Helmut Kohl im Film:Die Kopie eines Originals

Landsmann und Staatsmann: Thomas Schadts Film über Helmut Kohl ist auch dank Hauptdarsteller Thomas Thieme eine treffende Charakterstudie.

C. Keil und H. W. Kilz

Es war, wie so vieles im Produzentenleben von Nico Hofmann, zunächst eine strategische Leistung, Helmut Kohl für einen Film über Helmut Kohl zu gewinnen. Die Strategie bestand darin, den Bundeskanzler aus Oggersheim vor fünf Jahren auf einem Geburtstag in Ludwigshafen richtig zu platzieren.

Geholfen hat dabei, dass der damalige Gastgeber, Klaus Hofmann, Nico Hofmanns Vater ist. Hofmann Senior war viele Jahre Bonner Korrespondent der Tageszeitung Die Rheinpfalz. Dem Pressemann aus der Heimat vertraute Kohl wie kaum sonst einem in der Hauptstadt am Rhein. Der "King of Mainz", wie sich der CDU-Bundeskanzler selber gern sah, hatte sich die Rheinpfalz mit Eilboten-Zustellung nach Bonn kommen lassen. 1984 erschien Hofmanns Kohl-Biographie - passenderweise mit dem Titel Kanzler des Vertrauens.

Zum 80. Geburtstag des journalistischen Weggefährten 2004 hielt Kohl eine Rede, und an Kohls Tisch saß der Dokumentarfilmer Thomas Schadt. Schadt ist mit Nico Hofmann befreundet, zum anderen ist er Professor und Geschäftsführer der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Dort hat Nico Hofmann ebenfalls eine Professur, gemeinsam wollten sie einen Kohl-Film machen. Am 20.Oktober wird das Fernsehspiel Der Mann aus der Pfalz nun im ZDF, der in Rheinland-Pfalz beheimateten öffentlich-rechtlichen Anstalt, zu sehen sein.

Kohl, auf dem Höhepunkt seiner Macht

In der Zeit zwischen der ersten Kontaktaufnahme im "Feierabendhaus" der BASF, wo die Vorstandsherren des Chemiekonzerns gern Gäste bewirten, und der Ausstrahlung ist etappenweise eine bemerkenswerte fiktionale Annäherung an den Menschen und den Politiker Helmut Kohl entstanden. In der Hauptrolle führt der Schauspieler Thomas Thieme innere Monologe, die alle nachempfunden sind. Der Film zeigt den Machtmenschen Helmut Kohl, seinen Aufstieg vom Rabauken der Jungen Union in Ludwigshafen, der Kohlen klaut und Rock'n' Roll tanzt, bis zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland und dem historisch bedeutendsten Ereignis seiner Amtszeit, zu dem er selber einen entscheidenden Anteil beigetragen hat: dem Fall der Mauer und der Einheit Deutschlands.

Der Film endet 1990 und zeigt Kohl auf dem Höhepunkt seiner Macht, auch seines persönlichen Ansehens. Es ist die für einen Film und eine Begegnung mit Kohl angenehme, die Sonnen-Seite der Biographie. Krisen und Niederlagen - Zerwürfnisse etwa mit seiner Ehefrau Hannelore - werden nur angedeutet. Sein Wahldebakel 1998, auch seinen Ansehensverlust in der eigenen Partei nach der Spendenaffäre 1999, spart Thomas Schadt aus. "Das", sagt der Regisseur und Drehbuchautor, "muss ein anderer Film leisten."

Mehr als 30 Stunden lang hatte Schadt Helmut Kohl interviewt, mit Jochen Bitzer, der am Drehbuch mitwirkte, befragte er Zeitzeugen und las nahezu alles, was über den Pfälzer veröffentlicht wurde. Es sind spannende 90 Minuten geworden, Unterhaltung und Information über einen Politiker, der sich früh vorgenommen hatte, ein ganz Großer in dieser Republik zu werden. Kohl ist an vielen, die ihn unterschätzten, verspotteten oder bekämpften, mit instinktsicherem Gespür für die Macht vorbeigezogen. Er triumphierte über sie, benutzte sie, ließ sie fallen, wenn er es so brauchte. Macht war für Kohl auf seinem Weg nach oben immer ein unentbehrliches Instrument. Er entwickelte einen Führungsstil, der andere begeisterte, sie anlockte und stolz machte, zu seinem Team zu gehören.

Der Rheinland-Revoluzzer

Helmut Kohl war immer der Jüngste, der Rebell, der Revoluzzer in der rheinland-pfälzischen CDU, der kopfvor vom Fünf-Meter-Brett sprang, Navy Cut in der Pfeife rauchte und den Weggefährten Beerenauslese einschenkte, wenn er auf seinem steilen Weg nach oben wieder ein Stück vorangekommen war.

Hervorzuheben ist im Film die Mischung aus Originalaufnahmen und gespielten Szenen: Wie Kohl in den sechziger Jahren den Mainzer Ministerpräsidenten Peter Altmeier, einen betulichen, aber störrischen Katholiken, mit System aus dem Amt putscht und sich dabei schon 1966 auf dem CDU-Landesparteitag in Koblenz der Hilfe des alten Bonner Kanzlers Konrad Adenauer bediente, der ein Jahr später starb. Aus dieser Zeit stammt die Floskel vom "Enkel Adenauers ", die Kohl selber nie beanspruchte, die ihm aber gefiel, wenn andere sie benutzten.

In seiner Mischung aus Machtanspruch, Körperfülle und -größe ( 1,92 Meter), seinen provinziellen und staatsmännischen Posen, seiner begrenzten rhetorischen Begabung und seiner Kraft, Menschen für sich einzunehmen, ist Kohl für Weggefährten und Beobachter auf merkwürdige Weise widersprüchlich geblieben. Diesen Kohl, der wankt und zugleich seine Bahn zieht, der seine Frau erobert wie später seine politischen Ämter, der Sozis (vor allem Willy Brandt) mag und politische Weggefährten von einst (Heiner Geißler, Lothar Späth, Kurt Biedenkopf ) verachtet - diesen Kohl hat Schadt überzeugend eingefangen.

Alles, was im inneren Monolog vorkommt, ist belegbar

Thomas Thieme, ein gebürtiger Thüringer, verleiht der Figur des Kanzlers große Authentizität. Er kommt ohne Kohls pfälzischen Dialekt aus, was den Film davor bewahrt, zur Klamotte zu werden. Er spielt den Draufgänger Kohl (bei Frauen wie in der Politik) ebenso überzeugend wie den Staatsmann, der mit dem französischen Präsidenten François Mitterrand am Atlantik entlangspaziert, um dessen Widerstand gegen die deutsche Einheit zu brechen. "Wenn das die Margaret Thatcher sieht", frohlockt Kohl, "trifft sie der Schlag."

Die Dialoge im Film sind von den Autoren aus "sehr verlässlichen Quellen" (Schadt) geformt oder mit Originalzitaten aus Fernsehsendungen belegt. "Alles, was im inneren Monolog vorkommt", sagt Schadt, "ist belegbar. Der Film bewertet nicht, er überlässt es dem Zuschauer, seine Wertung zu finden."

"Ich will die Einheit", sagt Kanzler-Darsteller Thomas Thieme irgendwann am Schluss. So hat Kohl gesprochen. So könnte er es gesagt haben. So hat er es gesagt. Auch Thomas Schadt pflegte sein Kohl-Bild, bevor er sich intensiver mit dem CDU-Politiker befasste. Und so, wie es klingt, war es nicht sehr positiv. Die Nähe zu Kohl, die intensive Arbeit mit dem Kanzler der achtziger und neunziger Jahre hat seinen Blick ein Stück verändert. Man müsse in der Lage sein, seine Vorurteile, seine Bilder regelmäßig zu

Das klingt glaubhaft, obwohl es überzeugender gewesen wäre, auch Fall und Verfall des Machtpolitikers Kohl zu zeigen: die Unfähigkeit, sich rechtzeitig vom Amt des Kanzlers zu trennen, die spürbaren gesundheitlichen Probleme zu beachten und von der Droge Politik - seiner Droge - loszukommen.

Als 1990 klar wird, dass es zu gesamtdeutschen Wahlen kommt und Hannelore Kohl ihren Mann fragt, wer denn dann Kanzler werden solle, schweigt der Ehemann. Sie begreift, dass er die Krönung seiner Kanzlerschaft für sich beanspruchen wird. Es zerschlägt sich in diesem Moment ihre Hoffnung, Kohl könnte aus Liebe zu ihr die Politik nach diesem grandiosen Erfolg gelassen drangeben und ein - sicher oft versprochenes - stilleres Familienleben führen. "Sie hat Politikern von Anfang an misstraut", sagt Thieme als Kohl am Anfang des Films. Am Ende misstraut Hannelore auch ihm, dem eigenen Mann.

Das Misstrauen gegen alle, die sich mit ihm befassten, hat sich Kohl bis heute erhalten. Seine zweite Ehefrau, Maike Richter, spricht jetzt für ihn, weil er nach einem Sturz im Februar 2008 nicht mehr so kann, wie er gern möchte. Sie erwies sich als zähe Gesprächspartnerin für das ZDF. Den Film sehen wollten bisher weder Kohl noch seine Frau.

Keine Einwände gegen die "radikal subjektive" Darstellung

An vier Wochenenden im Januar, Februar und März 2006 hatte sich Schadt in Oggersheim mit Helmut Kohl getroffen. Das kolossale Vermächtnis, an dem Kohl die Rechte hält, sollte ursprünglich klassisch eingebracht werden. Zwar betont Thomas Schadt, herausgekommen sei genau der Film, den er geplant habe. Doch es bestehen Zweifel. Laut ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut gab es eine erste halbstündige "Arbeitsfassung", um Kohl und Maike Richter zu zeigen, wie so eine filmische Anmutung über sein Leben ausschauen könnte.

In dieser frühen Version waren Interviewpassagen enthalten, war der später konsequent fiktionalisierte Film noch ein Biopic - also eine filmische Biographie aus gespielten Szenen, Originalaufnahmen und O-Tönen, nachempfunden der Technik, die Heinrich Breloer etablierte, beispielsweise mit Filmen wie Die Manns.

Als Maike Richter dann von Bellut erfuhr, dass sie bei Autorisierung der Interviewsequenzen auch die gespielte Darstellung autorisiere, kam es zu einer ersten Auseinandersetzung. Bellut, der dem Bundeskanzler Kohl früher als innenpolitischer Journalist des ZDF begegnet war, wollte sich "inhaltlich nichts abhandeln" lassen.

Schließlich stand der Kompromiss, dass für den Film kein Satz aus den Interviews mit Kohl verwendet würde. Kohl hat, wie es im Vorspann angezeigt wird, den Film auch nicht autorisiert. Dafür sicherte er zu, keine Einwände gegen die "radikal subjektive" Darstellung (Nico Hofmann) seiner Person zu erheben.

Erst aus dieser Konstellation heraus ergab sich für Schadt die einmalige Chance, mit dem ganzen Wissen der vielen Gespräche in Kohls Privathaus und mit Hilfe von Thieme eine Kohl-Figur zu inszenieren, die in Wesen, Emotionalität, in ihren Einstellungen und Absichten so nah an Helmut Kohl ist wie keine Dokumentation vorher.

Der zweite Teil der Vereinbarung zwischen Kohl, dem ZDF, dem Produzenten und dem Regisseur betrifft einen Interviewfilm. Die über 30 Stunden O-Töne, eine Art Lebensarchiv, wurden auf ungefähr 600 Seiten zusammengefasst. Maike Richter hat eine circa 50 Seiten starke Fassung genehmigt, die Hofmann und Schadt derzeit schneiden.

Nico Hofmann würde die Doku am liebsten am 20. Oktober im Anschluss an Schadts Film bringen lassen. Bellut denkt allerdings eher daran, den Interviewfilm aus besonderem Anlass zu senden: zu Kohls 80. Geburtstag am 3. April 2010. Das wäre dann eine strategische Entscheidung.

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