Helmut Kraussers "Eros"':Von der Sehnsucht, bedeutend zu sein.

Reicher Unternehmersohn liebt Hippiemädchen, die Leidenschaft überdauert alle Zeitläufte und bleibt doch unerfüllt. Vom fremden Eros der Macht erzählt der Romanautor und bleibt doch hinter seiner eigenen Kraft zurück.

Kristina Maidt-Zinke

Es gehört zur Selbstinszenierung des Schriftstellers Helmut Krausser als Klaus Kinski des Literaturbetriebs, dass er Rezensenten, die sich von seinem großdichterischen Furor nicht umstandslos ergreifen lassen, auch mal als "Psychopathen" beschimpft. Und doch hat er sich, so scheint es, einige der Einwände zu Herzen genommen, die von jenen Verstockten gegen seine kühnen Romankonstrukte vorgebracht wurden: Sein neues Werk kann weder der Softpornografie noch der Bildungshuberei bezichtigt werden.

Helmut Kraussers "Eros"': "Der Eros der Macht ist von den Dichtern selten angemessen besungen worden" - Helmut Krausser

"Der Eros der Macht ist von den Dichtern selten angemessen besungen worden" - Helmut Krausser

(Foto: Foto: Hagen Schnauss)

Ein paar pubertäre Masturbationsszenen, die im Vergleich zu dem, was der Autor etwa in seiner "Schmerznovelle" geboten hat, geradezu jugendbuchmäßig wirken, und ein eher volksnahes Küchengespräch über Seneca - das war's auch schon. Ansonsten vertraut Krausser ganz auf seine drehbuchkompatible Erzählroutine und auf ein Thema, mit dem man in der Häschenschule für deutsche Romanschreiber grundsätzlich in der ersten Reihe sitzt: die Geschichte unseres Landes von der Nazizeit bis zur Jahrtausendwende, verdichtet in persönlichen Schicksalen.

Ein Vampir mit Zahnersatz

Wer sich von dem Titel "Eros" ein Pendant zu dem vor zehn Jahren erschienenen Romanmonster "Thanatos" versprochen hat, muss auf eine herbe Enttäuschung gefasst sein. Die genialische Kraftmeierei, die schwarzromantische Manier - wo sind sie geblieben? Dämonie und Bizarrerie, Ich-Dissoziation und mythosophischer Bluff, postmoderner Stilmischmasch, Zitatenprunk und Abstrusitätenkabinett - dahin, dahin.

Die Zeiten haben sich geändert, und Krausser mag es satt haben, als ewiges Enfant terrible und unausgegorenes Talent gehandelt zu werden. So wollte er sich diesmal offenbar damit begnügen, im Gestus eines gehobenen Lore-Romans eine mäßig spannende, wohldosiert melodramatische, mit politisch-historischen Reizsignalen durchsetzte Story zu erzählen.

In der laufenden Saison ist er nicht der Einzige, der versucht, sich mit dieser Methode auf die sichere Seite des Ladentischs zu schlagen. Und es spricht Bände, dass Bestseller-Wunderkind Daniel Kehlmann den Freundschaftsdienst übernommen hat, auf dem Umschlag "ein ganz, ganz großes Buch" zu annoncieren.

Durchaus filmreif setzt die Ouvertüre ein, aber es gibt bekanntlich auch schlechte Filme. Wer einen Schriftsteller bei Nacht und Schneegestöber auf einem einsam gelegenen Schloss ankommen lässt, wo ihn ein geheimnisvoller Auftraggeber erwartet, der muss schon einiges an Witz aufbieten, um nach Bram Stoker, Kafka und Polanski nicht wie ein armseliges Epigonenwürstchen zu erscheinen.

Klischees und Kolportagebrocken im ironiefreien Raum

Doch Krausser meint es ernst, und als wolle er uns seiner neuen Bescheidenheit versichern, entpuppt sich das Schloss bei näherem Hinsehen bloß als "zugegeben eindrucksvolles Herrenhaus neugotischen Stils". Der Hausherr Alexander von Brücken ist nicht etwa, wie der Name nahe legen könnte, ein Vampir mit Zahnersatz, sondern ein schwerreicher Industrieller mit unheilbarem Leiden, der kurz vor seinem Abgang noch dafür sorgen will, dass seine Lebensgeschichte in Buchform gebracht wird. Aber nicht von irgendeinem professionellen Biografen - auf dem oberbayerischen Anwesen, wo als Willkommenstrunk gleich ein "Petrus 1912" dran glauben muss, ist nur die Crème de la crème gut genug.

"Sie sind von allen Künstlern, die ich kenne, der beste", begrüßt der gut erhaltene Siebziger - "schlank, hochgewachsen, die Gesichtszüge straff und gebräunt" - seinen Gast, und der gibt sich als Helmut Krausser höchstselbst zu erkennen, indem er bei sich denkt: "Ich hätte nie gedacht, dass er einen solch sicheren Geschmack besaß." Später wird sein Gastgeber zu ihm sagen: "Ich weiß, dass Sie in Ihren Büchern gerne mit dem Ekel spielen", was gleichfalls auf die Personalunion von Autor und Erzähler hindeutet.

Von der Sehnsucht, bedeutend zu sein.

Wie nach der Devise "Wir können auch anders" bleibt das vorliegende Buch indes auffallend ekelarm, es sei denn, man ekelt sich vor Klischees und Kolportagebrocken, die im ironiefreien Raum aneinanderstoßen.

Helmut Kraussers "Eros"': Helmut Krausser: Eros. Roman. DuMont Literatur Verlag, Köln 2006. 320 Seiten, 19,90 Euro.

Helmut Krausser: Eros. Roman. DuMont Literatur Verlag, Köln 2006. 320 Seiten, 19,90 Euro.

(Foto: Foto: DuMont)

Der straffe Herr von Brücken (man stellt sich unwillkürlich eine Art Ernst Jünger in den besten Jahren vor, aber der hätte ja selber schreiben können) gibt also seine Geschichte zum besten und lässt dabei ein Tonband laufen. Was folgt, ist eine etwas unstrukturierte Mischung aus Gesprächsprotokollen und dem, was der Edel-Lohnschreiber daraus macht. Sein Auftraggeber muss ihn ein wenig überschätzt haben, denn selten wohl ist eine erotische Obsession, eine unerfüllte, alle Zeitläufte überdauernde Leidenschaft derart unglaubwürdig, ja lustlos geschildert worden.

Firmenerbe liebt SDS-Mitglied in den Sechzigern

Alexander von Brücken, Spross eines bayerischen Fabrikanten für Metallverarbeitung, ergo Hitler-Rüstung, hat sich in den Luftschutzkellernächten des Zweiten Weltkriegs unsterblich in die aus einfachen Verhältnissen stammende Sofie verliebt, bei ihr aber nicht mehr erreicht als einen fünfzig Mark teuren Kuss.

Nach dem Selbstmord seiner Eltern und einer gescheiterten Intrige des Betriebsleiters Keferloher, dessen Sohn Lukian ihm lebenslang Freund und Helfer bleiben wird, tritt der junge Mann sein Erbe an und verwendet fortan sein unaufhaltsam wachsendes Einkommen, seinen stetig steigenden Einfluss auf die Beobachtung, Kontrolle und Fernlenkung des Objekts seiner Begierde. Er fristet sein Dasein als Bastard aus Big Brother und Schutzengel, der zahlreiche Spione und Assistenten beschäftigt, der sich zuweilen sogar unerkannt in Sofies Nähe begibt, mit ihr spricht, sie aus Gefahren rettet, sie umwirbt, ohne Aussicht, je von ihr erhört zu werden.

Denn Sofie, die aus unerfindlichen Gründen Angebetete, interessiert sich nicht für Firmenerben, weil sie am anderen Ende der Milieuskala lebt. Nach bescheidenem Start als Kindergärtnerin studiert sie in Berlin Politologie, wird SDS-Mitglied und gerät in die Terroristenszene. Für einen Autor des Jahrgangs 1964 ist es eine echte Herausforderung, die Achtundsechzigerer-Bewegung samt Demos und Wohngemeinschaftsdebatten, Schahbesuch und Ohnesorg-Mord so ins Bild zu setzen, als wäre er selbst dabei gewesen.

Bei Krausser wirkt alles so angelesen, dass man den Archivstaub knirschen hört. Auch hat er nicht auf die Stimmigkeit des Jargons geachtet: Es ist unwahrscheinlich, dass die Linken von 1967 schon mit der hedonistischen Vokabel "unsexy" um sich warfen.

Wo der Autor keine Lust mehr zum Recherchieren hatte, behilft er sich mit Aufzählungen: "Die Jahre vergingen, 1971, 1972, 1973, 1974, 1975." Herr von Brücken, dessen Name inzwischen "zum Inbegriff des spätkapitalistischen Diktators" mutiert ist, macht in jener Zeit den Beatles "phantastische Angebote für eine Wiedervereinigungstournee", leider ohne Erfolg, wie wir wissen, obwohl er seinerzeit auf dem Flur eines Münchner Nobelhotels zwei Sätze mit John Lennon gewechselt hat. Allmählich begreift man, was die Hauptfigur des Romans und ihren Erfinder verbindet: die bohrende Sehnsucht, bedeutend zu sein.

Eine Dame in Schwarz

Gegen Ende des "Deutschen Herbstes" erhält die steckbrieflich gesuchte Sofie Exil in der DDR. Dort wird sie Museumswärterin und lebt zurückgezogen unter dem Namen "Inge Schulz" (womöglich eine Hommage an den Kollegen Ingo Schulze, der neben Paul Celan im lyrischen Vorspann erscheint), bis Alexander von Brücken, der mit seinem Reichtum sogar die Ost-Behörden kaufen kann, sie wieder in den Westen schleust.

Aber auch durch die Klänge von "Abbey Road" lässt sie sich nicht betören; sie entkommt ihrem Gönner an einer Raststätte und wird nicht mehr gesehen. Doch bei der Beerdigung des Herrn von Brücken taucht sein Getreuer, Lukian Keferloher, in Begleitung einer schwarz verschleierten Dame auf...

So abenteuerlich der Plot, so öde die Ausführung. Warum heißt das Buch "Eros"? Darüber gibt Helmut Krausser bereitwillig Auskunft. "Der Eros der Macht", lässt er seinen Geld-Heros sagen, "ist von den Dichtern selten angemessen besungen worden, aus dem schlichten und triftigen Grund, dass kaum ein Dichter je Macht im trivialen Sinne besaß und ihren Zauber am eigenen Leib gespürt hat."

Ist es jener Zauber, von dem Krausser träumt? Dann müsste er sofort aufhören, mit anbiedernd trivialen Werken wie diesem an seiner Selbstentmachtung als Schriftsteller zu arbeiten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: