti-Lynching-Song ¸¸Strange Fruit". Das N-Wort, verkündet die Website, sei routinemäßig von Hasspredigern benutzt worden, die schwarze Menschen folterten und töteten. Aufgrund dieser Vorgeschichte gehöre es abgeschafft. Besucher können einen als Aushang konzipierten ¸¸Vertrag" herunterladen, in dem sie sich dazu verpflichten, das N-Wort nicht mehr zu benutzen. Sie können kleine Karten ausdrucken, die sie Gesprächspartnern aushändigen. Oder einfach über die Geschichte des Wortes nachlesen.

Flowers war durch eine Radio-Diskussion um den Fall Minucci motiviert worden, weiterzuforschen: ¸¸Das Wort stammt aus der Sklaverei - es ist ein rohes, gehässiges Wort, das Weiße ihren Sklaven zuriefen. Ich beschloss, es nicht mehr als Gruß oder künstlerischen Ausdruck zu benutzen." Eine Entscheidung, die den 36-jährigen HipHop-Sänger dazu bewog, seine letzten Alben elektronisch zu überarbeiten: Das N-Wort auch aus dem letzten Reim zu löschen.

Ob sein Appell auch die HipHop-Superstars erreichen wird? Etwa Lil" Kim und P Diddy, die nichts dabei fanden, auf einem Konzert in San Jose 15 000 vorwiegend weiße Fans dazu zu animieren mit gestrecktem Mittelfinger ¸¸Fuck you bitch" und ¸¸Fuck you nigga" mitzuskandieren? Bisher gehört das N-Wort zu HipHop-Lyrics wie das Amen zum Gottesdienst. Mit der Endung -a statt - er. Rapper Tupac Shakur brachte den feinen Unterschied auf den Punkt: ¸¸Nigger - ein schwarzer Mann mit einer Sklavenkette um den Hals. Nigga - ein schwarzer Mann mit einer Goldkette um den Hals." Selbst Radiostationen, die HipHop-Songs routinemäßig auf Schimpfworte für Schwule, Lesben, Juden hin zensieren, haben offensichtlich kein Problem mehr mit dem N-Wort.

¸¸Kein Zufall," polemisiert der schwarze Journalist William Cobb, ¸¸dass das N-Wort die populärste Rap-Vokabel ist und schwarze Frauen dauernd als ¸¸bitches" tituliert werden, wohingegen sich kein einziger der selbsternannten Gangster traut, ¸¸cracker", ¸¸kike" oder andere gegen Weiße gerichtete Schmähungen in den Mund zu nehmen. Der Grund dafür ist einfach: Massa erlaubt es nicht."

Das N-Wort als Zeichen eines sublimierten Selbsthasses? HipHop-Aktivisten riefen jedenfalls zu einem Boykott auf, als der Schauspieler Damon Wayans ankündigte, das Wort ¸¸Nigga" für eine Bekleidungslinie patentieren zu wollen ¸¸Keine andere Rasse benutzt ein gegen sie gerichtetes Schimpfwort als Liebkosung", erklärt Kovon Flowers. Und: ¸¸Martin Luther King und die Bürgerrechtsdemonstranten, die ihr Leben für die schwarze Emanzipation einsetzten, würden sich im Grabe umdrehen."

Erst vor drei Jahren hat die Bürgerrechtsbewegung NAACP die Verfasser des Webster Wörterbuchs dazu bewegt, die Definition des Wortes ¸¸Nigger" dahingehend zu ändern, dass es nicht länger für Afroamerikaner steht. Auch im deutschsprachigen Raum kämpfen Initiativen wie ¸¸Der braune Mob" um den korrekten Sprachgebrauch. Einer ihrer jüngsten Erfolge: Die Ankündigung des Langenscheidt-Verlags, das Wort ¸¸Neger, -in" nicht mehr in das Schülerwörterbuch aufzunehmen.

Neger - völlig wertneutral

Die schwarze deutsche Organisation hatte den Verlag dazu aufgefordert, rassistische Beleidigungen aller Art nicht mehr in Wörterbüchern zu publizieren und damit zu ¸¸normalisieren". Der Verlag hatte sich lange gegen diesen Schritt gewehrt: ¸¸Für viele Deutsche - vor allem für ältere - hat das Wort ,Neger" absolut keine negative Seite, sondern ist ein wertneutrales Wort für eine Person mit dunkler Hautfarbe", argumentierte man bei Langenscheidt. Blieb die Frage, warum eine Minderheit älterer Menschen den Inhalt eines Schülerwörterbuchs prägen sollte. Oder, wie es ¸¸Der braune Mob"-Vereinsvorstand Noah Sow ausdrückt: ¸¸Was ist mit den Bevölkerungsgruppen, die die Übersetzungen von ,Itzig" und ,Kanacke" suchen?"

Nun hat auch das Wort ¸¸afrodeutsch" seinen Platz im Langenscheidt gefunden. Nur wie man mit den - auch weißen - Rappern umgehen soll, die sich stolz ¸¸Nigga" nennen und einander auch so anreden, das weiß selbst Noah Sow nicht so genau.

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Quelle:
Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.162, Montag, den 17. Juli 2006
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