Hertzkammer:Aufbruch

DJ Ellen Allien im Mixed Munich Arts

Von Martin Pfnür

Berlin in den Jahren nach der Wende, das war, wie man allerlei Dokumentationen und Fotobänden entnehmen kann, für viele junge Leute nichts weniger als der Inbegriff des Aufbruchs. Die alte Ordnung war passé, der Kapitalismus noch nicht entfesselt, und so verwandelte sich eine Stadt voller Brachen insbesondere im lange verschlossenen Osten alsbald in eine Art überdimensionierten Abenteuerspielplatz. Bunker, Tresor oder E-Werk hießen die ersten improvisierten Techno-Clubs in Mitte, hinter deren Plattentellern auch die damals 23-jährige Ellen Fraatz alias Ellen Allien von 1992 an stand. Die immense Energie, der Optimismus, der ihre Tracks auch heute noch auszeichnet, der komme auch vom Mauerfall, sagt die Westberlinerin. "Von heute auf morgen war plötzlich alles möglich. Damals habe ich mein Spielfeld definiert."

Ein Vierteljahrhundert ist das jetzt bald her, und natürlich hat sich das musikalische Spielfeld, das die heute 47-Jährige mit ihren ersten Sets als Resident-DJ in den besagten Clubs definierte, noch mal erheblich erweitert. Legte die längst als Grande Dame des Techno verehrte Berlinerin in den frühen Jahren ihrer Karriere primär minimalistischen Acid House und brettharten Techno auf die Teller, so ist sie heute einerseits als experimentier- und samplefreudiger DJ, andererseits aber auch als Produzentin und Betreiberin des Labels "BPitch Control" ungleich umtriebiger. Vor allem "BPitch Control", 1999 in einem zweiten Anlauf nach dem Scheitern ihres ersten Labels "Braincandy" gegründet, verhalf ihr zu einem Ansehen, das weit über Berlin hinausreicht.

Hier veröffentlicht sie ihre eigenen Alben, darunter ihr wunderbares Zweitwerk "Berlinette" von 2003, mit dem sie ihren blubbernd-splitterigen, stark electro-infizierten Sound erstmals auch mit eigenem Gesang und Gitarren versah und damit Richtung Indietronics verschob; hier verschmolz sie ihr eigenes Klanguniversum mit jenem des Frickel-Melancholikers Sascha Ring alias Apparat, indem die beiden sich als Orchestra Of Bubbles kongenial zwischen Techno und Trance neu erfanden; und hier verhalf sie Acts wie Paul Kalkbrenner, dem Duo Modeselektor und eben Apparat zum Durchbruch.

2016 wiederum scheint für Ellen Allien im Zeichen der Rückschau zu stehen. So zeigte sie mit einem edel unterkühlten "Essential Mix" für BBC Radio 1 dieser Tage die ganze stilistische Fülle ihrer Plattensammlung auf, während sie auf ihrer neuen EP "Landing XX" ebenjenen strammen Sound kredenzt, mit dem sie einst in Berlin ihr Spielfeld definierte: Acid House - Four to the Floor.

Ellen Allien, Sonntag, 1. Januar, nach 00.30 Uhr, Mixed Munich Arts, Katharina-von-Bora-Str. 8a

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