"Das Ministerium der Träume" ist ein sehr deutscher Buchtitel. Was wäre deutscher als ein Ministerium, von dem man zwar einen Stempel braucht, das es aber bei näherer Betrachtung gar nicht gibt? Es kommt nämlich im ganzen Buch kein Ministerium vor. Nicht mal ein ganz kleines. Es gibt aber eine Traumfabrik, die durch ein zusätzliches A zur Traumafabrik wird - es kommen allerdings auch keine Traumata vor, zumindest nicht serienmäßig. Die beschriebenen Traumata sind alle sehr eigen, also eher Spezialanfertigungen.
Träume dagegen gibt es. Träumen tut sie Nasrin, eine Türsteherin, die sich selbst eine "migrantische Lesbe" nennt. Sie ist als Kind mit Mutter und Schwester aus Teheran nach Deutschland immigriert, der Vater blieb zurück und wurde hingerichtet. Mit zwölf wird sie von einem Rechtsradikalen in einem Bauwagen vergewaltigt. In ihrer Pubertät in Lübeck trauen sie und ihre Freunde sich wegen rechter Mordanschläge nicht im Dunkeln vor die Tür. Inzwischen lebt sie in Berlin. Mittlerweile in ihren Vierzigern, ist sie tief in der queeren Szene verwurzelt, in der sie sich zum ersten Mal wirklich angenommen fühlt.
Als ihre Schwester Nushin bei einem Autounfall stirbt, übernimmt Nasrin die Fürsorge für deren Tochter Parvin. Die wiederum hat nicht die geringste Lust, befürsorgt zu werden. Dann kommen Zweifel auf, dass Nushin wirklich bei einem Unfall starb - war es doch Selbstmord? Oder sogar Mord? So wie "Das Ministerium der Träume" ein Buch über Deutschland und seine Abgründe ist, ist es auch eines über Frauen und ihre Stärke. Männer kommen nicht besonders viel vor (erst recht keine alten weißen), es sei denn in entfernten Nebenrollen oder als Aggressoren. Die vier Hauptcharaktere sind eine "Lesbe", eine Witwe, eine alleinerziehende Mutter, eine Tochter, die diese Mutter verliert. Sie sitzen scheinbar im selben Boot, aber jede ringt mit ihren eigenen Ängsten. Sie belügen und entführen sich, Nasrins Mutter ist gewalttätig und homophob, auch die Ziehtochter Parvin beschimpft ihre Tante einmal als "abnormal".
Yaghoobifarah kultiviert den drastischen Diss der Mehrheitsgesellschaft
Den Bechdel-Test würde der Roman mit Bravour bestehen: Er handelt von Frauen, die mit anderen Frauen reden, füreinander da sind, sich abfucken und unterstützen, lieben und aneinander reiben (psychisch und physisch). Die Liebe siegt nicht notwendigerweise, aber sie verbindet wie ein unzerstörbarer Kaugummi. Ein Kaugummi, der sogar den Tod überdauert.
Die Autor*in des Buches, Hegameh Yaghoobifarah, definiert sich als nonbinär. Seit einer Kolumne in der taz, in der Polizisten satirisch mit Müll in Verbindung gebracht wurden, ist Yaghoobifarah ein Politikum. Die Debatte um die Kolumne erreichte höchste Kreise und zog bergeweise Anzeigen nach sich. Nicht nur musste Yaghoobifarah wegen Morddrohungen umziehen - nein, es reicht, so hört man, aus, mit Yaghoobifarah zusammenzuarbeiten, um Morddrohungen zu erhalten. In der Kolumne "Habibitus" kommen deutsche Stereotype vor, die "Kartoffeln" und "Annikas", Yaghoobifarah kultiviert den drastischen Diss der Mehrheitsgesellschaft als politische Performance.
Auch die Protagonistin des Romans ist innerlich meist im Pöbelmodus (während sie selbst trotteligen Polizisten gegenüber persische Gastfreundschaft zeigt), aber es ist von Anfang an klar, dass ihre Aggressionen eine Überlebenstechnik sind. Yaghoobifarah kultiviert dabei eine Vorliebe für, sagen wir, experimentelle Sprachbilder. Das ist manchmal sehr lustig, etwa wenn gefragt wird, "Wer hätte gedacht, dass Erdnusssoße so sturmresistent ist?". Manchmal kommen dabei aber auch Sätze heraus wie "Bilder schießen mir ins Gesicht. Nicht wie Ohrfeigen, sondern wie ein Lastwagen, der mit 250 km/h auf mich zubrettert." Bilder schießen ihr ... ins Gesicht? Wie ein Lastwagen? Ist dem Lektorat da kein Lastwagen ins Gesicht geschossen? Solche etwas schiefen Vergleiche beschränken sich allerdings hauptsächlich auf die ersten paar Kapitel.
Es geht hier auch um ein Denken in Gruppen und Gegengruppen
In den stärksten Passagen ist Yaghoobifarah in der Lage, aus all den Kleinigkeiten, die einen Alltag ausmachen, ein literarisches Zimmer zu erschaffen, in dem man zusammen verweilt - ohne dass es trivial oder langweilig wird. Das ermöglicht einem den Einblick in die Welt der Überlebenden - jener, für die Hanau nicht nur ein Stadtname ist, sondern für eine reale Bedrohung steht.
Die Erzählung setzt aber auch ein bestimmtes migrantisches Selbstverständnis voraus, ein Denken in Gruppen und Gegengruppen. Und damit steckt man mittendrin in den erbitterten Debatten, in denen sich Yaghoobifarah mit den Kolumnen bewegt. Worum geht es dabei eigentlich? Abgesehen von der Frage, ob Mülldeponien und Polizisten irgendwas miteinander zu tun haben. Wütend gestritten wird heute nicht nur zwischen Reaktionären und Progressiven. Es stehen sich auch zwei Modelle von Fortschritt als sozialer Praxis gegenüber.
Die einen wünschen sich gesellschaftlichen Fortschritt als "gutes Gespräch": Man kommt als Gleichberechtigte zusammen, ist sich einig über die Methoden, mit denen eine gemeinsame Wirklichkeit als Diskussionsgrundlage überhaupt erst hergestellt werden kann. Auf dieser Basis redet man unter Wahrung der Fairnessregeln miteinander und trifft Entscheidungen, die Schritt für Schritt mehr Freiheit und Gerechtigkeit für alle bringen. Für Yaghoobifarah und die Autorin Fatma Aydemir, die gemeinsam den programmatischen Sammelband "Eure Heimat ist unser Albtraum" herausgegeben hat, sind hingegen die Karten des Sprachspiels gezinkt. Schon die Regeln sind nur scheingerecht, schließen tatsächlich viele Menschen und ihre Erfahrungen aus. Sie leiten daraus nicht nur ein Recht, sondern geradezu die Pflicht zur diskursiven Militanz ab. Fortschritt bedeutet für sie revolutionären Kampf. Die herrschende Ordnung muss zerlegt und zu etwas Neuem zusammengesetzt werden. Kollateralschäden sind dabei in Kauf zu nehmen. Das Leben in einer Kultur, die Kolonialismus und Kapitalismus hervorgebracht hat, ist eben kein Ponyhof, es zu verbessern kann dementsprechend auch keine Kuschelparty sein.
Klingt brutal, aber es gibt durchaus Gründe für diese Weltsicht. Man muss sich nur daran erinnern, wie sehr einen Ungerechtigkeiten verfolgen, die man im Laufe seines Lebens, als Kind und Jugendliche vor allem, erlitten hat. Wer als "markierter" Mensch durchs Leben geht, aus Mehrheitsperspektive anders aussieht (im Habibitus-Sprech: Kanake ist), anders liebt, sich selbst anders versteht, erfährt solche Ungerechtigkeiten als Alltag. Von diesen erzählt auch der Roman offensiv. Trotzdem liest er sich wesentlich weniger krawallig als die Habibitus-Kolumnen. Was nicht daran liegt, dass da ein poetischer Feinsinn und eine nüchterne Beschreibungskunst am Werk wären, die gegen Anwandlungen von Agitprop immun sind. Die Protagonistin redet ungehemmt schlecht über Deutsche, aber das ist eher amüsant als provokativ. Sie redet ja auch schlecht über sich selbst.