Hintergrundbericht:Saft abgedreht

Das Festival "Rockavaria" im Olympiapark wird dieses Jahr nicht stattfinden. Was fehlt, seien nicht die Fans. Sondern ein "würdiges Line-up", sagen die Veranstalter

Von Dirk Wagner

Gerade kursierten noch Gerüchte, das Münchner Rockfestival Rockavaria würde heuer womöglich die Rolling Stones ins bereits für das letzte Mai-Wochenende geblockte Olympiastadion holen. Schon ernüchtert eine Pressemitteilung am Samstag den Münchner Rockfan: "Global Concerts bestätigt nur ungerne, dass Rockavaria in 2017 nicht stattfinden wird". Deren Geschäftsführerin Andrea Blahetek-Hauzenberger betont darin die Absicht, Rockavaria nur dann zu präsentieren, wenn es gut genug ist. Leider sei es aber nicht gelungen, für dieses Jahr ein entsprechend würdiges Line-up aufzustellen, so die örtliche Veranstalterin.

Tatsächlich dürfte das Festival schon Anfang Dezember letzten Jahres in Frage gestellt worden sein. Damals wurde nämlich das ursprüngliche Drillings-Festival Rock Im Revier für 2017 abgesagt. Auf diesem Festival im Ruhrgebiet spielten in den beiden Vorjahren nahezu dieselben Bands wie auf dem Wiener Festival Rock In Vienna und auf dem Münchner Rockavaria. Nur eben jeweils um einen Tag verschoben, so dass das gesamte Line-up eines Festivaltages wie die vorgefertigten Wände eines Fertighauses von Festival zu Festival wandert. Man kennt das ja auch vom Zwillingsfestival Rock am Ring und Rock im Park des Frankfurter Konzertveranstalters Marek Lieberberg, dem die Deutsche Entertainment AG (DEAG) mit Rock Im Revier und ihren Schwester-Festivals eine Konkurrenz bot.

Musikfestival "Rockavaria" in München, 2016

An genügend Nachfrage von Fan-Seite liegt es nicht, dass das Münchner Festival "Rockavaria" dieses Jahr nicht stattfindet.

(Foto: Florian Peljak)

Mit einem vierten Festival Allmend rockt in Luzern im vergangenen Jahr hätte die DEAG nach ihren finanziellen Einbußen im ersten Jahr zum größten Festivalveranstalter Europas wachsen können. Solche finanziellen Einbußen hätte sie dann als Werbekosten verbuchen können. Schließlich sorgte der Auftakt 2015 mit Muse, Kiss, Metallica, Faith No More, und vielen anderen Headlinern schon für ein entsprechendes Aufsehen. Nie wird man vergessen, wie Metallica damals das Olympiastadion regelrecht auf den Kopf gestellt hatte, ohne auch nur einen ihrer Hits zu spielen, die sie auf ihren vorherigen Tourneen nur all zu häufig zu Gehör gebracht hatten. "Wie ihr bestimmt bemerkt habt, spielen wir heute nur Songs, die sonst auf unseren Konzerten immer zu kurz kommen", hatte das deren Sänger James Hetfield damals erklärt.

Doch auch das weniger opulente Programm letztes Jahr geizte nicht mit Stars wie Iron Maiden, Slayer, Nightwish oder Iggy Pop. Letzterer bot ein überwältigendes Abschiedskonzert, das sich ausschließlich auf seinen Karrierebeginn in den Sechzigern mit The Stooges und seine späteren Kooperationen mit David Bowie konzentriert hatte, bevor er erst in der Zugabe die Songs vom damals neuen Album präsentierte. Damit verdrehte Iggy Pop die übliche Choreografie eines Rockkonzerts. Und ein letztes Mal gelang dem scheidenden Godfather of Punk dabei der zur Schau gestellte Widerstand, als er schließlich den behördlichen Auflagen trotzte und also länger spielen wollte, als es die Münchner Nachtruhe einem Open Air-Festival gestattet. Prompt wurde ihm der Saft abgedreht, um den sonst fälligen Strafen zu entgehen. Wie dann aber Iggy Pop ohne Ton gleich einem Stummfilm-Star über die Bühne tänzelte, steckte in jener geradezu lyrischen Geste mehr Punk als in so manchem laut lärmenden Gitarrengewitter.

Iggy Pop beim Musikfestival "Rockavaria" in München, 2016

Iggy Pop, "Godfather of Punk", trotzte im vergangenen Jahr den behördlichen Auflagen und spielte länger als erlaubt - sogar ohne Ton.

(Foto: Florian Peljak)

Weil sich nun aber ein solches großes Festival wie Rockavaria wegen der hohen Produktionskosten erst nach einer mehrfachen Verwertung rechnet, dürfte mit dem Ende 2016 angekündigten Wegfall von Rock Im Revier auch schon das Münchner Spektakel gewackelt haben. Dass das Wiener Festival Rock In Vienna allerdings als einziges des einstigen Festival-Trios der DEAG auch dieses Jahr wieder stattfindet, verweist indes auf ein weiteres Problem der Veranstalter, das schon letztes Jahr in München die andernorts in diesem Rahmen aufgetretenen Rammstein verhinderte. Die spielten letztes Jahr nämlich schon auf dem Southside Festival am Bodensee und waren damit zu der Zeit vertraglich für weitere Auftritte in Bayern gesperrt. Ein Vergleich der diesjährigen Programme zeigt in dem Zusammenhang, dass die auf Rock in Vienna auftretenden Toten Hosen und Beatsteaks in Deutschland bereits bei Marek Lieberberg unter Vertrag sind und diesen Sommer also auch auf dessen Rock am Ring und Rock im Park zu sehen sein werden. Adäquate Alternativen haben die Veranstalter von Rockavaria nicht gefunden.

Bleibt darum nur zu hoffen, dass Rockavaria heuer wirklich nur pausiert. Zum einen, weil nach dem Weggang des einst in München gestarteten Rock Im Park die Stadt durchaus ein neues Rockfestival vertragen könnte. Zum anderen aber auch, weil Rockavaria viel konsequenter den Rockbegriff bedient als andere Rockfestivals, die längst schon verkaufsfördernd Pop-Bands aus dem Mainstream ein weiteres Forum bieten.

Solche Haltung lockt ein Publikum, von dem die Rockavaria-Veranstalter selbst im ersten Jahr überrascht waren. Ein Publikum nämlich, das im Theatron des Olympiaparks begeistert das Nebenprogramm mit den Insider-Tipps auf der kleinen Seebühne goutierte. Wegen der unterschätzten Nachfrage wurde prompt ein Jahr später die Seebühne vergrößert respektive im See verlagert, um der im Theatron geltenden Zuschauerbegrenzung zu entgehen. Als dort dann die Crossover-Helden Dog Eat Dog aufspielten, fragte deren Sänger ob der unüberschaubaren Zuschauermasse vor der Seebühne, ob überhaupt noch Menschen im gleichzeitig stattfindenden Stadionkonzert wären. Es waren! Und es mögen dort bitte bald wieder welche sein!

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