Hip-Hop: Neues Album von Clipping:Schwarz brennt doch die Welt!

Band "Clipping"

Wer sich für neue Beat-Programmierungen und Produktionsmethoden im Hip-Hop interessiert, kommt an Clipping nicht vorbei.

(Foto: Cristina Bercovitz)

"Clipping", die Band der Stunde und schon seit Längerem die Avantgarde des Hip-Hop, hat mit "There Existed an Addiction to Blood" ein neues Album vorgelegt, bei dem am Ende nicht nur das Piano Feuer fängt.

Von Max Dax

Vier Polaroids und ein Feuer. Die Polaroids auf dem Cover von "There Existed an Addiction to Blood", dem neuen Album von Clipping aus Los Angeles, zeigen mutmaßlich Beweise, aufgemacht wie forensische Spuren nur behaupteter Verbrechen — Reifenspuren im Sand, ein liegengelassener schwarzer Plastikhandschuh, Schuhabdrücke. Eines der Polaroids zeigt die Liste der Songtitel, und somit auch den Titel des letzten Tracks auf dem Album — die 16-minütige Klangspur eines knisternden Holzfeuers. Der Track heißt "Piano Burning (Composed by Annea Lockwood)". Es brennt also angeblich bloß ein Klavier, nicht das Haus im Ghetto, gut gefüllt mit den ganzen Drogen und Schnellfeuergewehren. Oder handelt es sich doch um eine falsche Fährte?

Wer sich für Avantgarde in der Pop-Musik und insbesondere für die Auslotung neuer Beat-Programmierungen und Produktionsmethoden im Hip-Hop interessiert, der kommt an Clipping nicht vorbei, seit das Trio 2013 das Album "Midcity" zunächst auf der Website "Bandcamp" veröffentlichte und damit quasi über Nacht zum Nordstern der progressiven Hip-Hop-Community avancierte.

Sechs Jahre später ist aus Clipping eine Verrätselungsmaschine geworden. Alles bleibt möglich, nichts ist mehr klar. "Wir haben uns als Band geschworen, niemals ,ich' zu sagen", erklärte William Hutson schon vor Jahren: "Alles ist bei uns Behauptung. Es gibt keine Authentizität, dafür ist alles absolut aufrichtig."

Hutson, das sollte man vielleicht wissen, ist nicht nur für die arg präsenten Störgeräusche auf "There Existed an Addiction to Blood" verantwortlich, sondern auch Stammautor beim Londoner Randmusikmagazin "The Wire".

Das neue Album eröffnet musikalisch geradezu eingängig. Auf ein gesprochenes/gerapptes Intro folgt der Track "Nothing Is Safe", die Schilderung eines bewaffneten Überfalls auf ein Drogen-/Waffenlager. Dazu ertönt eine verführerische Synthesizer-Basslinie, wie sie ein John Carpenter für seinen Horror-Thriller "Assault — Anschlag bei Nacht" hätte komponieren können.

Man meint, sich in nächtlichen Schusswechselszenen der Serie "The Wire" wiederzufinden

Überhaupt gibt es im Clipping-Universum Querverweise auf blutige Kino- und Real-Life-Momente. Im Video zu "Nothing Is Safe" zoomt die Kamera langsam auf eine brennende Mülltonne zu, das ikonische Symbol schwarzen Gettolebens in den Inner Cities der USA — in die Mülltonne freilich ist wie bei einem Halloween-Kürbis eine Monsterfratze geschnitten, ein weiterer Verweis auf Carpenter.

Und im Video zu "Blood of the Fang" ist der Rapper Daveed Diggs blutverschmiert mit Handschellen an eine Krankenbahre gekettet. Hier stellt die Band in Statement sicher, dass es als Bewegtbild-Zitat eines Fotos interpretiert wird, auf welchem Huey Newton, einer der Mitbegründer der "Black Panther Party", an einen Operationstisch gekettet ist. Tatsächlich wurde Newton 1967 in Oakland, Kalifornien, von der Polizei während einer Bürgerrechts-Kundgebung in den Bauch geschossen — und "zur Sicherheit" angekettet.

Die Grundierung dieses faszinierenden Tracks basiert auf einem Sample aus Sam Waymons experimentellen Vampirfilm "Ganja & Hess" aus dem Jahr 1973. Der Text beschreibt eine fiktive Geschichte des politischen Kampfes der schwarzen US-Bevölkerung in den Sechziger- und Siebzigerjahren: In einem Pantheon untoter Superhelden werden radikale schwarze Aktivisten vorgestellt, die gegen das amerikanische Systeme der Unterdrückung gekämpft haben.

Musikalisch beziehen sich Clipping allerdings vor allem auf die Gravediggaz, Brotha Lynch Hung und das in den Neunzigerjahren kurzzeitig wegen Nachahmungsgefahr in der Kritik stehende Hip-Hop-Untergenre des Horrorcore, das ähnlich wie in Hörspielen bedrohliche Tonspuren, an Horrorfilme erinnernde Harmonien und Rhythmen sowie explizite Texte zu dystopischen Großstadtfantasien — im wahrsten Sinne des Wortes — verwurstete. Taucht man tiefer ein in die Rap-Texte von Clipping, meint man, sich mitten in nächtlichen Schusswechselszenen der HBO-Serie "The Wire" wiederzufinden: auf sich allein gestellt, ohne jede Chance auf Hilfe, im "State of Emergency" des schwarzen, urbanen Amerika.

Es stellt sich die Frage, ob es sich bei dem intensiven, totalen und zugleich ungemein beunruhigenden Klang eines gierigen Feuers, mit dem das Album abschließt, tatsächlich um ein brennendes Klavier handelt. Zwar würde man Clipping ohne mit der Wimper zu zucken auch das Zitieren der Fluxus-Tradition zerstörter Pianos zutrauen. Als Schlussakkord zu den zuvor gehörten Untergangsfantasien, könnte bei Clipping aber auch die schwarze Welt apokalyptisch brennen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: