Helmut Dietls Memoiren:"A bissel was geht immer" stimmt tatsächlich

Helmut Dietl; Helmut Dietl

Der ewige Wunsch, dass Dietl noch einmal in diese Welt zurückkehren möge, erfüllt sich nun posthum in seinen Memoiren.

(Foto: SZ Photo)

Helmut Dietl redet in seinen "Unvollendeten Erinnerungen" Klartext - und macht sich posthum selbst zu einer Helmut-Dietl-Figur.

Buchkritik von Tobias Kniebe

Um gleich in die versunkene Welt einzutauchen, die in diesem Buch beschworen wird, eignet sich die Sache mit dem Kammerjäger. Gerade weil sie, gemessen am allgemeinen Lauf der Dinge, so gar keine größere Bedeutung hat. Wir schreiben das Jahr 1962, und Helmut Dietl, unser Held, ein gutaussehender Bursche von achtzehn Jahren, hat gerade das Herz und das Bett seiner ersten richtigen Freundin erobert.

Es handelt sich um die fesche und auch in Sachen Sex recht entscheidungsfreudige Eier-Lili, eine Großbauerstochter aus dem Erdinger Moos. Sie hat deutlich mehr Geld als er - er hat nämlich gar keins - und so finanziert sie die Anmietung eines ersten eigenen Liebesnests am Schwabinger Nikolaiplatz. Wie sich dann aber herausstellt, gibt es in dem heruntergekommenen Zimmer Wanzen.

Die entscheidenden Lehrstunden bei einer zwanzig Jahre älteren Frau

"Die praktisch veranlagte Lili ließ auf ihre Kosten unverzüglich einen Kammerjäger kommen. Dieser Herr, etwas über achtzig Jahre alt und vermutlich ein Veteran des Ersten Weltkriegs, der als solcher über ausreichend Erfahrung im Einsatz tödlicher Gase verfügte, rückte den Tierchen mit einer solchen Giftwolkenorgie zu Leibe, dass die ganze Wohnung und speziell unser Zimmer über Wochen nicht bewohnbar war."

Das war's auch schon, Abgang Kammerjäger. Und doch leuchtet ein Nachbild dieses greisen Dienstleisters vor dem inneren Auge, das fast so lange stehenbleibt wie seine Giftgaswolken. Man sieht ihn geradezu vor sich mit seiner antiken Militärgasmaske, seiner grauen Haut, seinem Hang zur großzügigen Überdosierung und seinen Weisheiten aus dem Schützengraben.

Er hat sich, skizziert mit wenigen schwungvollen Strichen, in eine Helmut-Dietl-Figur verwandelt. Sehr real, direkt aus dem Leben hereingestolpert, spezifisch und prototypisch zugleich. Zu Dutzenden findet man solche Typen in den "Münchner Geschichten", im "Monaco Franze" und selbst in "Kir Royal" - eben dort, wo Helmut Dietls Werk am Münchnerischsten ist, ganz nah an seiner Herkunft.

Der ewige Wunsch, dass Dietl noch einmal in diese Welt zurückkehren möge, mit ihren längst verschwundenen Mietshäusern und Eckläden, ihrem groben Filmkorn und ihren langsam verblassenden Farben, erfüllt sich nun posthum in diesen Memoiren. Und es gilt tatsächlich, Seite für Seite, das unsterbliche Motto des Monaco Franze, das hier auch als Titel dient: "A bissel was geht immer."

Zum Ende seines Lebens, schon vom Krebs gezeichnet, hat sich Dietl wieder dieser Vergangenheit zugewandt, sprich der eigenen Biografie. Was nur konsequent ist, denn diese hat ihmschon immer - in verschlüsselter Form - das reichhaltigste und letztlich entscheidende Material geliefert. Diesmal ist nun allerdings Klartext angesagt, unterstützt von einer fotografisch präzisen Erinnerung.

Namen werden genannt, auch schonungslos, etwa was die intrigante Veranlagung und die von realen Eigentumsverhältnissen gelegentlich unbeeindruckte antiquarische Sammelleidenschaft des berühmten, später dann leider ermordeten Paradebayern-Darstellers Walter Sedlmayr betrifft. Wer mit wem schlief oder auch nicht, die mörderische Frage aus dem "Rossini"-Untertitel - hier steht es wirklich, von den Großvätern angefangen über die eigenen ersten Erfahrungen, darunter eine fast surreale Liebesnacht in Wien, von der Eier-Lili über die Busen-Dorle bis hin zu den entscheidenden Lehrstunden bei einer zwanzig Jahre älteren Frau.

Es fehlen die Jahre der Selbstinszenierung und Legendenbildung

Diese, die freigeistige und schon in den Sechzigerjahren herrlich selbstbestimmte Volksschauspielerin Elfie Pertramer, war damals mit ihrer Fernsehserie "S' Fensterl zum Hof" die unangefochtene Quotenkönigin des Bayerischen Fernsehens, eine Frau mit Macht. Sie konnte verfügen, dass unser Held, ein immer noch sehr gut aussehender Bursche von nunmehr 22 Jahren, beim Fernsehen angestellt wurde, für damals sagenhafte 500 Mark monatlich, und zwar als Aufnahmeleiter, Regieassistent und Drehbuchberater. Die genaue Funktion war nicht so wichtig, da er auch keinerlei Qualifikation mitbrachte. Erklärtermaßen ging es Elfie Petramer nur darum, ihren Liebhaber den ganzen Tag um sich zu haben. Oder sah sie bereits Talente in ihm, die sie noch nicht an die große Glocke hängen wollte. Jedenfalls wurde es der Einstieg in eine fulminante Karriere - auch wenn die endgültige Widerlegung des Vorurteils, Karrieren im Film- und Fernsehgeschäft führten grundsätzlich übers Bett, an dieser Stelle einen Rückschlag verkraften muss. Ein Aspekt übrigens, der auch für Dietls ehemalige Muse Veronica Ferres interessant sein dürfte, die im ganzen Buch nicht erwähnt wird.

Was, das sollte man dazusagen, keine brutale Auslassung ist. Die Jahre des Ruhms, der schwarzen und der weißen Anzüge, der "Rossini"-Nächte und Bernd-Eichinger-Gelage, der Selbstinszenierung und Legendenbildung kommen in diesen unvollendeten Erinnerungen nicht vor. Sie enden im Wesentlichen im Sommer 1967 mit dem Sechstagekrieg, der Dietl naturgemäß zu der Annahme verleitet, mit einer hübschen jüdischen Bekannten in Siegeslaune könne jetzt ein bissel was gehen. Danach gibt es nur noch ein paar Schlaglichter, Los Angeles in den frühen Achtzigerjahren, ein Kurzauftritt der dritten (französischen) Ehefrau, Drehbuchschreiben mit Patrick Süskind in der Provence und Drehbeginn von "Kir Royal" in München, mit einem naturgemäß zagen und zaudernden WDR-Redakteur.

Um die Wahrheit, auch gegenüber sich selbst, ging es Dietl wirklich

Alles Weitere fehlt. Und so gern man auch durch den Rest der Geschichte geführt worden wäre, mit der typischen Dietlschen Illusionslosigkeit, so wenig kann man sich vorstellen, dass er das wirklich durchgezogen hätte. Die frühen Jahre bieten den Vorteil, dass sehr viele Protagonisten nicht mehr am Leben sind, dass die Egos noch nicht so fragil waren, die Zerwürfnisse noch nicht so brutal, die Figuren noch nicht so in der Öffentlichkeit standen. Da ist anderer Zugriff auf die Wahrheit möglich, so subjektiv sie gefärbt sein mag. Und um Wahrheit, auch gegenüber sich selbst, geht es diesem Autor wirklich.

Es fühlt sich also nicht gänzlich nach Willkür des Schicksals an, wenn diese Erinnerungen unvollendet geblieben sind - sie haben auch so genug zu bieten. Viele Episoden dürften selbst Dietl-Fanatikern, die jeden Dialog des Monaco Franze mitsprechen können, unbekannt sein - etwa seine frühesten Berührungen mit dem Filmgeschäft. Die kamen durch die Großmutter väterlicherseits zustande, deren frühverstorbener Mann Fritz Greiner ein vielbeschäftigter, notorisch untreuer Stummfilm-Mime ("Wallenstein") war. Zu seinem Andenken nahm sie den Knaben, an dieser Stelle ein ein gutaussehendes Kind von sieben Jahren, gern zur "Filmbörse" in den Hofbräukeller mit. Dort wurden Statistenrollen vergeben, und Dietl bekam prompt eine Part neben O. W. Fischer, obwohl eigentlich ein blonder Junge gesucht wurde - eine erste entscheidende Lektion für die Zukunft: "Beim Filmemachen gibt es offenbar mindestens zwei, die das Sagen haben, wobei der eine im Allgemeinen das Gegenteil vom andern will."

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