Herbert von Karajan und die NS-Zeit:"Völlig gleichgültig"

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Seine NSDAP-Mitgliedschaft sei nur ein Karrierehebel gewesen, so lautet eine gängige Meinung über Karajan. Doch wie politisch verstrickt war der Dirigent vor 1945 wirklich?

Oliver Rathkolb

Durch Karajans biographische Selbstinszenierungen und die meisten Biographien über den Maestro zieht sich ein "brauner" Faden: Sein NSDAP-Beitritt sei nichts anderes gewesen als ein Karrierehebel - noch 1981 hatte er gegenüber Robert C. Bachmann erklärt, dass ihm, Karajan, die Debatte um seine Mitgliedschaft bei der NSDAP "ganz gleichgültig" sei. "Was mir wichtig war, dass ich endlich das haben konnte - immerhin, in Aachen war ein großes Orchester und ein wunderbarer Gesangsverein... Ja also, ich hätte einen Mord begangen". Gleichgültig blieb Karajan auch der menschliche und politische Kontext, in dem sich die Musikkultur im Nationalsozialismus abspielte. Vertreibung und Verfolgung in ganz Europa, Aggressionskriege und die Shoa wischte Karajan völlig zur Seite. Aber war Karajan wirklich so apolitisch vor 1945?

Bis heute arbeiten sich zahlreiche Biographen an Karajans NSDAP-Mitgliedschaft ab, die in den aktuellen Jubiläumsdokumentationen kaum berührt wird. So wird gerne versucht, die Tatsache zu verdecken, dass Karajan bereits im April 1933 in Salzburg bei einem "Bundesbruder" der schlagenden Gymnasialverbindung Rugia um Aufnahme in die NSDAP angesucht hatte. Doch wenige Monate später wurde die NSDAP in Österreich, wo sie sich als Terrororganisation mit zahlreichen Opfern bemerkbar gemacht hatte, vom Dollfuß-Regime verboten.

Kein Wunder, dass Karajan keine Mitgliedsbeiträge mehr zahlte, denn er wollte in Salzburg als auch später in Wien dirigieren, wäre aber dann als "illegaler" Nazi belangt worden. Doch Karajan hatte vorgesorgt, hatte im "Altreich" in Ulm schnell noch am 1. Mai 1933 einen zweiten Antrag gestellt und sich auch brav nach Berlin und letztlich Aachen bei der jeweiligen Ortsgruppe umgemeldet. Nach einiger Verwirrung erhielt Karajan dann auch 1939 das ersehnte Mitgliedsbuch "unter Hinweis auf die bestehenden Meldevorschriften und nach Regelung der Beitragszahlung".

Karajan war 1930 bis 1935 als Kapellmeister in Ulm engagiert, beobachtete aber immer wieder seinen Kollegen Otto Schulmann, einen Münchner, der nach 1933 als Jude ins Exil in die USA vertrieben wurde, wo er als Gesangslehrer, auch des Tenors Jess Thomas, in San Francisco lebte. Karajan profitierte nicht nur von Schulmanns Begabung, sondern auch kurzfristig von dessen Hinauswurf, den er nie bedauernd oder im Zusammenhang mit dem antisemitischen Rassismus kommentiert hat. Es hatte sich vor 1933 eine Freundschaft zwischen beiden Dirigenten entwickelt, die später von Schulmann nicht weiter kommentiert wurde.

"Wer ein Jud' ist, bestimme ich"

Wie viele Österreicher und Deutsche war Karajan vom Antisemitismus der Zeit infiziert. Er war anders sozialisiert: Zwischen 1927 und 1928 trug er sich in den Studienbüchern der Uni Wien, aber auch an der Technischen Hochschule immer als "Arier" oder "Arisch" ein, was damals nur ganz rechte deutschnationale und offensiv antisemitische Studenten vermerkten. Seinen Eltern berichtete er, dass er bei dem Rechtsanwalt Dr. Karl Samuely eine Wohnung gefunden hatte: "Er ist ein Jude Rechtsanwalt".

Der Student Karajan durfte den Blüthner-Flügel des Rechtsanwalts benützen. Dass Karajans Antisemitismus nach der Luegerschen Prägung gestrickt war - "Wer ein Jud' ist, bestimme ich" - liegt auf der Hand, wobei er nach 1933 durchaus rabiater argumentierte und beispielsweise 1934 in einem Brief an seine Eltern gegen die "Volksoper" in Wien polemisierte, wo er nicht dirigieren wolle, da "es ja doch nur ein Vorstadttheater, ohne Namen war, außerdem wird das gesamte Palästina dort gesammelt sein".

Ebenfalls völlig im Dunkel der Geschichte lassen Karajan und seine Biographen das geschickte Agieren mit der gleichgeschalteten deutschen Presse. Karajans Agent war Rudolf Vedder, eine dubiose, aber höchst umtriebige Persönlichkeit mit guten Kontakten zu höchsten SS-Kreisen um Ludolf-Hermann von Alvensleben, von 1938 bis 1940 Erster Adjutant des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler. Vedder hatte eine zentrale künstlerische Weichenstellung vorgeschlagen, um dem "alten" Furtwängler in Berlin das Wasser abzugraben und dessen Privileg auf Konzerte mit den Berliner Philharmonikern durch Konzerte Karajans mit der Berliner Staatskapelle, die sich aus Musikern der Staatsoper zusammensetzte, streitig zu machen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der Mythos des unpolitischen Musizierens bis heute nachwirkt.

Hinter der bis heute immer wieder gern zitierten Kritik, die unter dem Titel "Das Wunder Karajan" stand und sich auf den zweiten Berliner Auftritt des Dirigenten, mit "Tristan und Isolde" 1938 an der Staatsoper Berlin bezieht, steckte allerdings nicht der unterzeichnende Musikschriftsteller und Starkritiker Edwin von der Nüll, sondern jemand anderer. Wie die Schlagzeile "Staatsrat Tietjens großer Griff" und Furtwänglers Aussagen dokumentieren, war dies jener Generalintendant Heinz Tietjen, ein Intimfeind Furtwänglers, der diesen bereits 1937 in Bayreuth kalt gestellt hatte. Auffällig ist, dass andere Kritiker zwar die Aufführung lobten, aber diese nicht zur Sensation des Jahrhunderts stilisierten.

Im Kampf um die erste Stelle in Berlin feierte Karajan anfangs große Erfolge, obwohl ihn Hitler als Dirigenten nicht schätzte. Es war dann auch Tietjen, der im Juni 1942 Karajan wieder in die zweite Reihe der Berliner Hochkultur zurückschickte, und den Vertrag des medienbewussten Dauergastes an der Staatsoper nicht verlängerte, da dieser aus seiner Sicht maßlose Forderungen stellte. Sechs Doppelsymphoniekonzerte pro Jahr mit der Staatskapelle blieben aber bis 1944 aufrecht und schafften Karajan genügend Präsenz in Berlin.

Karajan und seine Biographen bringen diese relative Rückstufung, die Karajan als Herabsetzung bis zur politische Verfolgung interpretierte, immer mit der Heirat mit Anna Maria (Anita) Gütermann in Verbindung. Anita war "Vierteljüdin" in der rassistischen Diktion des NS-Regimes. Tatsache ist aber, dass diese zweite Ehe Karajans dem unzufriedenen Stardirigenten deutlich mehr Vorteile bot, denn Anita stammte aus einer der großen deutschen Industriellenfamilien.

Die Gütermanns hatten sich mit ihrem berühmten Nähseide-Unternehmen ab 1933 den Nazis angebiedert. Weil die Urgroßeltern Anitas Juden gewesen waren, wurde die Parteimitgliedschaft einzelner männlicher Familienmitglieder, die das Unternehmen führten, getilgt oder abgelehnt. Trotzdem haben die Gütermanns im nationalsozialistischen Deutschland gut gelebt und beste Kontakte gehabt. Zwar wurde gegen Karajan eine interne Untersuchung der Reichsmusikkammer gestartet, aber Goebbels ließ die Nachforschungen 1943 per Weisung einstellen.

Deutlich mehr geschadet im Wettkampf um Platz Eins am deutschen Dirigentenhimmel hatte Karajan, dass Vedder aus der NSDAP und SS 1942 temporär ausgeschlossen wurde, und dass Furtwängler sich NS-Größen wie Hitler und Goebbels wieder stärker angepasst hatte. Für Karajan blieben in der zweiten Reihe genügend Betätigungsmöglichkeiten. Ein Blick in die Aufführungsdatenbank des Eliette und Herbert von Karajan Instituts genügt: So dirigierte er nach wie vor die Berliner Staatskapelle und begann, in Italien, im besetzten Dänemark, und im mit Hitler-Deutschland kollaborierenden Rumänien zu arbeiten.

Ein zweites "Wunder Karajan"

Im Jahr 1944 startete er mit Unterstützung eines neuen Protektors im Goebbelsministerium, Staatssekretär Leopold Gutterer, nochmals durch mit dem Linzer Reichs-Bruckner-Orchester. Auch zur Erbauung von Spitzenmanagern der deutschen Rüstungsindustrie sowie Rüstungsminister Albert Speer, bevor dieser die ausgemergelten KZ-Häftlinge in den Reichswerken Hermann Göring in Linz "besichtigte". Noch im Dezember 1944 sollte das Reichs-Bruckner-Orchester zu "Ehren des Führers" zum besten Orchester des Deutschen Reichs hochgefahren werden, aber das Kriegsende zerschlug diese Allmachtsphantasien.

Aus der Tatsache, dass Karajan nach dem letzten Berliner Konzert im Februar 1945 nach Mailand auswich, während sein Publikum im Bombenhagel zurückblieb, seine Desertion zu konstruieren, ist kühn - nach wie vor war er "u.k." gestellt, also wehrdiensttauglich, aber "unabkömmlich". Über Triest kehrte er Ende 1945 nach Salzburg zurück und begann erfolgreich die Konstruktion eines zweiten "Wunders Karajan" in den Entnazifizierungverfahren vor alliierten und österreichischen Behörden, die auf keinerlei schriftlichen Quellen basierten: Karajan habe genug gelitten, es lebe der neue Karajan, der immer nur für die Musik gelebt hat. Bis heute wirkt dieser Mythos nach, Musikschaffen an prominenter Stelle habe nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun gehabt.

Der Autor ist Professor für Zeitgeschichte an der Uni Wien und Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit.

© SZ vom 3.4.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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