Was muss ein Mann befürchten, der seine körperliche, soziale oder kulturelle Überlegenheit gegenüber einer Frau ausnutzt, um gegen ihren Willen mit ihr Sex zu haben? Blickt man in diesen Tagen in die USA, scheint die Antwort leider "Nichts" zu lauten. Brett Kavanaugh, ein Mann, dem mehrere Frauen mindestens körperliche Belästigung vorwerfen und der, so wollen es Weggefährten wissen, unter Alkoholeinfluss (unter dem er anscheinend oft stand) zu Obszönität und Gewalt neigt, ist vom Senat ins Amt des obersten Richters befördert worden. Nachdem in diesem Jahr so oft Hexenjagden beklagt wurden und sich viele Männer fürchten, "in Zeiten von Metoo" für ein falsches Kompliment an den Pranger zu geraten, mag es manche beruhigen, dass es auch anders laufen kann. Man braucht nur genug politischen Willen, dann kommt man den übersteigerten Ansprüchen von Feministinnen schon bei.
Damit muss der gesellschaftliche Wandel, den sich viele erhoffen, noch nicht zu Grabe getragen werden. Es gibt ja einige Gegenbeispiele. Doch der Fall Kavanaugh zeigt, wie massiv die Beharrungskräfte sind, die Männern erlauben, sich an Frauen zu vergreifen. Er darf als Paradebeispiel dafür gelten, wie kulturelle Konventionen und emotionale Gesten die Vorherrschaft von Männern auch im Jahr 2018 sichern.
USA:Trump spaltet sein Volk in verfeindete Stämme
Der US-Präsident wollte den Krieg um seinen konservativen Richterkandidaten Kavanaugh - und hat ihn bekommen. Wer den Preis dafür bezahlt, ist ihm egal.
Den Debatten um die Legitimität von Metoo liegt die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Mitgefühls zugrunde. Über nichts wird dabei so erhitzt diskutiert wie über die Frage, wie die Gesellschaft mit entsprechenden Vorwürfen umgehen soll, wenn der Beschuldigte sich in exponierter Position befindet: Verdient er den entschlossenen Schutz der Gemeinschaft, so lange es keine "unabhängigen" Zeugen oder eindeutiges Beweismaterial gibt? Gibt es ein Recht auf Belästigung, wenn sie nicht böse gemeint war? Gilt der Anspruch einer Frau auf körperliche Integrität absolut - oder muss man ihn als unzulässige Überforderung des Mannes verstehen.
Der Anspruch auf Nachsicht stützt eine Machtdynamik, die unsere Gesellschaft entlang der Geschlechterlinie trennt. Die australische Philosophin Kate Manne beschreibt in ihrer Studie "Down Girl" - zu deutsch "Sitz, Mädchen" - diese Verteilung als "Logik der Misogynie." Manne will verstehen, warum Männer immer wieder glauben, Frauen nicht nur sozial diskriminieren zu dürfen, sondern auch sexuelle Ansprüche an sie stellen, diese notfalls mit Gewalt durchsetzen oder sie zum Schweigen bringen dürfen. Zum anderen fragt die Philosophin, nach welcher Logik solche Täter mit Verständnis oder schweigender Zustimmung rechnen können.
Der Grund dafür, schreibt sie, liege eben nicht in einem irrationalen Hass, den manche Menschen, Männer wie Frauen, nun einmal gegen das weibliche Geschlecht hegen. Dies sei eine "naive" Konzeption der Misogynie, die sie nicht gelten lassen will, weil sie Frauen keinen Ausweg erlaube. Vielmehr beruhe die Benachteiligung der Frau auf einer verbreiteten, in kulturellen und sozialen Praktiken eingeschriebenen Bevorzugung des Mannes. Solche Praktiken sieht sie in der Prostitution, in Schönheitsidealen, in der Erziehung oder eben auch in Sprachkonventionen, die Weiblichkeit immer noch abwertend konnotieren. Hier schlägt sie einen einleuchtenden Bogen von der deutschen Bundeskanzlerin, die von ihren politischen Gegnern höhnisch als "die Dame" oder "Mutti" bezeichnet wird zum US-Präsidenten, der sagt, als Promi könne man mit Frauen alles machen, man könne ihnen auch einfach an ihre "Pussy" fassen.
Manne erklärt das so: In einer patriarchalen Ordnung - also einer, in der sich überwiegend Männer in Positionen der Macht befinden - gibt es zwei Hierarchiestrukturen. Die eine läuft über die Verteilung der emotionalen und körperlichen Ansprüche, die ein Mensch stellen darf. Die Frau ist hier als diejenige definiert, die dem Mann eine Reihe von Ansprüchen zu erfüllen hat - Sicherheit, Charme, ästhetische und körperliche Zuvorkommenheit. Der Mann ist in dieser Matrix derjenige, der einen Anspruch erheben darf. Damit verbindet Kate Manne dann auch noch eine Hierarchie unter den Geschlechtern, bei der weiße, reiche Männer ganz oben stehen und arme, schwarze Frauen ganz unten.
Die erste Struktur sorgt für die Selbstverständlichkeit, mit der Männer Bestätigung und Verfügbarkeit durch Frauen einfordern und Frauen diese auch zu geben bereit sind; die zweite sorgt dafür, dass manche Männer in diesen Ansprüchen gesellschaftlich unterstützt werden, wenn sie sie gegen den Willen der Frau durchsetzen.
Mehr noch, sie dürfen sogar mit einem Sympathieüberschuss rechnen. Manne nennt diesen Mechanismus "Himpathy" - ein Kofferwort aus "Sympathy" und "Him": Sie definiert das als unangemessene und disproportionale Empathie, die privilegierten Männern entgegen gebracht wird, wenn diese sich misogyner Handlungen schuldig machen. "Himpathy" gibt es besonders unter gleich gestellten Männern. Sie trägt das freundliche Gesicht der Brüderlichkeit, sie sagt "Jungs sind eben so". Sie gedeiht in Studentenverbindungen und anderen überwiegend männlichen Soziotopen, sie wird aber auch in jeder Familie gepflegt, in der das Schreien einer Tochter als Hysterie bewertet wird, das Weinen des Sohnes aber als Krisensituation.
"Himpathy"- ein treffender englischer Neologismus für unser parteiisches Verhalten
Das Phänomen der "Himpathy" erklärt auch die besondere Sorge um beschuldigte Männer im Kontrast zu dem eher lapidaren Umgang mit den Frauen, die ihre Opfer sind. "Himpathy" ist die gelernte emotionale Überbewertung des Mannes, die die gelernte emotionale Unterbewertung der Frau spiegelt. Sie ist die Begeisterung für den engagierten Jungkollegen, das überschwängliche Lob des super engagierten Papas und sie ist die Genervtheit von der dominanten Kollegin und der Unwille, alleinerziehende Mütter einzustellen.
Himpathy wirft dem Opfer ihren Minirock vor. Himpathy ist eine Öffentlichkeit, die nicht wissen will, dass ein Weltfußballer mindestens eine Frau mit ziemlicher Sicherheit vergewaltigt hat. Und Himpathy prägt das Urteil eines Gerichts, das eine Frau zu einer hohen Geldstrafe verurteilt, aus Rücksicht auf den beschädigten Ruf der zwei Männer, die ein unfreiwillig gedrehtes Sex-Video von ihr verbreitet haben, wie es im Prozess um Gina-Lisa Lohfink 2016 geschah. Wenn Männer grundsätzlich Rechte auf Frauen haben, kann man ihnen kaum einen Vorwurf machen, wenn sie darauf beharren. Das ist die Logik der Misogynie, die den "Vorteil Mann" stützt.
Brett Kavanaugh kommt wie sein Gönner Donald Trump aus einem Milieu, in dem männliche Eliten sich über Verbrüderungsrituale wie Saufgelage verbinden. Viele seiner Weggefährten haben die Partykultur geschildert, die er gepflegt haben soll und in der Frauen nur als dekoratives Beiwerk und Verfügungsmasse galten. Als Christine Blasey-Ford während ihrer Aussage vor dem Untersuchungsausschuss weinte, äußerte sich keiner der Senatoren dazu. Als Brett Kavanaugh später schluchzend alle Vorwürfe abstritt, entschuldigten sich mehrere der anwesenden Herren für die Unannehmlichkeiten. Bei einer Spendenaktion wurden für seine Familie bereits 500 000 Dollar gesammelt.
Die besondere Missachtung der Frauen ist das, was aus der besonderen Vorliebe für Männer und alles, was Männer machen, entspringt. Sie ist an ein gutes, schönes, gerechtes Gefühl gebunden. Solche Gefühle lassen sich besser verstehen als Hass und Abneigung. Sie lassen sich aber auch schwerer überwinden.