"Herbstsonate" am Schauspiel Stuttgart:Gespenster auf Liebesentzug

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Corinna Harfouch als Charlotte, Fritzi Haberlandt als Eva (li.). (Foto: Bettina Stöß)

Im Vergleich damit ist jede private Familienhölle fröhlich: In Stuttgart adaptiert Jan Bosse Ingmar Bergmans Film "Herbstsonate". Die Besetzung ist mit Corinna Harfouch und Fritzi Haberlandt grandios, doch die Aufführung versinkt von der Mitte an in einem Jammertal.

Von Egbert Tholl

Der Jubel wiederholt sich. Vor gut einem Jahr, zum Einstand von Intendant Armin Petras, adaptierte Jan Bosse Ingmar Bergmans Film "Szenen einer Ehe" für das Stuttgarter Schauspiel, und beglückt konnte man erleben, wie Bosse die Schwere der Vorlage ganz leicht wirken ließ.

Nun nahm Bosse sich wieder Bergman vor, dessen Film "Herbstsonate". Das Team ist dasselbe, die Dramaturgin Gabriella Bußacker, der Bühnenbildner Moritz Müller, auch die Besetzung ist mit Corinna Harfouch und Fritzi Haberlandt wieder grandios, das Publikum jubelt - und doch versinkt die Aufführung von der Mitte an in einem Jammertal, in dem sich wohlzufühlen nur schwermütigen Menschen gelingen mag.

Oder anders gesagt: "Herbstsonate" ist das perfekte Weihnachtsstück, weil im Vergleich zu diesem jede private Familienhölle an den Festtagen wie eine fröhliche Zusammenkunft wirken mag.

Gleichwohl: Liest man nur den Text, den Bosse und Bußacker mit Akribie dem Film abgelauscht haben, dann verblüfft die rhetorische Eleganz der Verwundungen, die die Figuren mit sich herumtragen. Das Verzopfte des Films und die konstruierten Volten hinab in die Abgründe des Personals lösen sich auf in luzider Gnadenlosigkeit.

Sieben Jahre haben sie sich nicht gesehen. Nun besucht Charlotte, gefeierte Pianistin, ihre Tochter Eva im Pfarrhaus, das diese mit ihrem Mann Viktor bewohnt. Dort lebt auch Helena, Evas Schwester, befallen von einer rätselhaften Krankheit, die ihr die Sprache raubt.

Von Anfang an unheimlich

Im Film stellt Bergman die Helena als Menschenbündel mit krasser Behinderung aus, in der Aufführung ist sie eine Puppe. Natalie Belitski trägt ein altmodisches Kleid, ein Maximalkontrast zur weltläufigen Eleganz der Frau Mama, sie bewegt sich wie eine schöne Marionette und geistert des Nachts in Schlafwäsche herum, wenn sie nicht, die Puppe, das ganze Haus verpuppt, also mit den Fäden ihres langen Schals überzieht.

Von Anfang an ist es unheimlich. Das Haus, eine Ansammlung von Interieurs, verteilt auf verschiedene Containerkästen in mehreren Etagen, dreht sich, und mit jedem Drehen blickt man in neue Enge hinein. Mal raucht Viktor, der pfarrershaft steife Andreas Leupold, verborgen hinter einem Fenster, mal taucht Erik auf, Evas und Viktors mit vier Jahren umgekommener Sohn.

Überall Gespenster, auch in den Projektionen, die die Interieurs vervielfältigen. Und doch ist alles aufgeräumt, als wären Pollesch oder Castorf eben ausgezogen und hätten zuvor noch geputzt.

Eine Zeit lang ist es eine große Freude, Corinna Harfouch als kühle Mutter und Fritzi Haberlandt als nervöse Tochter bei ihren Annäherungen zu beobachten. Es geht um Liebe. Die Liebe, die Charlotte nicht geben konnte, die sie wiederum von der Tochter ersehnte und nie bekam. Dann setzt jedoch der Verstand aus - und die beiden, man kann es nicht anders sagen, greinen um die Wette.

Keine Komik bringt mehr Linderung, alles ist todernst, auch der Psychoalbtraum, in dem alle Figuren um Charlotte zu Puppen werden, lauter Helenas, Opfer des Liebesentzugs. Da gibt es keinen Ausweg mehr; ach Gott, ist das Leben schrecklich.

© SZ vom 22.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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