Hinterfragt: Web 2.0:Ritter der Schwafelrunde

Ein anschwellender Blogsgesang: Von wegen "Weisheit der Vielen" - Nur weil es jetzt viele kleine Häufchen im Netz gibt, ist es noch lange kein großer. Macht also endlich Schluss mit dem mystischen Erlösungsgerede über das Internet!

Alex Rühle

Das Internet ist eine große Erfindung. Ja, momentan kann einen das schillernde Gefühl beschleichen, in einer Liveschaltung in die eigene Zukunft zu leben: täglich neue Meldungen über Breitband, Feeds und Vlogs, und bei Google geht es zu wie in dieser Trickfilmserie aus den Siebzigern, bei der bunte Gummiwesen zu rhythmischem Gesang durchs Bild hüpften, Barbapapa, Barbamama, Barbabo. Googlebase, Googleearth, Googlefroogle - ständig neue hybride Applikationen, Zauberspielzeug, das die tollsten Programme benutzerfreundlich verlinkt.

Hinterfragt: Web 2.0: Der "Monarch Visible" - ja. Und laut. Und heute ist ja jeder ein König.

Der "Monarch Visible" - ja. Und laut. Und heute ist ja jeder ein König.

Blogs, also Web-Tagebücher können in diesem großartigen Netz auch wunderbare Funktionen erfüllen, Sprachrohr der Freiheit, ungefilterte Wirklichkeit, mitgeschrieben in Echtzeit. Aber kann nicht mal jemand das heilshysterische Gerede von der im ¸¸Web 2.0" nun endgültig erreichten Graswurzeldemokratie abstellen? Können nicht all die Metaphern vom transzendentalen Übernetz ein Ende haben? Was soll so metaphysisch sein am Netz?

Ende der Neunziger gab es schon einmal eine Blütezeit der Netzmystik. Peter Sloterdijk sprach von der Allianz der Seele mit der Maschine. Sherry Turkle sah Theoreme des Poststrukturalismus, die um die Dezentrierung des Subjekts kreisten, im Netz Realität werden. Ja, Derridas Texte haben laut Turkle in der Beziehung von Subjekt und Netz überhaupt erst ihren Sinn bekommen. Und im ¸¸Cluetrain Manifest", in dem es um Märkte im digitalen Zeitalter ging, wurde der Menschheit dank Internet eine Renaissance versprochen: ¸¸Wir sind keine Zielgruppen oder Endnutzer oder Konsumenten mehr. Wir sind Menschen!" Wie bei Luther hatte das Manifest 95 Thesen, und die Autoren verglichen seine Wirkmacht mit dem ¸¸Kommunistischen Manifest". All dieses Gerede verstummte halbwegs mit dem großen Dotcom-Sterben.

Vor zwei Jahren aber setzte das mystische Raunen wieder ein, erst noch leise, dann aber steigerte es sich rasant zu anschwellendem Blogsgesang. Und plötzlich war kein Halten mehr. Steven Levy schrieb in Wired, dass ¸¸sich im Internet die Idee eines kollektiven Bewusstseins manifestiert". George Dyson feiert das Netz als ¸¸Geist, den wir alle teilen". Kevin Kelly sagt, das Internet sei ¸¸ein magisches Fenster", das uns eine ¸¸gottgleiche" Perspektive auf das Leben erlaube.

Kelly geht noch weiter, als Brachialhegelianer dichtet er dem Netz eine teleologische Erfüllung zu, es wird bei ihm erlösender Zielpunkt der Evolution: ¸¸Schicksal" des Netzes sei es, ¸¸zum Betriebssystem eines Megacomputers zu werden, der das Web umfasst, alle Dienste und Prozessoren, Milliarden von menschlichen Gehirnen. Konfuzius, Zarathustra und Buddha lebten in einer ähnlichen Ära, an einem Wendepunkt, bekannt als Achsenzeit der Religionen. Heute ist wieder eine solche Zeit." Kelly, Dyson und Levy gehören zu den Vordenkern des Internets. Die Wirtschaftsmanager sollten ihnen für die religiöse Überwölbung ihrer konsumorientierten technischen Neuerungen Geld überweisen.

Die ökonomische Basis: Im August 2004 startete Google an der Börse; 2005 legten die Aktien um 150 Prozent zu. Der ideologische Überbau: Zeitgleich zu Googles Börsengang fand in San Francisco unter dem Titel ¸¸Web 2.0" eine Konferenz statt, bei der einige Internetkapitäne nach eigenem Bekunden ¸¸Visionen" austauschten. Web 2.0, der Begriff setzte sich bei ihnen allen fest und sickerte ins Netz ein. Wie das neue Netz aber aussieht, was Web 2.0 sein soll außer einer Projektionsfläche für die Heils- und Totalitarismusphantasien einiger Egobooster, kann einem keiner sagen.

Natürlich, es gibt die Bildergalerie Flickr, die Musikbörsen, Googleearth, all diese Programme, die Konsumenten miteinander vernetzen und ihnen fantastische Plattformen für Kommunikation und Selbstinszenierung bieten. Die Internetgemeinde aber redet vom Web 2.0 in Begriffen wie auf einem sozialpädagogischen Urchristenkonvent: Ehrlichkeit, Vertrauen, Authentizität. In der Online-Enzyklopädie ¸¸Wikipedia" heißt es dagegen verblüffend offen: ¸¸Der Begriff Web 2.0 wurde bei einem Treffen des Verlegers O"Reilly und dem Eventorganisierer Media Live International als marktgerechter Begriff geprägt." Ein Verleger. Ein Eventmanager. Ein marktgerechter Begriff. Was hat das mit Ehrlichkeit und Authentizität zu tun? Geschweige denn mit einem digitalen Weltgeist, in dem das Wissen aller User sich zu totaler Erkenntnis summiert?

Auf diese algebraische Scharlatanerie laufen all die mystifizierenden Parolen hinaus: Da alle am Netz mitarbeiten, ergeben die darin enthaltenen Texte das Weltwissen. Oder wie James Surowiecki in seinem Buch ¸¸Weisheit der Vielen" diese optimistische Formel umschreibt: ¸¸Gruppen können gescheiter sein als deren gescheitestes Individuum."

Der glänzende Publizist und Blogger Nicholas Carr schreibt über die Metaphysikalisierung des Web-Diskurses: ¸¸Wenn wir das Netz mit religiösen Begriffen beschreiben, wenn wir es durchtränken mit unserer Sehnsucht nach Transzendenz, dann können wir es nicht länger objektiv sehen." Carr sieht darin eine narzisstische Strategie. Wenn das Internet gottgleich ist, kann man nichts daran kritisieren. Und alle Blogger wären Teil des göttlichen Planes. Oder gar Gottes Stimme.

Die meisten Blogger haben dementsprechend ein manichäisches Weltbild: Es gibt das Reich der MSM, was die abfällige Abkürzung für Mainstreammedien ist. Medien sind machtverkrebste ¸¸Organisationen", die in Hinterzimmern sitzen und nach Kräften filtern und fälschen für eine stumpf amorphe Leserschaft. Die Blogger dagegen sind eine rundum kritische Masse aus hellwachen, unabhängigen Individuen.

Blogger sind längst ein wichtiges Korrektiv, sowohl für den Journalismus als auch in der Wirtschaft. Blogger haben in Amerika mächtige Journalisten zu Fall gebracht. Und selbst Weltkonzerne haben Angst vor dem Kesseltreiben, in das sich Chatforen verwandeln können. Nicht lange her, da hat ein Blogger nachgewiesen, dass der CD-Kopierschutz der Firma Sony BMG so aggressiv ist wie ein Virus, weil er sich auf den Computern der Kunden einnisten und die Rechner angreifen konnte. Früher hätte der Mann einen Brief geschrieben und eventuell eine schmallippige Antwort bekommen. Heute, in Zeiten der globalen Stiftung WWWarentest, löste seine Erkenntnis einen Orkan im Netz aus. Am Ende entschuldigte sich der Chef des Musikkonzerns persönlich in einer Pressekonferenz. Aus Konsumentensicht ist etwas dran an dem Satz: Wir sind das Netz.

Aber der narzisstische Glaube vieler Blogger, schon im Moment ihrer Blogeröffnung eine kritische politische Gegenöffentlichkeit zu sein, die implizite Behauptung, das Medium selbst sei Garant für bestechend unabhängige Qualität und ritterliches Tun, kann ermüden. Als der amerikanische Medienwissenschaftler Aaron Delwiche untersuchte, was die wichtigsten Themen der Blogger sind, kam heraus, dass es - neben dem Irak-Krieg - nur die eigenen Blogs waren. Jeder schreibt selbstreferentiell vor sich hin. Von akkumulierendem Weltgeist ist selten etwas zu spüren.

Nicholas Carr glaubt, dass das Internet, das doch angeblich unendliche Freiheit bringt, am Ende unser aller Auswahl limitieren werde. Weil es umsonst ist, würden die Encyclopedia Britannica von Wikipedia und die Zeitungen von Blogs verdrängt. ¸¸Die ekstatischen Visionen des Web 2.0 setzen die Hegemonie des Amateurs voraus. Ich meinerseits kann mir nichts vorstellen, das furchterregender wäre."

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