Hip-Hop-Konzert:Papa ohne Maske

Sido live bei einem Konzert seiner Tausend Tattoos -Tour in der Swiss Life Hall. Hannover, 16.11.2019 *** Sido live at

"Ich bin all das, wovor deine Eltern dich immer gewarnt haben", rappt Sido. Und die Fans im Publikum tragen ihre Kinder auf den Schultern.

(Foto: Imago Images)

Einst Gangsta-Rapper aus Berlin, heute Gesangscoach im Fernsehen: Sido spielt im ausverkauften Zenith

Von Anna Weiss

"Minga Oida, mach keinen Mist jetzte", berlinert Sido am Anfang seines Konzerts im Zenith ins Mikro, und kurz darauf weiß das Publikum, was zu tun ist. Sido stimmt "Mein Block" an, einen seiner größten Hits. Schon beim ersten Takt werden Arme in die Luft gerissen und zur Musik geschwungen. Der Rapper ist zufrieden, allerdings nur mit dem vorderen Teil der Halle. "Ihr kennt mich ein bisschen länger als die da hinten", grinst er, und schätzt sein Publikum damit richtig ein. Die Mischung aus Familien, Schwangeren, tätowierten Gruppen und eingefleischten Hip-Hop-Fans spiegelt auch den Werdegang Sidos wider: Angefangen hat er als sozialkritischer, derber Rapper aus prekären Verhältnissen, jetzt sitzt er in vielen deutschen Wohnzimmern, wenn er als Gesangscoach in der Castingshow "The Voice of Germany" zu sehen ist.

Dieses Format spielt auch bei dem Konzert eine Rolle, Sido bittet die Gewinnerin der neunten Staffel auf die Bühne. Claudia Emmanuela Santoso singt eine Ballade, gefilmt von unzähligen Handys. Die möchte der Rapper danach nicht mehr sehen, schließlich hätten alle "Bilder im Kopf", dazu bringt er den gleichnamigen Song. Die Übergänge gelingen dem 38-Jährigen gut, er performt eine Mischung aus alten und neuen Songs, interagiert gerne mit seinem Publikum und spielt selbstironisch mit seinem Wandel vom Gangsta-Rapper zum harmloseren Künstler.

Sido beweist, warum er als einer der Besten seiner Zunft gilt: Seine Stimme hat einen ganz eigenen Klang, er rappt pointiert. Er ist von der Bühne zum DJ-Pult in der Mitte des Saals umgezogen, wo DJ Desue steht, der ihn bei dem Konzert unterstützt. Dazu gesellen sich Gastrapper, und die im Hip-Hop gerne gefeierte Männlichkeit wird rausgelassen. Es geht um "Eier" in sämtlichen Variationen, seien sie aus Stahl oder abwesend "wie bei Veganern". Bei dem Song "Schlechtes Vorbild" wird im Refrain gerappt: "Ich bin all das, wovor deine Eltern dich immer gewarnt haben". Anfang der Nullerjahre traf der Text zu, damals war Sido der Kinderschreck, der Mann mit der silbernen Maske - doch sein aktuelles Album heißt "Ich und keine Maske". Jetzt sitzen bei "Schlechtes Vorbild" in der tobenden Menge Kinder auf den Schultern ihrer Väter, tragen Sido-Shirts und wippen mit. Bei einigen poppig-pathetischen Stücken kommt fast Weihnachtsmarkt-Atmosphäre auf: Es wird geschunkelt, es duftet von einer Würstchenbude herüber, auf der Bühne steht ein Mann im roten Jogging-Zweiteiler. Während des Konzerts nennt sich Sido, der bürgerlich Paul Hartmut Würdig heißt, oft "der Papa", erzählt von seinem Leben als mehrfacher Vater, singt über das Verhältnis zu seinen Kindern.

Für zwei Lieder begleitet ihn sogar sein 19-jähriger Sohn am Schlagzeug. Bei seiner Geburt war Sido ebenfalls 19 Jahre alt. Später widmete er ihm den Song "Ein Teil von mir". Bei dem vorletzten Song "Astronaut" explodiert die Stimmung. Viele Fans springen in die Luft, klatschen mit den Händen über dem Kopf, umarmen sich und tanzen - Helene Fischer wäre neidisch. Alte Anhänger murren, sie warten auf einen Kult-Song mit sehr obszönem Titel. Als Sido diesen ankündigt, evakuieren einige Eltern ihren Nachwuchs aus dem Zenith. Der Papa ist im Herzen eben doch noch ein echter Gangster.

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